Ansicht umschalten
Avatar von Anja Böttcher

mehr als 1000 Beiträge seit 24.08.2014

Geschichtsrevisionismus & Apologie des verbrecherischen deutschen Kapitals!!!

Mir geht der immer dreister werdende Geschichtsrevisionismus empfindlich auf den Zwirn: Während ich es komplett berechtigt finde, als deutsche Staatsbürgerin gegenüber ausländischen Opfern des NS Empathie und staatsbürgerliche Verantwortung für den Schrecken dieses abgrundtiefen nazistischen Verbrechertums empfinde ich die Behauptung, NS-Verbrechen seien das Werk "gewöhnlicher Deutscher" gewesen, als impertinente Frechheit.

Halten wir fest: Vor allem die angelsächsischen, mehr noch die US- als die britischen Besatzer haben die Entscheidung getroffen, genau auf der gleichen innerdeutschen sozioökonomischen Machtbasis ihr Nachkriegsprojekt aufzubauen. Deshalb erhielten Nazi-Verbrecher, wie Globke oder Reinhard Gehlen oder führende Wehrmachtsoffiziere rasch wieder mehr Anerkennung und Macht als antifaschistische Ruhrarbeiter, die im KZ gesessen haben. Waren sie Kommunisten, ereilte sie sogar Berufsverbot.

Während natürlich auch hunderttausendfach "normale" Deutsche im Verlauf dieser Katastrophe voll an NS-Verbrechen beteiligt waren, gilt dennoch:

Hitler wurde von dem nationalkonservativen adeligen Vertreter Hindenburg zum Reichskanzler gemacht, nachdem zwanzig Vertreter des deutschen Großkapitals seine Ernennung aus restaurativen Gründen gegen die Basis der Arbeiter gefordert hatten.

Polizei und Militär befanden sich unter nationalkonservativen preußischen Ministern, die ohne mit der Wimper erlaubten, dass Hitler sie nach dem Reichstagsbrand seinen Hooligantruppen der SA und SS unterstellte. Es waren samt und sonders keine "normalen Deutschen", sondern Eliten, die dem Ermächtigungsgesetz zustimmten. Es waren die Vertreter von Junckertum und Armee, die sich Hitler am Tag von Potsdam feierlich unterstellten und ihre Macht mit seiner verbanden.

Wie sieht es mit dem Krieg und der rassistischen Vernichtungsideologie der Nazis aus? Hitler hat vor Beginn des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion am 31 März 1941 vor 250 führenden Vertretern der Wehrmacht, die meisten noch benannt unter Wilhelm dem II., klar angekündigt, dass dies ein rassistischer Vernichtungskrieg werde, dass für die sowjetische Bevölkerung die Haagener Landkriegsordnung nicht gelte, dass der Krieg sich so weitgehend von den Sowjetbürgern ernähren werde, dass Millionen von ihnen (wohlgemerkt: Zivilisten!) deshalb sterben würden sowie dass es sich um eine mit mörderische Vertreibung einhergehende rassistisch-chauvinistische Landnahme handle. All dies ist in den protokollarischen Notizen Hallers klar dokumentiert.

Alle mörderischen Dekrete und Memos zum "Generalplan Ost" und dem "Unternehmen Barbarossa" lag der Generalität vor. Und nicht einer von ihnen protestierte, nicht einer! Dies zumal, obgleich 1941 niemand von ihnen mit einem Protest Leib oder Leben riskiert hätte. Nicht 1941!

Hatten ähnliche Informationen "normale deutsche" Soldaten auch? Hätten sie sich dem ähnlich risikolos entziehen können? Mitnichten! Ich weiß, dass mein Großvater, als er den Berufungsbefehl bekam, naiv in die Stadtbücherei ging und sich massenhaft russische Klassiker auslieh, weil er meinte, er müsse doch wissen wie die Leute dort tickten, wenn er in ihr Land geschickt werde. Völkermord hat er wohl nicht auf dem Plan gehabt. (Er hatte auch Glück und war Funker bei einer Versorgungeinheit.) Sein Weltradius langte damals vom Bergischen zu einer einzigen "weiten Reise", einer fünftägigen Hochzeitsreise nach Heidelberg.

Ist das vergleichbar?

Das ist Geschichtsrevisionismus! Es ist die Leugnung der primären Verantwortung der reaktionären Eliten, genau wie auch zufällig vergessen wird, dass der Nazismus von den angelsächsischen Eliten als "Bollwerk gegen den Bolschewismus" begrüßt wurde - bis 1940, teilweise auch darüber hinaus noch. Es gab immer wieder Erwägungen eines Separatfrieden in den USA und England und die Überlegung, ob nicht eine so große Schädigung der Sowjetunion wie möglich eine gute Seite dieses Nazismus sei.

Alles vergessen, nicht wahr? Anscheinend ist, bei aller nötigen Kritik am Stalinismus, mit dem Fall der Berliner Mauer auch alles kritische und emanzipative Bewusstsein aus unserer Befassung mit dem Nazismus geschwunden!

Demokratiedefizite und Elitenkritik ist offensichtlich selbst hier nicht mehr gewünscht. Denn wenn natürlich auch "gewöhnliche Deutsche" hundertausendfach an Verbrechen beteiligt waren und es viele subalterne Hitlerbewunderer gab, so ist das Scheitern der Weimarer Republik, die Machtantragung an Hitler und der Nazismus in Gänze vor allem ein verbrecherisches Versagen der deutschen Eliten in Politik, Militär und im deutschen Kapital gewesen.

Will man das nicht mehr sehen, weil wir wieder mit hundertmillionen Beinchen in die nächste Abschlachterei und den nächsten Krieg gegen Russland getrieben werden? Darf man deshalb auch inzwischen, sogar auf vermeintlich "alternativen" Plattformen Nolte rechts überholen und so tun, als sei die Sowjetunion, gegen die einen Vernichtungskrieg zu führen von Anfang an Kernelement der NS-Politik war, mit zu den Verursachern des Zweiten Weltkrieg gehört habe, der erst durch den Angriff auf sie zu dem gigantischsten Verbrechen aller Zeiten wurde, ohne den auch die Judenvernichtung so nicht denkbar gewesen wäre?

Selbst hier noch zeigt sich, wie gandenlos Deutschland nach ultrarechts gerückt ist - und da hilft keine gendernde Symbolpolitik dabei, den üblen Chauvinismus (in der Sozial-, derr autoritären Europapolitik und der neoimperialen Kriegspolitik) noch weiter zu kaschieren.

Selbst hier: Geschichtsrevisionismus, Elitenapologie und Revanchismus.

Deutschland mir graut vor Dir!

Bewerten
- +
Ansicht umschalten