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  • 1FC

mehr als 1000 Beiträge seit 02.02.2011

Re: NATO vs. Vereinte Nationen

Ich fand es schon etwas merkwürdig, das die US-Regierung ein paar Tage vor dem russischen Angriff, deutlich betonte das der sich abzeichnende Krieg kein Bündnisfall für die NATO wäre.

Mensch Muellmann, du mischst da eine einzelne Regierung (USA) mit einem ganzen Länder-Bündnis (NATO).
Warum das denn?

Es gibt verschiedene Deutungsmöglichkeiten

Nein, die gibt es in diesem Fall eher nicht!

Allgemein:
Der NATO-Rat kommt nach schwerwiegenden militärischen Vorfällen oder mit Blick auf besondere sicherheitspolitische Ereignisse.
In der NATO gilt das übrigens das Konsensprinzip, d.h. die Entscheidungen werden einstimmig getroffen. Siehe dazu z.B. die anfängliche Blockade der Türkei, Schweden aufzunehmen. Oder (u.a.) Merkels Veto 2008, Gespräche mit der Ukraine aufzunehmen.

Konkret:
Angenommen ein Mitgliedsland sieht seine Sicherheit bedroht, dann kann dieses Land den Rat anrufen und eine gemeinsame Beratung einfordern. Das ist im Artikel 4 des NATO-Vertrages geregelt (*).

Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sind.

Mal am Rande gefragt: Hatte hier das etwa keiner auch alles in der Schule gelernt? Bei mir war das jedenfalls noch Thema im Politikunterricht… Daher mal extra ganz ausführlich:

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Zum russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 und zum Thema Bündnisfall:

Ich fand es schon etwas merkwürdig (…) das der sich abzeichnende Krieg kein Bündnisfall für die NATO wäre.

Das ist nicht merkwürdig, das ist nun mal so. Alles klar geregelt.
Was meinst du denn eigentlich, weshalb Putins Propaganda (die übrigens nicht nur durch Prigoschin und die Donbass Leaks auch als solche schon lange entlarvt ist) ständig das NATO-Thema, „rote Linien“, „Bedrohung“ und weiteres derartiges Gesülze von sich gab!? Genau: Damit Russland bzw. Putin seine verlorene Ukraine zur Not mit Gewalt zurückholen kann, nachdem die sich ja immer abtrünniger verhielt und sich Richtung EU und NATO öffnete. Mit der Ukraine in der NATO wäre Russlands Einmarsch nämlich ziemlich sicher ein Selbstmordkommando gewesen. Dann wäre über Moskau ein kräftiges Feuerwerk niedergeprasselt… Hätte Putin niemals riskiert. Auch nicht als Atommacht. Die wären schneller zerstört gewesen als Russland die hätte zünden können.

In dem Zusammenhang mal etwas von Artikel 5 NATO-Vertrag gehört? Das ist der Artikel zum Thema Bündnisfall, hättest du einfach selbst nachlesen können:

Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffes jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechtes der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, (…)

Tja, kein Verbündeter = kein Bündnisfall. Ganz einfach.
Was meinste denn, weshalb z.B. Finnland und Schweden auf einmal unbedingt der NATO beitreten wollten!? Genau: Weil die auf einmal gemerkt hatten, daß da ein völlig unberechenbarer Nachbar sämtliche Abkommen bricht und unbeirrt ins Nachbarland einmarschiert.

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(*)
So! Was ist stattdessen im Februar 2022 bzgl. NATO passiert? Folgendes:
Bulgarien, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und die Slowakei haben am 24. Februar 2022, also nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, genau solch eine Artikel-4-Konsultation beantragt. Das Ergebnis war / ist, die Ostflanke stärker zu sichern. Deutschland z.B. führte als NATO-Mitglied z.B. die multinationale NATO-Battlegroup in Litauen, stationierte z.B. Luftabwehr in der Slowakei oder entsandte Eurofighter nach Rumänien und Estland.

Da hatte die US-Regierung also nicht sonderlich viel mit zu tun. Jedenfalls nicht mehr und nicht weniger, als die anderen NATO-Staaten.

Anfänglich hatten so gut wie alle Länder die Ukraine abgeschrieben. Erst als die russische Armee sich als schlechter und die ukrainische Armee sich als besser als erwartet bewiesen hatten, gab es doch immer mehr Unterstützung durch die "internationale Gemeinschaft".

Jetzt biste bei nem ganz anderen Thema. Das hat nichts direkt mit der NATO zu tun, auch wenn natürlich unter den Unterstützerländern NATO-Länder dabei sind. Das liegt auch ein Stück weit an der Tatsache, daß der Krieg nun mal in Europa stattfindet und die meisten EU-Länder gleichzeitig auch NATO-Mitglieder sind. Deshalb werden diese Nationen logischerweise auch in den vorhandenen Strukturen der NATO koordiniert. Macht ja auch Sinn in dem Fall. Nichtsdestotrotz unterstützen auch jede Menge Nicht-NATO-Länder die Ukraine, denn die (militärische) Unterstützung hat nichts direkt mit der NATO zu tun (s.o.), sondern leitet sich aus den Verträgen der Vereinten Nationen ab. Richtigerweise insgesamt von dir auch als „internationale Gemeinschaft“ bezeichnet. So isses!

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Zusammengefasst:

A) NATO Bündnisfall?
Nein, stand nie wirklich zur Debatte. Angela Merkel hatte das Thema 2008 sowieso auf unbestimmte Zeit begraben (auch wenn es danach Kooperationen gab, was aber nichts ungewöhnliches ist). Es gab also auch gar keine konkrete bzw. direkte „Bedrohung“ für Putins Russland (-> Propaganda-Märchen). Sollte Putin dies so empfunden haben, ist es sein persönliches Problem / Gefühl. Kein Grund jedenfalls irgendwo einen Krieg anzufangen.

B) Unterstützung durch eine „internationale Gemeinschaft“?
Ja, das regelt die UN-Charta der Vereinten Nationen
—> https://www.telepolis.de/forum/Telepolis/Kommentare/Ist-das-der-Anfang-vom-Ende-des-Ukraine-Kriegs/Re-UN-Charta-regelt-das/posting-43320163/show/

In diesem Sinne Kölle Alaaf, Baxter

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