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  • Joshi

mehr als 1000 Beiträge seit 26.06.2001

Wie der Wahl-o-Mat-Algorithmus funktioniert bzw. wo die Probleme wirklich liegen

SpaceCadet schrieb am 18.09.2021 18:02:

Denn interessant wären die zugrundeliegenden Algorithmen dieser Dinger, sowie ihre Herausgeber, sowie das politische Interesse, solche "Wahlhelfer" zu lancieren.
Die Gewichtung einzelner Fragen, sowie die Bevorzugung bestimmter Parteien, etc. pp.

Vom Wahl-o-Mat, der ja der mit riesigem Abstand meistgenutzte Wahleinflüsterer ist, kann ich es Dir sagen. Der Algorithmus dort ist tatsächlich extrem simpel, der Kern kann durch eine einfache Tabelle ausgedrückt werden:

| + | = | - --+---+---+-- + | 2 | 1 | 0 --+---+---+-- = | 1 | 2 | 1 --+---+---+-- - | 0 | 1 | 2 --+---+---+-- > | 0 | 0 | 0

Die drei Spalten "+" (Zustimmung) "=" (neutral) und "-" (Ablehnung) stehen für die drei möglichen Standpunkte, die die Parteien zu jeder These einnehmen können.
Die vier Reihen stehen für die eigene Antwort - da hat man genau die gleichen Optionen plus zusätzlich die Möglichkeit, die These schlicht zu überspringen ">", dann erhält jede Partei "0" Punkte (siehe letzte Zeile) und die Frage geht somit quasi schlicht nicht in's Ergebnis ein.

Nun muss man einfach nachschauen, was in der entsprechenden Zelle steht:
Wenn man selbst einer These zustimmt, und Partei X dies ebenfalls getan hat (zweite Zeile, zweite Spalte), dann bekommt die Partei bspw. 2 Punkte. Hat die partei hingegen "neutral" gewählt, dann bekäme sie einen Punkt (zweite Zeile, dritte Spalte)

Der Scoring-Algorithmus des Wahl-o-mat bevorzugt daher weder irgendwelche Parteien, auch werden die einzelnen Thesen erst einmal alle gleich gewertet, er ist im Grunde tatsächlich neutral.

Die Probleme des Wahl-o-mat kommen anderswo her, bspw:

- die Option "neutral" ist sehr problematisch und die Bewertung fragwürdig. Die "Partei für Gesundheitsforschung" bspw. nutzt das aus und beantwortet immer jede Thesen mit "neutral". Dadurch kommen sie im Ergebnis immer auf mindestens 50%.

- Statt "neutral" wäre es für den Benutzer fast immer sinnvoller, die Option "überspringen" zu nutzen, und sich auf die Fragen zu konzentrieren, die einem wirklich wichtig sind. Das erlaubt der Wahl-O-Mat aber nur in sehr geringem Umfang - sobald man mehr als X mal "überspringen" gewählt hat, weigert er sich schlicht, ein Ergebnis anzuzeigen. Und das, obwohl es in Wahrheit nur in einem einzigen Fall unmöglich wäre, ein Ergebnis zu berechnen, nämlich wenn man bei absolut jeder Frage "überspringen" wählen würde. Also wählen die meisten Leute statt "überspringen" "neutral", wenn sie unschlüssig sind, und verwässern dadurch massiv ihr Ergebnis.

- Dass man beim Wahl-O-Mat Thesen nur einfach oder doppelt gewichten kann, verfälscht das Ergebnis zusätzlich und besonders stark. Statt den Fragen, die einem wirklich extrem wirklich sind, auch eine entsprechend hohe Gewichtung geben zu können, zählen die Themen, die einem extrem wichtig sind maximal doppelt so viel wie Themen, wie einem komplett am Arsch vorbei gehen.

- Massive Macht hat man durch die Auswahl der Fragen. Wo nur irrelevante falsche Fragen gestellt werden, kann man auch kein gutes Ergebnis bekommen. Nehmen wir den Wahl-o-Mat zur Bundestagswahl: Obwohl Corona seit 1,5 Jahren das alles beherrschende Thema ist und damit extrem fragwürdige politische Entscheidungen verbunden sind, gibt es beim Wahl-o-Mat nur eine einzige These, die überhaupt irgendwie mit Corona zu tun hat. Und bei dieser These geht es quasi darum, ob der Impfstoff weiter durch Patente geschützt sein soll - was den meisten Wählern komplett schnurzpiepegal sein dürfte, weil es ihr eigenes Leben herzlich wenig tangiert.

Fazit: Obwohl der Bewertungsalgorithmus des Wahl-o-Mat erst einmal neutral ist und alle Thesen und alle Parteien gleich bewertet werden, macht es der Wahl-o-Mat dem Benutzer schwer bis unmöglich, die Parteien zu finden, die sich bei den Themen, die einem wirklich wichtig sind, den eigenen Standpunkt vertreten.

Die meisten dieser Probleme könnte man durchaus recht leicht beheben, wenn man wollte. Aber man will nicht - und versucht sogar so gut es nur geht zu verhindern, dass es alternative Angebote gibt, die die gleiche Datenbasis nehmen, aber bessere Ergebnisse produzieren. Unter'm Strich ist der Wahl-o-Mat gewissen etablierten Parteien einfach näher als anderen.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (18.09.2021 19:57).

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