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  • sixtus-messer

3 Beiträge seit 22.03.2009

Wechsel der Diskursebene

Vielleicht sollten anlässlich des Lindemann-Medien-Skandals endlich auch mal andere Diskursebenen aufgesucht werden? Dort wäre dann (unabhängig von Gerichtsentscheidungen) Kritik möglich.
Schon im Jahr 2004 hatte Ivan Novak in einem Interview angemerkt, dass RAMMSTEIN quasi LAIBACH für Kinder sei (und eben LAIBACH dann RAMMSTEIN für Erwachsene).
Ich würde es anders formulieren: LAIBACH vermag (im Idealfall) eine Balance zwischen dionysischen und apollinischen Elementen herzustellen, hingegen gibt es bei RAMMSTEIN apollinische Defizite. Und jetzt die Kritik:
Nietzsche ist mit seinem Rückgriff auf antike Mythen zu einer Psychologie des Orgasmus gelangt, die er aus dem Dionysischem abgeleitet hat. Er hatte bei den Orgasmen die Vision „eines überströmenden Lebens- und Kraftgefühls, innerhalb dessen selbst der Schmerz noch als Stimulans wirkt“ (GÖTZENDÄMMERUNG, http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/GD-Alten-5). Damit (bzw. mit den Saturnalien) ist auch eine zeitweise enthemmte und ekstatische Selbstaufgabe an eine Gottheit (an die Natur) und ein Eins-Werden mit ihr verbunden. Die „Außer-Kraft-Setzung der lebenserhaltenden Ordnungsgewalt des Individuationsprinzips, das triebhafte Durchbrechen aller kultureller Schranken“ hat „etwas von dem, was Nietzsches Vorstellungen von Sinnlichkeit“ und seine „Lust-Ästhetik“ prägen (vgl. DENKUMBRÜCHE MIT NIETZSCHE. ZUR ANSPORNENDEN VERACHTUNG DER ZEIT, S. 380-381).
In seinem Erstlingswerk GEBURT DER TRAGÖDIE hatte Nietzsche bereits diese Vorgabe gemacht:
„Unter dem Zauber des Dionysischen schliesst sich nicht nur der Bund zwischen Mensch und Mensch wieder zusammen: auch die entfremdete, feindliche oder unterjochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem Menschen. […]
Jetzt ist der Sclave freier Mann, jetzt zerbrechen alle die starren, feindseligen Abgrenzungen, die Noth, Willkür oder „freche Mode“ zwischen den Menschen festgesetzt haben. […]
Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden: die Kunstgewalt der ganzen Natur, zur höchsten Wonnebefriedigung des Ur-Einen, offenbart sich hier unter den Schauern des Rausches.“ (http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/GT-1)
Ich bezweifele, dass auf den After-Show-Partys von RAMMSTEIN sich Feierlichkeiten vollzogen haben, die auch nur annähernd Nietzsches Vorstellungen vom „Zauber des Dionysischen“ entsprechen. Solche Ereignisse müssten jedoch Musiker (Musikerinnen und Fans), die auf hohem kulturellem Niveau stehen, eigentlich anstreben.
Der (kulturkritische) Vorwurf gegen Lindemann lautet also: er ist verkommen (dekadent).

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