Der Grad der Kriegsmüdigkeit der Russen spielt keine Rolle. Warum sollte er auch.
In einem repressiven System ist die Meinung der Bevölkerung sekundär. Die Regierung kann sehr lange tun, was es will, solange der Herrschaftsapparat insbesonders Medien, Geheimdienst und Polizei hinter ihm steht, mit dessen Hilfe das Volk unterdrückt und desinformiert wird. Ganz besonders gilt das in größeren Ländern, in dem sich das Volk auch nicht ohne weiteres über das ganze Land hinweg mobilisieren kann. Auch innerhalb des Militärs ist Widerstand - sah man bspw. auch in Nazi Deutschland - selbst wenn dessen Mehrheit dem Krieg bestenfalls Neutral gegenübersteht schwierig zu organisieren.
Für den Ausgang des Krieges spielt die Kriegsmüdigkeit eines Landes aber sowieso keine Rolle. Bei einem Abnützungskrieg, in dem wir uns hier eindeutig befinden, sind andere Faktoren entscheidend.
In erster Linie sind hier die wirtschaftlichen Ressourcen und die Technologie entscheidend. Ein Land kann noch so kriegsgeil sein, es wird den Krieg verlieren, wenn es in einem Abnützungskrieg mit einem deutlich stärkeren Gegner konfrontiert ist. In einem modernen Krieg geht es hierbei nicht um zahlenmäßige Stärke, die Mobilisierung eines Millionenheeres, das nicht vernünftig bewaffnet im Feld steht. Ein solches nützt nur den Verluststatistiken. Ein Sieg ist bei einer eklatanten technologischen Schwäche unmöglich. Hier nützen "Leuchturmprojekte" technologisch fortschrittlicher Waffen nichts, wenn diese nicht in Stückzahlen produziert werden können - hier hat Russland den Nachteil, dass es nicht mehr an moderne Chiptechnik kommt.
Im Moment zehrt Russland von den Reserven des Sowjetreichs und setzt die in 70 Jahren aufgehäuften Militärgüter ein. Diese sind aber endlich. D.h. Russland hatte initial einen deutlichen Überschuss, der aber inzwischen erkennbar reduziert ist. Mit dieser Überlegenheit hätte es einen schnellen Sieg erzwingen müssen, um zu siegen, was nicht gelungen ist.
Jetzt wirkt die Stärke der Wirtschaftskraft zunehmend auf Seiten der Ukraine, die auch technologisch in Relation immer moderner ausgestattet wird. Die Unterstützer der Ukraine, selbst wenn der eine oder andere ausscheren würde, was zur Zeit kaum absehbar ist, verfügen über mehr als die 20fache Wirtschaftskraft Russlands. Übersetzt bedeutet das, dass jedes einzelne Unterstützerland nur 1/20tel der Wirtschaftsleistung, die Russland aufbietet investieren muss, um mit dessen Investitionen gleichzuziehen. Sprich wenn Russland 10% seiner Wirtschaftsleistung investiert, brauchen die Länder nur 0,5% investieren...
Die Kriegsmüdigkeit der Ukraine steht auf einem anderen Blatt. Die Strategie der Russen mit strategischer Bombardierung ziviler Ziele hier eine Kriegsmüdigkeit zu erreichen, wird vermutlich genauso wenig funktionieren, wie im zweiten Weltkrieg die Strategie von "Bomber Harris". So etwas schweißt im Gegenteil zusammen und fördert die Entschiedenheit des Widerstands - auch weil die Zivilbevölkerung dadurch immer abhängiger von der Regierung wird. Da die Zentren der wirtschaftlichen und technologischen Kraft außerhalb der Ukraine liegen, sind diese außer Reichweite der Russen.
Die Möglichkeiten Russlands gegen die Zentren der wirtschaftlichen Kraft vorzugehen - sprich EU/USA/Japan usw. anzugreifen - sind gering und wären selbstmörderisch.
Eine Doomsday Variante, auch die Drohung damit ist nicht glaubwürdig, da zum einen die Existenz des eigenen Reiches keineswegs in Gefahr ist, zum anderen die Gegenabschreckung wirkt. Sprich man würde quasi damit drohen eine Sprengstoffweste zu zünden, die man anhat, wenn sich der gegenüberstehende Angreifer nicht ergibt, der auch eine hat und mit dem gleichen droht.
Was kann passieren. Russland kann den Abnützungskrieg natürlich lange führen - unter zunehmend größeren Verlusten. Die Ukraine kann den Krieg so lange führen, wie es von den stärkeren Mächten unterstützt wird. Das Ergebnis als "Sieg" zu verkaufen wird für Russland je höher die Verluste werden - auch die ökonomischen - immer schwieriger und für das Regime immer gefährdender. Da Russland hier keinen Krieg für das Mutterland führt, anders als die Ukraine, wird die innerstaatliche Motivation und Akzeptanz je höher die Verluste werden abnehmen. Solange der Repressionsapparat weiter seine Privilegien hält kann es sich aber an der Macht halten. Erst wenn die Verluste für diesen spürbar werden - angefangen damit, dass die Kinder nicht mehr im Westen studieren können, keine iPhones mehr verfügbar sind -, wird es für das Regime schwierig. Sprich wenn sich der Repressionsapparat zunehmend spaltet/abwendet.
Rein Militärisch wird Russland vermutlich Mitte nächsten Jahres eindeutig verloren haben und einen Großteil seiner Eroberungen verloren haben. Ob es diese Niederlage anerkennt und in einen Verhandlungsfrieden einwilligt, ist aber fraglich.
Für das Putin Regime ist das Problem der Zwang zum Erfolg. Eine Niederlage würde den Nimbus der "Männlichkeit" und "Stärke" zerstören und evtl. auch zu einer Zerstörung des Regimes führen, weshalb eine Anerkennung für dieses schwierig wird.
D.h. es kann auf eine lange Zeit "blutige Grenze" hinauslaufen.