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  • deedl

680 Beiträge seit 16.05.2014

Re: WTF!?!

Ich gebe dir durchaus Recht, jede kleinere Grupenzugehörigkeit schaffte eine insgesamt größere Grenzreibungsfläche zwischen den sozialen Einheiten und all diese Grenzflächen sind Konfliktpotentiale.
Daraus würde dann aber doch wohl folgen, dass bei einer Gesamtweltstaatlichkeit diese Grenzflächen wegfallen würden.

Im Gegenteil. Gesamtstaatlichkeit bedeutet, mehr Interaktion, mehr gemeinsame Entscheidungsfindung und mehr zu lösende Konflikte. Schon in der EU ist zu erkennen, dass EU-weite Lösungsänsätze oft an den verschiedenen Bedürfnissen der Einzelstaaten vorbeigehen. Wie soll das erst auf Weltebene funktionieren?

Wenn das aber nicht der Fall ist, stellt sich die Frage, was die realen oder natürlichen Grenzen zwischen den unvereinbaren Teilgruppen sind. Die Grenzziehung einfach aufgrund von historischen Machtverhältnissen scheint mir da erst einmal kein so ganz einsichtiges Konzept zu sein.

Dafür gibt es ein Selbstbestimmungsrecht der Völker, die darüber abstimmen können, ob sie unabhängig sein wollen oder nicht. Übrigens ist eines der Hauptprobleme der Migrationsdebatte, dass es nie eine demokratische Abstimmung darüber gab, ob Deutschland zu einem Einwanderungsland werden soll.

Unüberwindbare ethnische und kulturelle Grenzen, darüber lasse ich gerne mit mir reden, aber was haben diese nun denn mit den vor allem erst im 19ten Jahrhundert festgezurrten Nationalstaaten zu tun?

Dass die Nationalstaaten entlang dieser kulturellen Grenzen entstanden sind. In der vorangegangenen feudalen Ordnung waren Staaten als Herrschaftsgebiete eines feudalen Herrschers bloße Ansammlungen von Völkern und Menschen. Im Zuge der Nationalisierung haben kulturell eng verwandte Volksgruppen fusioniert (Deutschland, Italien) wären durch bloße Macht zusammengehaltene Vielvölkergebilde zerfallen sind (Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich). Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass der Nationalstaat elementar für die Demokratisierung des Abendlandes war, denn ethnische Homogenität bedeutet, dass es erstens eine gemeinsame Sprache und Öffentlichkeit gibt, um öffentliche Debatten zu führen, und zweitens dass Wahlentscheideungen anhand inhalticher Kriterien und nicht nach ethnischer Zugehörigkeit getroffen werden.

Außer in dem Fall, dass es ethnische Unverträglichkeiten gäbe, wäre die Überwindung der Nationalstaatlichkeit mein bevorzugtes Weltzukunftsmodell.

Was soll das bringen? Noch mehr imperiale Machtkonzentration, noch weniger Einflussnahme lokaler Gruppen auf ihre Geschicke, noch mehr Bürokratie, noch mehr Machtmissbrauch, noch mehr dysfunktionale Kompromisse. Ich sehe die Lösung eher in einer Stärkung der unteren Ebenen. Entscheidungen sollten dezentral und demokratisch getroffen werden.

Schon die EU zeigt, dass ohne gemeinsamen Sprachraum und damit ohne gemeinsame Öffentlichekit der Raum fehlt, in welchem zu politischen Themen eine öffentliche Debatte stattfinden kann. Es gibt keine EU-weite Öffentlichkeit, und so gibt es keine EU-weiten Debatten. Ich kann mich aufgrund der Sprachbarriere nicht mit einem beliebigen EU-Bürger über unser Zusammenleben austauschen. Die ginge zwar auf Englisch, aber die Notwendigkeit, auf eine Drittsprache auszuweichen, würde mit dem Preis des Verlustes seiner und meiner kulturellen Identität einhergehen.

Meiner Beobachtung nach steht das Konzept der nationalen Identitäten und damit eben auch nationaler Interessen der Lösung globaler Probleme massiv im Weg.

Eine globale Lösung für irgendwas ohne Berücksichtigung nationaler Interessen kann es nicht geben, genausowenig wie es eine globale Lösung ohne Berücksichtigung individueller Interessen geben kann.

Wenn du hier die Vereinigten Staaten von Amerika als ein Beispiel nennst, warum dann nicht als das so schnell wie möglich anzustrebende Ziel, die Vereinigten Staaten der Erde?

Jede zusätzliche staatiche Ebene verringert den Einfluss des Individuums auf sein Gemeinswesen. Ich sehe die Lösung eher in einer Dezentraliserung mit weniger Gängelung durch korrumpierte politische Betriebe und gesichtslose Bürokraten. Die EU ist ein undemokratischer Scherbenhaufen. Ich würde die EU auf ein Abkommen zum freien Personen- und Güterverkehr ersetzen und selbst auf Bundesebene einige sinnlose Ministerien streichen. Wir benötigen nicht noch mehr staatlich Bürokratie, sondern mehr individuelle Freiheiten und mehr Spielraum für lokale demokratische Gestaltung.

Du sagtest selbst, dass der Mensch ein Rudel- und kein Herdentier sei. Was soll es da bringen, alle Menschen der Welt in einer gigantischen Super-Herde zusammenzupferchen.

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