Ansicht umschalten
Avatar von alexf38
  • alexf38

368 Beiträge seit 15.01.2017

Herr Schoenmakers, ich teile Ihre Ausführungen über weite Strecken,

... auch Ihre Darstellung der Problemursachen, und ich halte Sie nicht, wie viele der Kommentatoren, automatisch für ein neoliberales U-Boot, kann mich aber der mehrfach geäußerten Kritik vieler Kommentatoren nur anschließen, die finden, an dieser Stelle rieche doch etwas merkwürdig:

Neben einer Linkspartei, die lange Zeit nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet wurde

Das ist nicht gründlich und spricht nicht für intellektuelle Lauterkeit. Insbesondere Ihre klare Positionierung "nicht ohne Grund" hätte ein Minimum an Ausführungen verdient. Sie unterschlagen, dass diese Beobachtung von ganz oben als unrechtmäßig anerkannt und gekippt wurde.

Ich sehe in den letzten Jahren nur eine einzige Partei, die konstruktive Oppositionspolitik zum Wohl der Schwächsten und zum Schutz des Grundgesetzes betreibt, durch Enthaltung und Gegenstimmen bei großen Vorhaben, durch zahllose, lästige kleine Anfragen im Bundestag, die für den Bürger offenlegen, was im Hintergrund zu seinen Ungunsten eigentlich beschlossen (oder längst betrieben) wird. Vorläufig glaubwürdig sind für mich Leute, die den Mut haben, der Bundesregierung gegenüber in ihrer Kritik so laut und frech aufzutreten, dass sie sich selbst wissentlich von vornherein für eine Regierungsbeteiligung disqualifizieren, weil ihnen ihre Sicht der Dinge wichtiger ist, als an die Macht zu kommen. Dass die Linke identitätspolitisch vernebelt und ihre Position in der Flüchtlingsfrage der Bevölkerungsmehrheit nicht vermittelbar ist, ist ein anderes Problem. Es gibt auf der Welt zwei ewige Probleme: Krieg und Frieden, Armut und Reichtum. Einzig die Linke bedient diese Themen und ist hier konsequent unbequem.

Sie suchen, so verstehe ich Ihren Artikel, eine Partei, die "konsequent und konstruktiv" Oppositionspolitik betreibt.

Aber das?

... leistete lediglich die FDP zuletzt konsequente und konstruktive Oppositionspolitik – eine Partei, die im besten Fall auf untere Zehn-Prozent-Werte kommt. Es ist kein Zufall, dass sich bis auf letztere die Plakate der Parteien bis zum Verwechseln gleichen, sieht man von den Farben ab (und davon, dass die AfD den Ton der CDU vor 20 Jahren imitiert).

Sie können das nicht ernst meinen. Die FDP, konstruktive Oppositionspolitik? - Auch hier würde man doch gern von Ihnen lesen: Worin besteht die, außer folgenloser Abgrenzung auf der Oberfläche der Sprache?

Die FDP und ihre Klientel sind nur selbst grad nicht nah genug am Kuchen dran, genau wie die AFD. Die beiden besten Plätze haben CDU und SPD für sich und ihre Profiteure reklamiert, die Grünen dürfen längst auch ein bisschen ran; und diese Platzhalter wollen auch weiterhin allein darüber entscheiden, wem sie in ihrer politischen Ausrichtung den größten Gefallen tun können (und wem ganz sicher nicht). Käme die FDP an einen der ersten Plätze am Fleischtrog, würde sie genauso eigenschaftslos und austauschbar wie Union, Grüne und SPD und die von Ihnen genannte Vermengung von Information und Propaganda weiter vorantreiben.

In Berlin gastiert eine wechselnde Gruppe von Selbstbedienern, die sich mit vollen Händen aus einem großen Geldnapf bedienen. Hinter ihnen stehen Konzernspitzen der Schlüsselindustrien, Auto, Pharma, Rüstung, Landwirtschaft. Parteien sind nichts als Gruppierungen, die überdauernd eine bestimmte Klientel durch vorteilhafte Gesetze begünstigen und dafür sorgen, dass deren Konkurrenten weniger zum Zug kommen. Ich bin sicher, dass Sie das wissen, Herr Schoenmakers. Es ist ein systeminhärentes Problem, und zweifellos wird jede Ü5%-Prozent-Partei den Verlockungen des Systems erliegen, auch die Linke wird sich, fürchte ich, daran verbrennen.

Die gegenwärtigen Propagandamechanismen, die die Voraussetzungen stellen, um weiterhin Krieg als Friedensmissionen verschleiern, Lobbyismus als Schutz der Bevölkerung und wachsende Verelendung als selbstverschuldetes Versagen verkaufen zu können, sind nicht ohne weiteres durch kleine Reparaturen am "Systemuhrwerk" zu entfernen. Sie werden in anderem Kleid unter anderem Namen zurückkommen. Vor dem Hintergrund der von Ihnen selbst beschriebenen Probleme, mehr noch vor dem des Klimawandels, der uns allen die Lebensgrundlage nehmen wird, ist das System als Ganzes zu hinterfragen. Die Frage ist dabei weniger, wie schnell und wie gründlich wir jetzt alles ganz super umbauen können, ohne unseren Lebensstandard zu gefährden ("Lebensstandard", auch eine Art Mantra), sondern jetzt, wenige Tage vor der Bundestagswahl, wie lange wir noch so wie bisher weitermachen sollen.

Die FDP ist spätestens seit Mitte der Achtziger eine reine, neoliberale Günstlingspartei und wird ganz, ganz sicher nicht das System verändern wollen, von dem sie profitiert.
Unter den gegebenen ernsthafteren Wahlalternativen wird die Systemfrage einzig von der Linken gestellt. Das ist der Grund, warum ich diese Partei wähle, auch wenn ich in Flüchtlingsfragen und der Überbewertung identitätspolitischer Themen uneins mit ihr bin.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten