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mehr als 1000 Beiträge seit 10.10.2000

Wann war Deutschland jemals erträglich?

Es mag in der BRD eine kurze Phase zwischen 1968 und 1980 gegeben haben, da schien teilweise, aber auch nur teilweise ein anderes Deutschland möglich, in dem ausnahmsweise nicht spießbürgerlicher Muff hätte vorherrschen müssen. Die ging aber spätestens mit der Welle, die Thatcher, Reagan und Kohl hochspülte, zu Ende. Nach 1990 wurde es eigentlich nur noch jedes Jahr immer peinlicher. Die Schleifung des Asylrechts, das aufgrund der bitteren Erfahrungen mit der Nazidiktatur eingeführt worden war, und das politische Totalversagen der europäischen Friedensarchitektur bei den jugoslawischen Sezessionskriegen sind im Nachhinein betrachtet schon die ersten Hinweise auf die enthemmte Barbarei, die vom Westen seit 2001 entfesselt wurde, und durch ihre offensichtlichen Widersprüche zwischen den ad nauseam gross gepredigten humanistischen Ansprüchen und den brutalen, an partikulären Eigeninteressen orientierten Handlungmaximen das gesellschaftliche Fundament, auf dem das eher schwache demokratische Modell des Parteienrepräsentativismus ruht, nachhaltig beschädigt haben. Wenn die gesetzten Wahrheiten des gesellschaftlichen Konsens, die allgemein akzeptierte oder geduldete Grundlage, unheilbare innere Widersprüche offenbart, dann bricht der darauf aufbauende positive Rationalismus in sich zusammen und Fundamentalskeptizismus blüht auf - ein Skeptizismus, der noch befeuert wird durch ein stolzes Ignoranten- und Fachidiotentum, das nicht mal den Skeptizismus vernünftig hinbekommt. Und dies, nachdem bereits das sozialistische Lager als Versprechen einer besseren Alternative an den inneren Widersprüchen seiner Praxis gescheitert war. Es folgt also die Wiederhinwendung an überwunden geglaubte Aberglauben der Vergangenheit, die falsche, aber leicht verständliche Erklärungsmuster für eine den Ignoranten unverständlich gewordene Welt bieten, wie Religionen, Nationalismen, und den Glauben an irgendwelche "bösen Mächte" die hinter all den Verwirrungen stehen, genau wie die um sich greifende Beliebtheit von bedeutungsschwangerer, aber weitgehend ergebnisloser, wenn nicht kontraproduktiver Fetischisierung von Symbolik anstelle von wirklich gesellschaftsverändernden Handlungen.
Dies ist ein Phänomen, das in der gesamten westlich geprägten Welt zu beobachten ist, bis hin zu den Konvertiten aus dem ehemaligen staatssozialistischen Lager.

Das Mißtrauen ist also berechtigt, denn es ist an den zelebrierten Irrtümern, Lügen und Halbwahrheiten der Gesellschaft gewachsen. Die Aggression resultiert aus der Frustration. Wenn es einen Zustand im Leid aber kein sinnvolles Ziel als Ausweg gibt, dann gibt es auch keine Wege, die dorthin führen würden, aber einen immer stärkeren Drang, weg vom Status Quo hin zu irgendetwas besserem zu kommen. Man bewegt sich also im Kreis und rudert aufgeregt mit den Armen. Deshalb auch die Auswanderungssymbolik. Man weiß, daß es sinnlos ist, man will es auch gar nicht, träumt aber trotzdem davon.

Als allererstes sollte man vielleicht den Computer, das Smartphone und den Fernseher ausschalten und die Zeitungen den Fischhändlern überlassen, und ein paar Wochen lang darüber nachdenken, was man wirklich weiss und was man glaubt zu wissen, weil es irgendwo behauptet wurde - und dann kann man vielleicht anfangen, sich Menschen zu suchen, um mit ihnen über die Welt zu reden. Also in echt, und nicht in einer Diskussionssimulation wie diesem Forum.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (19.09.2021 14:06).

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