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Avatar von Aneri_2021
  • Aneri_2021

590 Beiträge seit 07.10.2021

Re: Russland bedarf einer Neubewertung der eigenen Rolle in Europa.

Danke für die ausführliche Antwort. Ich habe viele Einwände, die ich aber nicht einzeln angehe, weil es würde digitalen Raum sprengen 😉.

Kurz für Dein Vorwurf in einer Blase zu leben. Ich glaube es nicht, weil vom Charakter schon bin eher Person, die vermeidet die Clique-Bildung, die ist interessiert, warum mein Gegenredner so denkt und redet und nicht anders. Gerade gegnerische Meinung hier ist interessant. Meine Interesse für die Psyche des Menschen hat sich in letzten 2 Jahzehnten gewandert auf die Gesellschaft, die ich eben nicht als Summe der Menschen verstehe, sondern da ergibt sich etwas mehr (nach Aristoteles). Auch evolutive Prozesse in der Gesellschaft (aber auch allgemein) sind in Zentrum meiner Aufmerksamkeit. Dieses alles verlangt eine Abstraktionsfähigkeit, die – so glaube ich – hilft mir in emotionalem Meer bei Bewertung nicht versinken. So viel über meine Einschätzung eigener Person 😊.

Aber auch die eigene Erfahrungen spielen eine Rolle. Zum unsrem Thema hilft mir einerseits meine apolitische Vergangenheit in kommunistischem/sozialistischem Lager. Politisiert wurde ich schon später, wann mich mit der Demokratie als Phänomen zu beschäftigen begann, die Vorteile klar erkannte. Und zwar bewusst. So hatte ich erkannt die Bedeutung der Medien in der Demokratie. Und leider muss ich feststellen, dass diese Säule hat nicht nur ein Riss in Fundament bekommen, sondern befindet sich nach meiner Einschätzung am Kippen. Vielleich gibte es etwas Neues im Entstehung, ich erkenne es noch nicht. Was geht den Begriff „Kapitalismus“ an, bin ich überzeugt, dass kapitalistische Beziehungen haben – in Gegenzug zur Planmarkt – die Eigenschaft der Selbstorganisation. Es ist ebenfalls auch klar, dass mit Existenz eines Staates – das den Kapitalismus hervorgebracht hat -, bleibt der Planmarkt als Teil immer dabei (Regierungsaufträge, staatliche Infrastruktur). DieFrage ist eben nur, wie groß darf dieser Teil sein. Ich vermute, es gibt keine einzige für immer Lösung.

Bezeichnend für unsere Differenzen finde ich, dass wir die Vergangenheit jeweils anders sehen. Deshalb auch Gegenwart verschieden deuten. Es spiegelt auch in Kenntnis der wissenschaftlichen Erfolge der SU – und zwar nach Stalin. Pionierleistungn in Raumfahrt, theoretische Physik und andere. Guckst nur die Liste der russischen Nobelpreisträger für Naturwissenschaft und Mathematik. Ich weiss nicht, was hier die Henne und was der Ei ist. Führt Unwissenheit zur einen herablassenden Sicht auf eine Kultur oder ist es die Ablehnung einer Kultur bzw. eines Volkes, die ein klaren Blick stört. Vermute sind es wie bei Henne: es entwickelte (evolvierte) sich in gegenseitiger Unterstützung über längere Zeit. Übrigens dieses herablasendes Blick (aus deiner Erzählung) gilt nicht nur dem Russland sondern China auch. Ich würde sagen, stört mich nicht, glaubst, was du willst. Das Problem jedoch bleibt: Schätzt du falsch ein, richtest danach auch deinen Handlungen. Wenn aber deine Schätzungen falsch waren, na ja, dann greifen Evolutionsgesetze…

Was betrifft asiatische Wurzeln, hast Du recht. Ich habe falsch formuliert. Ja, wie kann man es nennen? Asiatischer Zuwachs?! Jedenfalls der staatliche Körper, der ein Teil des asiatischen Kontinent ohne nennenswerten Gegenwehr absorbiert hat. Du nennst es Kolonisierung. Na ja, da hatten diese Völker wohl Glück. Wieviel von indigener Völker hatten die Expansion der weißen Amerikaner überlebt?! Und beginnst bitte nicht über Krankheiten, die Kolonisatoren mitbrachten. Es geht um physische Ausrotung um die Territorien frei für sich zu machen. Die Verbreitung von Russen in Sibirien ähnelte eher hanseatischem Handel. Auch sie hatten erfolgreich sich seßhaft auf südliche Seite der Ostsee gemacht.

In diesem Zusammenhang erinnere ich an einen – deutschen – Dokumentarfilm über alte sibirische Völker. Man zeigte ihre nomadische Lebensweise. Nur eines hat mich persönlich gekrazt. Es war die Geschichte über Kinder, die wegen der Schule die Familien verlassen müssten und in Schulzeit (ausgenommen Ferien) in Bezirkzentrum in Internat leben. Der Autor war so vertieft in sein Mitleid für diese Kinder, die 2/3 Jahr fernlebten, dass ihm keine Gedanke nach freien Wahl kam. Es hat mich eigentlich entsetzt. Was will man? Die Leute in Rezervaten leben lassen oder geben ihnen eine Wahl? Für mich ist es eine rhetorische Frage.

Deine Passage über Behandlung der anderen Völker in Russland als zweite Klasse entspricht nicht der Realität. Zumindestens für die kommunistische Zeit. Auch was zaristische Russland betrifft, war es nur bedingt der Fall. Aus dem Grund, dass Sibirien ist groß, Lebensbedingungen sind schwer, so die indigener Völker könnten nicht wachsen. Sie stellten keine bzw. keine nenneswerte Konkurenz für neuen Siedler. Gerade in sowjetische Zeit hat es geändert durch Gesundheitsversorgung. Wobei durch schulische Bildung passierte zugleich eine Selektion. Teil Indigener kehrten zurück zu ihrem Ursprung, Teil lebten irgendwie dazwischen, wurden seßhaft, heirateten Russen, blieben aber Natur nah, noch andere folgten weiterer Ausbildung und teilweise hatten großen Positionen in Russlandsbürokratie erreicht (so etwa Schoigu – ehem Verteidigungsminister, jetzt Sekretär des Sicherheitsrats).

Und ja, es gibt noch andere Völker, die schon staatenähnliche Strukturen gehabt hatten, bevor sie in zaristisches Russland integriert wurden. So etwa Tataren, den kann z.B. Elvira Nabiullina repräsentieren, die Präsidentin des russischen Nationalbank, übrigens höhstfähige Person, die den Post aus eigenen Fähigkeiten und nicht durch Quoten erreicht hat. Wenn man auch hier eine Kolonisierung sehen will, dann muss man aber auch an eigene Nase fassen. Russen scherzen, dass sie jetzt die Dekolonisierung Schotlands oder Kataloniens fordern werden. O-oh, ich glaube, da könnte man noch mehr finden, der entkolonisiert werden könnten 😉…

Nächste Ebene wäre die ehem. Republiken, die kolonisiert wurden. Das Thema möchte ich hier doch nicht anfassen. Nur eines solltest du bedenken. Wer hat Sowjet Union aufgelöst? Nicht die kleinen baltischen Republiken, nicht die asiatischen Republiken. Es war Russland, Belaruss und Ukraine. Warum wohl? Weil andere – gerade in schweren Zeiten – wurden als Ballast empfunden, weil sie nahmen mehr als gaben. Entspricht es dem Mechanismus der Verteilung: Kolonie-Zentrum? Wohl nicht…

Zuletzt, nein, vorletzt möchte ich eine These außern, die einerseits korelliert mit westlichem Wert: Vielfalt, dennoch in der Praxis wird es doch m. E. sehr eingegrenzt. Es ist meine Überzeugung: ethnische/kulturelle Vielfalt ist ein Reichtum eines Staates. Deshalb multiethnischen Staaten haben ein Potential, die kleine monogene Staaten nicht haben. USA ist ein künstlich durch Kolonisation, Sklaventum und Migration entstandene multiethnische Staat. China ist ein solches oder Indien. Russland ebenfalls. Auch Deutschland. Dieses Phänomen ist ähnlich der „Reibung“, die ich schon mal behandelte. Es kann schmerzhaft werden, es wird Lösungen fordern. Die Achilesferse solcher Staaten ist der Ausland, der bestimmte Bevölkerungsgruppen gezielt instrumentalisiert. Für Russland z. B. islamische Radikale eine Gefahr darstellen, die aber nach Bedarf von anderen finanziert werden bzw. werden können.

Jetzt wirklich das Letzte, was ich ansprechen möchte. So etwa schreibst Du: „Nee, die USA lebt nicht von Raubkriegen“. Raubkriege hast Du eingeführt. Ich meinte aber allgemein – auch egal von wem geführte – Kriege. Mein Akzent war auf militärisch-industriellen Komplex der USA, der beliefert Waffen für alle Kriegsbeteiligten und hat von dem ein Gewinn, von dem er Steuern an Staat zahlt. Sicher auch andere Staaten liefern Waffen, aber der Ausmass ist anderer. Es gibt noch ein Aspekt der Kriege oder militärische Operationen von USA oder NATO, die Du überhaupt nicht wahr genommen scheinst. Leben wir in verschiedenen Welten? Nehmen wir die letzten 3 Jahrzehnten: Zuerst die Förderung der Teilung Jugoslawiens (getreu dem Motto“ Teile und herrsche“), dann Bombardement Serbiens, Afghanistan, Irak, Lybien, Syrien… Man hinterlässt die verbrannte Erde, die „failed states“, mit Millionen toten, geflüchteten, vertriebenen. Und dann moralisiert auf eigenen Sofa. Es gibt ein Spruch: Wenn Du auf jemanden zeigst, vergisst nicht, dass drei Finger auf dich selbst zeigen…

Ich hoffe, dass wir uns noch treffen auf Telepolis.
Und ja, entschuldige für die grammatische Fehler. Deutsch ist eine Fremdsprache für mich. Klingt eigentlich komisch, weil ich denke in der Sprache und sie lange ist mir nicht fremd. Dennoch habe ich allgemein Sprachprobleme, vor allem wegen Unterschätzung des Instrumentariums, mit welchem die eigentliche Ideen wiedergegeben werden.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (21.07.2024 18:27).

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