jfmprof schrieb am 28.02.2022 17:07:
Du willst Putins Russland mit Nazi-Deutschland vergleichen? Ich denke, der Vergleich hinkt in so ziemlich jeder Hinsicht.
In moralischer Hinsicht schon, aber nicht unbedingt in jeder Hinsicht. Was mir in den Sinn kam, als ich Ihren Beitrag gelesen habe, war eine Stelle bei Arnold Gehlen, "Moral und Hypermoral", etwa sinngemäß und aus dem Gedächtnis: "In der Bedrängnis wird oft die Alles oder Nichts-Entscheidung gesucht, die verheerend ausgehen kann: So endete die sizilianische Expedition der Athener in den Steinbrüchen von Syrakus, so mußte Karthago in den dritten Punischen Krieg, den es nicht mehr führen wollte, und so scheiterte das glorreiche Preußen, vergeblich gegen seine Geographie ankämpfend." So etwas könnte hier auch passieren.
Dann müsste ja auch Deutschlands "Existenz" auf dem Spiel stehen, weil es Österreich, Pommern, Königsberg und noch sehr viel mehr Territorien verloren hat.
Es bedarf wohl keiner großen Erläuterungen, daß es das Deutschland des 19. Jahrhunderts nicht mehr gibt, und zwar nicht nur im Sinne bloßer Gebietsverluste.
Das zaristische Russland des 19. Jahrhunders gibt es auch nicht mehr, wo kommt also dein Verhältnis für Putins rückwärtsgewandten Imperialismus her?
Und es ist doch eine der wesentlichen Lehren aus den beiden Weltkriegen: Grenzen werden nicht durch militärische Aggression verschoben.
Doch. Wenn Du den Halys überschreitest, wirst Du ein großes Reich zerstören. Richtig ist hier allenfalls, daß die westliche Staatengemeinschaft in den letzten Jahren eher mit inszeniertem oder herbeigebombtem Regimewechsel bei Beibehaltung der Grenzen gearbeitet hat, ausgenommen die Zerschlagung von Jugoslawien.
Wieder die Lüge von den Inszenierungen. Du klingst wie ein Verschwörungsgläubiger.
Schau dir an, wie breit der Widerstand gegen Russlands international ist: nicht nur der gerne imaginierte "Westen" sondern auch Länder aus Afrika oder Asien stellen sich klar gegen Russland. Im UN-Sicherheitsrat hat z.B. auch Brasilien für eine Verurteilung Russlands gestimmt.
Die Frage ist halt, was passiert, wenn eine Atommacht sich in einer als existentielle Bedrohung empfundenen Frage in die Enge gedrängt fühlt.
Offenbar hast du ganz viel Verständnis, dass das Putin-Regime sich "in die Enge gedrängt fühlt". Wie sähe es wohl mit deinem Verständnis aus, wenn die US-Regierung sich so äußern würde? Da käme von dir doch wohl wieder nur die Unterstellung von Inszenierungen oder ungerechtfertigter Gewalt.
Stimme dir soweit zu, dass eine Palastrevolution im Kreml derzeit wohl die wahrscheinlichste Option für einen Machtwechsel ist, langfristig wäre aber doch die bestse Option, wenn die Russen ihren Präsidenten in freien, fairen und geheimen Wahlen selber bestimmen und ihn nicht von obskuren Machzirkeln vorgesetzt bekommen, oder?
Das stimmt sicher, aber dazu müßte man erst einmal eine von beiden Seiten (Putinisten und Internationalisten) akzeptierte Wahl finden, bei der nach Möglichkeit irgendein Kandidat der Mitte siegt. Aber so wie die Dinge jetzt stehen scheint es auf eine Alles oder Nichts-Entscheidung hinauszulaufen. Wozu die Politik der NATO erheblich beigetragen hat.
Das klingt jetzt wieder nach false balance: der russische Angriff auf die Ukraine ist purer, widerlicher Imperialismus, da gibt es nichts zu relativieren oder zu beschönigen. Und dafür bekommt das Putin-Regime gerade auch international massiv Contra, nicht nur vom sonst von Rechten und Aluhüten gerne geschmähten "Wertewesten".
(Gehlen-Zitat glaube ich etwas besser, aber noch immer aus dem Gedächtnis)
Ist Gehlen nicht auch einer dieser wiederentdeckten Popstars der neuen Rechten?