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  • rhytidiadelphus

860 Beiträge seit 07.11.2021

Wir fahren zusammen

Warum wird der Individualverkehr gefördert – statt umweltfreundliche öffentliche Verkehrsmittel zu fördern? Die gemeinsamen Aktionen von Fridays for Future und Streikenden können zu diesen Fragen führen.

Wie mehr Mitbestimmung in den einzelnen Betrieben dazu führen soll, dass die Öffis gefördert werden, ist mir schleierhaft, schließlich ist das eine Entscheidung der Politik.
Und auch gemeinsame Aktionen von FFF und Verdi könne nicht dahin führen. Hierzu wurde auf der "Wir fahren zusammen"-Demo am 1.3. ein interessantes Flugblatt verteilt, das ich hier einfügen möchte:
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Macht euch – und andere – schlau!
--- Über das Verhältnis von Aktion und Aufklärung ---

Anmerkungen zur Klima-Demo am 1.3.2024

Damit es keine Missverständnissen gibt:

• Die gewerkschaftlichen Kämpfe im ÖPNV sind berechtigt.
• Der Klimawandel ist eine ernste Bedrohung der menschlichen Zivilisation.
• Eine Verkehrswende weg vom Auto und hin zu den Öffis ist essenziell, um den Klimawandel abzuwenden.

Es soll auch nicht bestritten werden, dass zwischen diesen Erfordernissen ein Zusammenhang besteht. Allerdings ist der anders beschaffen – und sehr viel grundsätzlicher - als in den Aufrufen zu dieser Demo dargestellt.

Aber der Reihe nach.

Es stimmt ja: Zwar konnte man als Busfahrer oder einfacher Angestellter der Verkehrsbetriebe noch nie besonders üppig leben, doch frisst nun die Inflation auch noch das Wenige auf, das man bisher gehabt hat, und die Arbeitsbedingungen werden gleichzeitig um so unerträglicher, je mehr die – meist als „Sparzwang“ ausgegebenen - Kalkulationen der Betriebe offensiv auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Deshalb müssen sie kämpfen, um überhaupt von ihrer Arbeit vernünftig leben zu können.

Das ist allerdings nicht nur im ÖPNV so: Vielmehr kennt man Lohndrückerei und ständige Verschärfung der Arbeitsbedingungen aus allen Bereichen unseres Wirtschaftslebens. Die Arbeitgeber „geben“ Arbeit stets nur in der Absicht, aus den Arbeitenden möglichst billig möglichst viel herauszuholen. Deshalb ist es – quer durch die ganze Wirtschaft, also auch einschließlich der Autoindustrie und der fossilen Energieerzeugung – für die Lohnarbeiter immer wieder notwendig, in Tarifrunden darum zu kämpfen, dass sie von ihrer Arbeit leben können. Und wenn sie etwas erreicht haben, dann geht es wieder von vorne los: Die Inflation schreitet fort und neue Zumutungen an den Arbeitsplätzen werden ersonnen. Nach der Tarifrunde ist immer vor der nächsten Tarifrunde, ein ständiger Kreislauf; Sisyphos lässt grüßen. Gewerkschaftliche Kämpfe weisen nicht über die bestehenden Verhältnisse hinaus – auch nicht im Sinne eines „System Change“ hin zu einer nachhaltigen Lebensweise.

Wieso sind es aber gerade die Arbeitskämpfe bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben, mit denen sich die ums Klima besorgten Veranstalter dieser Demo zusammenschließen wollen? Ihr Argument lautet: Wären die Löhne und Arbeitsbedingungen dort nicht so mies, so würde man mehr Personal finden, um den öffentlichen Personenverkehr auf Vordermann zu bringen, und das wäre doch gut für Klima. Aber Moment mal: Auch wenn man davon ausgeht, dass nach erfolgreichen Arbeitskämpfen mehr Leute bereit sind, bei den Verkehrsbetrieben anzuheuern: Dass sie auch tatsächlich eingestellt werden, folgt daraus noch lange nicht, denn das hängt von den Absichten der staatlichen und kommunalen Betreiber ab. Wäre denen wirklich daran gelegen, die Öffis auszubauen und zu verbessern, so würden sie doch längst von sich aus zumindest so viel zahlen, dass sie das dafür nötige Personal finden. Offenkundig besteht also bei den „Verantwortlichen“ die Absicht, den öffentlichen Verkehr zugunsten der Autoindustrie zu vernachlässigen. Das Kaputt-Sparen des ÖPNV kann man angesichts all seiner Folgen als Wahnsinn bezeichnen – aber der Wahnsinn hat Methode. Worin die besteht, das ist das, was man sich klar machen sollte.

Das führt auf den wirklichen Zusammenhang zwischen Arbeitskämpfen und Klimabewegung: Beides ist der bestehenden Wirtschaftsweise geschuldet, die sich rücksichtslos gegen die eigenen Grundlagen verhält: rücksichtslos sowohl gegen die Arbeitskraft wie gegen die Natur. Leider erfährt man darüber aus dem Demo-Aufruf nicht viel. Stattdessen lässt man sich die – nur scheinbar praxisnahe – Erklärung einleuchten, dass durch den Zusammenschluss der beiden Bewegungen mehr Leute auf die Straße gebracht – und dadurch auch mehr bewirkt werden könnte. Wirklich? Sind nicht vor nicht allzu langer Zeit schon einmal anderthalb Millionen in Deutschland fürs Klima auf die Straße gegangen? Und was hat das an der Politik geändert?

Auf die Straße zu gehen, ist wichtig: So gewinnt man Aufmerksamkeit. Aber diese Aufmerksamkeit muss genutzt werden, um Aufklärung über die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu leisten, also die Gründe zu erklären, warum in dieser Gesellschaft Wirtschaft und Politik in so verderblicher Weise agieren. Wenn die Klimabewegung nichts Neues zu sagen hat, dann tritt sie weiter auf der Stelle. Dabei drängen sich so viele Fragen auf, die es zu beantworten gälte:
• Wieso ist dem deutschen Staat der Schutz der Autoindustrie wichtiger als der Schutz des Klimas?
• Dass der Club of Rome mit seinem Hinweis auf die Grenzen des Wachstums recht hatte, stellt kaum ein Politiker mehr in Abrede. Dennoch behandeln sie es wie die schlimmste aller denkbaren Nachrichten, dass das Wachstum „einzubrechen“ droht. Wie passt das zusammen?
• Wie kommt es, dass bei allem Wachstum die arbeitende Bevölkerung ständig um ihre Existenzmittel kämpfen muss? Warum gibt es das Wachstum und wieso sind die Politiker so versessen darauf?
• Wieso geht auf den Klimakonferenzen nichts voran, obwohl sich doch alle Staatschefs selbst dafür loben, wie engagiert sie fürs Klima eintreten?
• Wieso beteuern (fast) alle Parteien unablässig, wie wichtig ihnen das Klima ist, aber kennen dann, wenn sie in „Verantwortung“ gekommen sind, sofort allerlei Anderes, was für sie viel vordringlicher ist?
• Dass die regierungsamtlichen „Klimaschutzmaßnahmen“ im Grunde bloß Greenwashing sind, wisst ihr und sagt es auch. Aber ist es Zufall, dass die obendrein immer auf Kosten der sozial Schwachen gehen?
• Warum spricht niemand von Umwelt und Klima, wenn es ums Militär geht?
• Liegt es nur am Einfluss der Lobbies, dass die Politik immerzu einen so verderblichen Weg einschlägt, oder besteht da im Grunde eine Interessenidentität? Ist es also eher so, dass die Einflüsterungen der Lobbies ganz einfach hervorragend zu dem dazu passen, was die Politiker ohnehin wollen?
Das sind nur ein paar der Fragen, auf die es ankommt. Mit der Beantwortung jeder dieser Fragen lösen sich Illusionen auf, die bisher stringentere Klimakämpfe verhindert haben.

Hierzu ein Buch-Tipp:

Nicht nur das Klima spielt verrückt – Über das geistige Klima in dieser Gesellschaft und die fatalen Folgen für das wirkliche Klima der Welt“ (von Rudi Netzsch, erschienen 2023, ISBN 978-3-8316-2420-1)

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (06.03.2024 10:18).

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