Die Frage ob jemand Materialist ist oder nicht, entscheidet sich natürlich nicht darüber, ob jemand an unsichtbare Gespenster oder andere Comicfiguren glaubt.
Davon mal ganz abgesehen...
Sumari schrieb am 24.04.2021 21:56:
Der erste Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott!
Werner Heisenberg
Blöd nur, wenn man nicht über den ersten Schluck hinauskommt.
Auf dem Grund des Bechers eines Wissenschaftlers liegt natürlich nur dann Gott, wenn diesen Gott in der frühen Kindheit des Wissenschaftlers jemand auf den Boden seines Becher hineingeklebt hat.
Wir können das übrigens mit Hilfe eines Gedankenexperimentes tatsächlich überprüfen!
Das ist deshalb nötig, weil es in unserer Gesellschaft praktisch keine religiös unbelasteten volljährigen Menschen gibt, denn wir wissen ja, dass im weit überwiegenden Teil der Fälle von Religiotie die unhinterfragbare Wahrheit der Glaubenssätze zusammen mit der Muttersprache im Opfer implementiert wurde.
Behauptungen einer zusätzlichen nachträglichen Entscheidung für den Glauben haben nachvollziehbare psychologische Gründe wie etwa das Stockholm-Syndrom. Achtung. Genau lesen: Ich rede von psychologischen Gründen für die Behauptung einer nachträglichen Entscheidung für den Glauben - nicht von psychologischen Gründen für eine nachträgliche Entscheidung für den Glauben. Eine solche Entscheidung gibt es nicht.
Auch in den paar Fällen, in denen jemand erst in fortgeschrittenem Alter "zum Glauben findet" oder in fortgeschrittenem Alter die Religion wechselt, sind psychologische Faktoren ausschlaggebend, nicht eine von Ratio beleckte Entscheidung bezüglich der Plausibilität der Glaubensinhalte.
Letzteres ist überhaupt nicht möglich. Die Unmöglichkeit, sich aufgrund vernünftiger Überlegungen für einen religiotischen Glauben zu entscheiden, will ich mal mit einem Gedankenexperiment versuchen zu verdeutlichen. (Ich nehme aus kulturell naheliegenden Gründen Christentum und Bibel, aber mit anderen Religiotien und ihren Märchenbüchern würde es natürlich genauso funktionieren).
Stellen wir uns testhalber mal einen Außerirdischen vor, der frisch auf die Erde kommt, in der Hoffnung, die Menschen hätten vielleicht herausgefunden, "was die Welt im Inneren zusammen hält", wo die Welt herkommt, was nach dem Tod so alles passiert und all das.
Unser Mork vom Ork geht also in eine Buchhandlung und liest sich durch die Klappentexte der einschlägigen Bücher. Dabei bekommt er auch ein Buch in seine grünen Finger, in dem steht, dass ein Gott Jahwe die Welt gebracht hat, grad so wie der Klapperstorch die kleinen Babys bringt, und dass ein von den Toten auferstandener kosmischer Zombie namens Christus uns ewiges Leben schenken wird, wenn wir sein Fleisch essen und ihm telepathisch mitteilen, dass wir ihn akzeptiert haben, damit er die böse Macht von unserer Seele nehmen kann, die deshalb unsere Seele belastet weil der Vater des Zombies aus Schlachtabfällen eine Frau gebastelt hat, die von einer sprechenden Schlange dazu überredet wurde, von einem Zauberbaum zu essen.
Kann man glauben, unser Mork vom Ork würde sich daraufhin mit seiner grünen Hand an die grüne Denkerstirn klatschen, und sagen "Mensch, ja klar! Das leuchtet ein! Nur so kann es gewesen sein. Wo krieg ich jetzt bloß etwas Jesusfleisch her?"
Wird Mork vom Ork direkt aus der Buchhandlung heraus in die nächstgelegene Kirche eilen, um sich in dieser metaphysischen Dönerbude ein Stückchen frischen Jesus zu holen? Extra scharf, aber bitte ohne Zwiebeln, wegen der intergalaktischen Blähungen?
Nein. Niemand, der die Bibel unvorbelastet in die Finger bekommt, kann die monumentale Konsternation vermeiden, in die einen die Vorstellung treibt, dass es erwachsene Menschen gibt, die behaupten, diese hirnrissige Kinderkacke ernsthaft zu glauben.
Das Stichwort hier ist "unvorbelastet", denn nur unabhängig von frühkindlicher Gehirnwäsche wäre eine rationale Entscheidung möglich. Und die christlichen Glaubensinhalte machen ein Fürwahrhalten unabhängig von frühkindlicher Gehirnwäsche völlig unmöglich.
Es gibt keine Möglichkeit, die christlichen Glaubensinhalte für so plausibel zu halten, dass man sie für wahr hält. Das heißt, es gibt keine Entscheidung für den christlichen Glauben. Die Blödsinnigkeit des christlichen Glaubens ist so offensichtlich wie der Glaube an vier Ecken im Dreieck. (Wie gesagt: Mutatis mutandis gilt das auch für andere Religiotien.)
Und daraus ergibt sich dann zwangsläufig auch, dass nur die Wissenschaftler auf dem Grund des Bechers "Wissenschaft" ein unsichtbares Gespenst warten sehen, denen dieses unsichtbare Gespenst in ihrer frühesten Kindheit in den Becher geklebt worden ist.
Und Religioten sind dann natürlich auch die allerletzten, die dazu berufen sind, die Qualität von Wissenschaftlern einzuschätzen. Aber das nur so am Rande...