... allein, mir fehlt der Glaube:
daß solche authentischen, selbstbestimmten Menschen besonders friedliebende, gemeinschaftsfördernde und zurückhaltende Wesen darstellen würden.
Ja, Gehorsam bedeutet, sich selbst zurückzustellen, aber nicht unbedingt unter einen anderen, sondern häufiger unter die Gemeinschaft der vielen anderen, die nur dadurch eine komplexe Gesellschaft bilden können, daß jeder zunächst allen anderen explizit oder implizit (sic!) gehorsam ist.
Der "selbstbestimmte" Mensch wird schnell darauf kommen, daß hemmungslos lügen, betrügen, verachten und - körperliche Leistungsfähigkeit vorausgesetzt - prügeln und morden wenigstens kurzfristig gute Ergebnisse erzielt und außerdem den geringsten Energieaufwand an Selbstbeherrschung verlangt. Haß, Grausamkeit, Arroganz, Verschlagenheit, Zorn - sehr authenthisch, das alles.
Authentisch friedliebend, authentisch freigiebig gegenüber anderen, authentisch großzügig, authentisch besorgt um das Wohlergehen aller um einen herum, authentisch bereit zum Verzeihen - wenn wir heute unsere Weltbevölkerung durchmustern würden, um die zu finden, die alle diese Kriterien erfüllen, könnten wir auch nur ein einziges Dorf mit ihnen füllen?
Über pure Kognition zu einem vergleichbaren Miteinander zu kommen, wie es über die simple Erziehung zu einem gewissen Gehorsam seit Menschengedenken praktiziert wird, kann möglich sein - aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß der Fall eintritt. Denn entweder wird ein Mensch in einer Gruppe aufwachsen, und dann muß er lernen, sich in sie einzufinden (was er nur gehorsam kann, weil er als Kind noch gar keine andere Möglichkeit hat), oder er wird sie verlassen müssen - und als Kind nur an sehr wenigen Stellen in der Welt eine Chance haben zu überleben.
Aber eine Gemeinschaft braucht Verläßlichkeit im Miteinander - und ich sehe keinen möglichen Weg, solche Verläßlichkeit herzustellen, als über eine Erziehung zum Gehorsam gegenüber der Gruppe, der jedes Mitglied darauf festlegt, seine ganz und gar authentische Selbstbezogenheit zu überwinden.
Insofern: Wenn authentische Menschen die Welt gestalten würden - dann wären zwar einzelne Gestalter freier, aber für die anderen sähe es vermutlich weitaus schlechter aus als jetzt.