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  • Antimon7785

138 Beiträge seit 22.03.2015

Ergänzungen zum sowjetischen Internet

Das war ein interessanter Artikel. Aber so neu ist das Thema denn nun auch wieder nicht. Der Artikel von Gerowitsch (Link unten) stammt bereits aus dem Jahr 2008. Und auch damals gebrauchte die Autorin Slawa Gerowitsch die Verballhornung Internyet. Dieser Artikel von 2008 beschreibt die Netwerkforschung der Sowjetunion ausführlicher, während der Peters-Artikel wohl nur die populärwissenschaftliche Version darstellt.

http://web.mit.edu/slava/homepage/articles/Gerovitch-InterNyet.pdf

Im Übrigen war die sowjetische Netzwerkforschung immer bekannt, zumindest für diejenigen, die Russisch konnten. Dies zeugt unter anderem ein Auszug aus dem Buch "Das Gorbatschow-Experiment" des marxistischen Wirtschaftswissenschaftlers und Trotzkisten Ernest Mandel aus dem Jahr 1989. Er untersucht in dem Buch unter anderem die Frage, warum die Produktivität in der Sowjetunion zurückgeblieben ist. Zumal dort eine beeindruckende Industrialisierung gelungen ist und es auch erste Erfolge in der automatisierten Produktion gab (automatische Kugellagerfabrik in Moskau).

Der geringe Automatisierungsgrad lag nach Ernest Mandel ganz gewiss nicht an mangelnder Forschungskapazität. Denn im Bereich der wissenschaftlichen Grundlagenforschung war die Sowjetunion den kapitalistischen Ländern eher überlegen. Ihre Mathematik war Weltspitze.

Gravierend war aber der Rückstand in der Anwendung der Computertechnologie: „Anfang der siebziger Jahre dachte man in der Sowjetunion und in der DDR, das Plansystem biete sinnvollere Möglichkeiten für den Computereinsatz als die Marktwirtschaft. Man entwarf ein zentrales Informationsnetz für die sowjetische Volkswirtschaft.“

Die sowjetischen Ökonomen und Manager mussten jedoch erkennen, daß der allgemeine, rationelle Einsatz von Computern in der Betriebsverwaltung und in der Volkswirtschaft auf wachsende Schwierigkeiten stieß.

„Einige dieser Probleme sind zwar rein technischer Natur, aber kurz- bis mittelfristig kaum lösbar: unzureichende Infrastruktur (vor allem das Telefon- und Fernmeldesystem betreffend), Mangel an Elektronikern und besonders Softwarespezialisten, Unfähigkeit, die Vorteile der Informatik im Finanzwesen und in der Produktion zu nutzen (trotz der Einführung von Computern hält man an mechanischer oder manueller Buchhaltung bzw. Korrespondenz fest etc.). Die Hauptprobleme sind allerdings sozio-ökonomischer und sozio-politischer Natur. Allgemeine Nutzung des Computers bedeutet, dass Informationen transparent gemacht und frei verbreitet werden können. In der sowjetischen Wirtschaft ist die Transparenz der Informationen angesichts des starken Interesses der Bürokraten, möglichst viele Mittel für möglichst niedrige Planziele zu erhalten, zwischen Betrieben und übergeordneten Stellen nicht nur ungesichert, sondern nahezu ausgeschlossen. Sogar innerhalb der Betriebe sind ihr enge Grenzen gesetzt. [...]
Wie läßt sich unter diesen Bedingungen ein zentrales Computersystem rationell nutzen? [...] PCs sind in der Regel mit Druckern ausgestattet. PCs in Schulen, Universitäten und Betrieben ermöglichen zahllose Veröffentlichungen, die der Zensur entgehen (Samisdats). Welch ein Alptraum für den KGB und welch eine Chance für das, was die »Organe« als »antisowjetische Agitation« bezeichnen, …“ (Ernest Mandel: Das Gorbatschow-Experiment, Frankfurt am Main 1989, S. 33ff)

Damit will Mandel nicht sagen, dass eine Planwirtschaft unmöglich ist, aber sehr wohl, dass eine solche Planwirtschaft ohne politische Demokratie, wie es sie in den ersten Jahren der Sowjetmacht noch gegeben hatte, nicht funktionieren kann. Was ja auch im Peters-Artikel bestätigt wird.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (23.10.2016 11:44).

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