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  • Twister

mehr als 1000 Beiträge seit 17.04.2007

Sabrina möchte helfen


Dass ein Wochenende ohne Katastrophe bei Sabrina möglich
wäre, hatte ich nicht
erwartet. Demzufolge rechnete ich auch nicht damit, dass ich - als ich
mich, 
dem Anlass entsprechend (Ein Dinner for Two bei Sabrinas
Lieblings-Japaner) in
schwarze Hose und elegantem Dinnerjackett gekleidet - Sabrina
wahrhaftig fertig
gekleidet und sozusagen "ready for take-off" vorfand. Ich
behielt recht.

Sabrina saß - nun, perfekt gestylt in einem japanisch anmutenden
Kleid aus Seide, 
die Haare zu einem Knoten frisiert und mit zwei an
Eßstäbchen erinnernde Haarklammern
befestigt - an ihrem kleinen wunderbaren High-Tech-Freund, wie sie die
von uns normalen
und banalen Erdenbürgern Computer genannte Errungenschaft der
Technik nannte.
Da ich - natürlich nur zu Sabrinas Sicherheit - bereits einen
Schlüssel zu ihrem Appartment 
besaß, musste sie mir nicht einmal mehr die Tür öffnen.
Natürlich nutzte ich diesen wunderbaren Schlüssel, der mir
Eingang zu Sabrinas Reich gewährte,
fast nie, sondern klingelte weiterhin und wartete, auf dass mir Sabrina
mit einem wie
immer sexy gehauchten "Darling" die Tür öffnete.
Diesmal tat sie es nicht, vielmehr
schien sie die Türklingel nicht gehört zu haben, denn als ich
eintrat, wandte sie den Kopf
und sah mich hilflos und verwirrt aus ihren wunderschönen
grünen Augen an.
Mein Freund hatte einmal gesagt, Sabrinas Augen seien wie Smaragde, die
von innen beleuchtet 
wurden - heute schien jedoch jemand das Licht gedimmt zu haben.

"Darling" Sabrina stand auf und gab mir den üblichen
Kuß auf die Wange - ein Überbleibsel ihrer
amerikanischen Erziehung. 
"Darling, es tut mir ja so furchtbar furchtbar leid, aber ich habe
wohl wirklich die Zeit vergessen." Sie seufzte ein wenig und ging
hastig zu ihrer kleinen
Hausbar, um mir schnellstens einen Sherry darzubieten.
"Darling, erinnerst Du Dich an diese entzückende kleine
Münze, welche ich für Daddy
ersteigern wollte?"
Und ob ich mich erinnerte - jene Münze, die mir bei Sabrinas Daddy
eine Pluspunkt 
verschaffen sollte und gleichzeitig ein aufmerksames
Weihnachts-Geschenk hätte darstellen
können, hatte Sabrina und mich in ganz ganz furchtbare
Schwierigkeiten gebracht, wie 
es Sabrina titulieren würde, handelte es sich bei ihr doch -
obgleich lediglich ein
winziges goldenes Etwas - um eine Münze aus jener furchtbaren
Zeit, in der dieser furchtbare
Mann mit dem ganz furchtbar aussehenden Bart ganz furchtbare Dinge
getan hatte (so hatte
es Sabrina mit der ihr eigenen Vorliebe für das Wort furchtbar
ausgedrückt).
Was dies bedeutete, wusste der aufmerksame Leser der Telepolis-Artikel:
Eine Nazi-Münze!
Und als diese war sie auch für Sabrina und mich unerreichbar
geworden.
Warum jedoch diese erneute Erinnerung an das Münzen-Debakel?

Sabrina winkte mich zu ihrem kleinen High-Tech-Freund und wartete, bis
ich auf jenem winzigen
Etwas Platz genommen hatte, was Sabrina stets als wunderbaren
Designer-Hocker bezeichnete.
"Darling - Du weißt doch nocht, wie furchtbar furchtbar
enttäuscht Daddy war als er diese Münze
nicht bekam?" 
Auch das wusste ich noch - mein internes Punktekonto bei Daddy war
wahrscheinlich
in diesem Moment auf Null geschrumpft.
"Nun, all diese furchtbaren kleinen oder großen Artikel sind
jetzt vollständig aus diesen
wunderbaren kleinen Auktionen verschwunden, Darling." 
Sabrina seufzte und nippte ihrerseits an dem Sherry bevor sie fortfuhr.
"Ach Darling, das ist ja auch wirklich wunderbar, dass es diese
furchtbaren Dinge nicht mehr 
gibt, damit sie nicht von diesen furchtbaren haarlosen Wesen gekauft
werden."
Sie zwinkterte mir kurz zu und mein Puls beschleunigte sich prompt -
obgleich ich natürlich wusste,
dass sich Sabrinas Zwinkern lediglich auf die "haarlosen
Wesen" bezog, denn die vielerorts
praktizierte Bezeichnung "Glatze" oder "Skinhead"
für "Neonazi" hatte Sabrina stets amüsiert, 
hatte sie doch einen jüdischen kahlköpfigen Bekannten, der
sich stets selbst spaßeshalber
als "Skin" titulierte.
"Aber, Darling, so wunderbar es auch ist...so furchtbar
enttäuscht war Daddy."
Sie holte kurz Luft und klickte mit ihrem winzigen Finger auf die
Maustaste, um eine Seite
im Internet aufzurufen. Ich bemerkte, dass Sabrina ihre
Fingernägel heute weiß lackiert hatte, 
mit einem roten Punkt in der Mitte und ich stellte wieder einmal fest,
wie sehr ich dieses
wunderbare Wesen liebte.

"Nun sieh Dir dies an, Darling."
Sabrina wies auf eine Textzeile auf der Seite und wartete ungeduldig
auf meine Bemerkung.
Ich las vorsichtig und schielte gleichzeitig nach oben, um
herauszufinden, wer diese nun
wirklich ins Auge stechende (im wahrsten Sinne des Wortes) Seite in
Zitronengelb erstellt 
hatte. Ich schluckte und las die Textzeile noch einmal. Es war, so fand
ich heraus, vom
"größten Massenmord aller Zeiten" die Rede. Doch
keine Holocaust-Bewertung war es, vielmehr
ging es hier um "Abtreibung auf Krankenschein". Ich schluckte
erneut und trank vorsichtig 
von meinem Sherry. 
"Darling - ist das nicht furchtbar? Ich meine, Darling - wenn ich
dies jetzt lese, so ist
das doch irgendwie auch wieder eine Abwertung des Holocaust,
oder?"
Ich schwieg und überlegte, wie ich dieser Debatte ausweichen
konnte, stellte sie doch leider
meine eigenen Gedanken dar.
"Und, Darling - schau einmal hier - hier geht es um diese
wunderbaren kleinen Horoskope.
Du weißt doch, Darling, wie sehr ich die Astrologie liebe. Und
hier steht nun wieder, dass
sie gottlos ist, Darling."
Mir schauderte und ich zog mein Jackett aus - dies würde
länger dauern, so gut kannte ich Sabrina
mittlerweile. Hatte sie sich erst einmal in eine derartige Sache
verstrickt, so geriet sie 
immer mehr und mehr in ein Knäuel aus Problemen und
Schwierigkeiten.
"Wenn ich jetzt also das Horoskop befürworte, Darling - bin
ich dann gottlos?" Sie seufzte
noch einmal und holte ein paar Kräcker aus dem praktischerweise
neben den Computer gestellten
Schränkchen. "Ist es nicht andererseits ganz ganz furchtbar,
jeden Menschen, der an
Horoskope glaubt, als gottlos zu bezeichnen?"

Die Maustaste wurde erneut geklickt und Sabrina führte ein
weiteres Problem an:
"Darling - schau doch nur diese wunderbaren entzückenden
jungen Frauen."
Eine Seite mit mehr oder minder leicht bekleideten Modells tat sich mir
auf.
"Wenn ich jetzt diese Abbildungen und diese Arbeit verbiete -
verbiete ich dann nicht
irgendwie auch die Folgen der Emanzipation? Die Folgen, dass auch
Frauen ihren Körper zeigen
dürfen und stolz sein dürfen? Aber, Darling - wenn ich dies
nicht tue, dann beleidige 
ich vielleicht jemanden, der unverschleierte Frauen als obszön
ansieht."

Ich knabberte an meinem Kräcker und schwieg weiterhin.
"Darling, ich möchte doch auch helfen, dass niemand sich
beleidigt oder angegriffen fühlt." 
Ich kannte Sabrina - sie half für ihr Leben gern Menschen, auch
wenn diese das oft ausnutzten.
Dass sie nun in dieser Bedroille war, tat mir von Herzen leid.
"Darling, ich möchte wirklich so furchtbar gerne helfen. Aber
ich weiß nicht, wem." Wieder
erklang ihr Seufzten als habe man ihr wie Atlas die Welt auf ihre
schmalen, entzückenden
kleinen Schultern geladen.
"Weißt Du, es ist irgendwie wie das Problem mit Heilig
Abend."
"Heilig Abend?" Hatten wir nicht gerade wieder Weihnachten
hinter uns gebracht? 

"Darling, Du weißt doch, wie furchtbar furchtbar schwierig
es ist, Heilig Abend zu planen.
Gehe ich zu Daddy, so sind meine Freundinnen ganz furchtbar traurig.
Gehe ich mit ihnen essen,
so ist Daddy furchtbar enttäuscht. Irgendjemand wird immer
enttäuscht.
Und so ist es doch irgendwie auch hier, oder, Darling?
Irgendjemand wird durch irgendeine Seite immer verletzt - mal mehr und
mal weniger.
Aber wem soll ich helfen? Und warum? Und wem soll ich warum nicht
helfen?
Oh, Darling - es ist alles so furchtbar kompliziert - wenn ich jetzt
dieses kleine wunderbar
High-Tech-Gerät hier mit diesen wunderbaren Filtern ausstatte:
Welche von diesen wunderbaren
vielen Seiten soll ich mir nicht mehr ansehen? Und warum nicht?
Darling, ich möchte doch auch helfen..."

"Ich auch." sagte ich, zog mein Jackett an, reichte Sabrina
die rechte Hand
und stellte mir der linken den Computer aus.


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