Unser Wirtschaftssystem / -ideologie möchte ich „Kapitalismus“ nennen. Dieses weist folgende Grundprinzipien auf:
1. Es ist alles erlaubt, was nicht verboten ist.
2. Egoistisches Handeln ist ausdrücklich erwünscht.
3. Optimierungsgröße ist die kurz- bzw. mittelfristige eigene Rendite bzw. die Rendite des Unternehmens für das man tätig ist
4. Jedes wirtschaftliche und politische aber auch gesellschaftliche Handeln lässt sich in Geld ausdrücken.
Die untermauernde Ideologie behauptet, dass die egoistischen Motive der Einzelnen durch die unsichtbare Hand des Marktes letztlich gut für die Gemeinschaft seien. Schließlich fiele auch für die weniger leistungsfähigen durch das egoistische Handeln der Leistungsträger (welch ein Wort...) so viel ab, dass ein in der Geschichte beispielloser Wohlstand für alle folge.
Für eine nachhaltige Entwicklung sei es aber wichtig – so die „grünen“ Ideologen des Kapitalismus – dass alle externen Kosten in das Gesamtsystem eingepreist werden. Dann lenke der Kapitalismus die Mittel automatisch zu Vorhaben, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen so dass auch die für den Klimaschutz notwendigen Innovationen angestoßen werden.
Weitere Maßnahmen abseits der kapitalistischen Grundausrichtung seinen nicht nur unnötig, sondern sogar kontraproduktiv, da ansonsten die Mittel fehlgeleitet würden und – besonders wichtig – die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft behindert würde.
Ich kann die positive Interpretation des Kapitalismus nicht teilen, und zwar zum ersten, weil die die wesentliche Optimierungsgröße die Renditen der Manager bzw. die Renditen des Unternehmens sind. Daraus folgt:
1. Um die Renditen zu steigern, wird stetig versucht, den Wettbewerb auszuschalten bzw. zu verringern. Selbst falls dies nicht explizit illegal ist (illegal wären z.B. „wettbewerbswidrige“ Preisabsprachen), führt dies dem Grunde nach zu negativen gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen, z.B.
1.1 der Kapitalismus hat an einer Marktwirtschaft kein Interesse. Schließlich bedeutet Marktwirtschaft, dass der damit verbundene Wettbewerb Renditen schmälert. Dass Kapitalismus zu Lasten des Wettbewerbs im großen Stil praktiziert wird, zeigen Google, Microsoft, die Mineralölkonzerne, Anwalts-, Notar- und Apothekerordnungen, die Pharmaindustrie usw.
Wettbewerb gibt es nur in den unteren Ebenen, also z.B. zwischen Bäckern oder zwischen Arbeitern oder zwischen Angestellten.
1.2 Die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung werden nicht mit anderen geteilt, weil die „Marktbegleiter“ davon profitieren und so die eigenen Renditen kleiner ausfallen könnten. Bedrohen die Forschungsergebnisse lukrative Produkte des forschenden Unternehmens werden die Ergebnisse nicht genutzt. Daher wird die Innovation der Gesellschaft weitgehend ausgebremst. Verschlimmert wird die Lähmung der Innovationskraft noch dadurch, dass selbst staatliche Forschungsinstitute der Ideologie der Urheberrechte / Patente folgen. Es wird eifersüchtig darauf geachtet, den „Marktbegleitern“ möglichst nichts von den eigenen Erkenntnissen zukommen zu lassen.
Nebenbei: Ein Leibnitz oder ein Einstein wären nie auf die Idee gekommen, die eigenen Gedankenansätze nicht mit anderen zu teilen, und zwar alleine deshalb, weil sie in der Sache weiter kommen wollten, nicht aber um Renditen oder den eigenen Ruhm zu steigern.
2. Knappheit von Waren und Dienstleistungen sind gut für die Renditen. Marktbeherrschende Unternehmen werden daher immer bestrebt sein, Knappheit zu erzeugen bzw. bestehen zu lassen. An Versorgungssicherheit auch für lebensnotwendige Produkte besteht logischerweise kein Interesse. So herrscht schon sein Jahren auch bei uns in Deutschland Mangel an einigen Antibiotika und Krebsmitteln, ja selbst an Fiebersaft für Kleinkinder, und dies trotz (oder vielleicht wegen) der hohen „Profitabilität“ von Pharmakonzernen (diese erreichen Umsatzrenditen von 10 bis 45%).
Zum Zweiten fördert der Kapitalismus die gierige Seite im Menschen, während die großzügige Seite bestenfalls als naiv verspottet wird. Aber nicht nur bei jedem einzelnen wird die gierige Seite gefördert. Besonders gierige Menschen besetzen überproportional Spitzenpositionen, weil Egoismus / Gier Optimierungsgröße ist.
Die Optimierungsgröße „Egoismus“ wird hin und wieder naturwissenschaftlich mit Verweis auf Darwins Thesen begründet. Allerdings sind die Thesen von Herrn Darwin „survival of the fittest“ bis hin zum Kampf jeder gegen jeden, in der belebten Natur nicht bestimmend. Die Thesen von Herrn Darwin beschreiben nur einen kleinen Teil der belebten Welt. Weitaus wesentlicher sind Kooperationen und gegenseitige Hilfe. Kooperationen und gegenseitige Hilfe sind nicht nur in der „Natur“, sondern auch in der überwiegenden Mehrheit der menschlichen Kulturen in Gegenwart und Vergangenheit bestimmend.
Zum Dritten fördert der Kapitalismus die Vergrößerung von Einkommens- und Vermögensungleichheit. Diese These kommt zwar nicht unerwartet, soll aber nicht unerwähnt bleiben. Vermögen / Kapital muss im Kapitalismus als Selbstzweck wachsen. Große Vermögen wachsen stärker, als die Vermögen der arbeitenden Menschen. Diese können nämlich sowohl absolut als auch relativ einen nur deutlich kleineren Teil ihrer Einkünfte in Vermögenssteigerungen stecken, weil sie einen erheblichen Anteil ihrer Einkünfte zunächst für das Lebensnotwendige konsumieren müssen. Kapital, das ich nicht direkt nutze, wächst in einem erheblichen Umfang aus sich selbst heraus. Typische Kapitalrenditen sind immer deutlich höher, als das Wirtschaftswachstum, woraus eine Vergrößerung der Ungleichheit folgt. Und nicht nur das: eine wesentliche Konsequenz ist die entschädigungslose Enteignung des Wertes von Arbeit.
Zum Vierten führt der Kapitalismus zu einer geistigen und geschmacklichen Verarmung. Durch den Zwang, des Vermögenswachstums werden immer mehr Bereiche in den Kapitalismus integriert und über z.B. Urheberrechte „geschützt“. Musik und Kultur sind reines Geschäft, tatsächliche oder eingebildete Aneignung / Weitereinwicklung von z.B. Musik wird strafrechtlich verfolgt. Hinzu kommt, dass Kultur damit seicht wird, weil sie große Menschenmengen ansprechen muss, damit sie sich rentiert. Wettbewerb wird auch hier ausgeschaltet.
Oder es werden wesentliche Bevölkerungsanteile von Kultur ausgeschlossen. Man versuche nur einmal Karten für die Elbphilharmonie oder die Berliner Philharmoniker zu bekommen, diese sind so teuer, dass sich untere Einkommensgruppen dies schlicht nicht leisten können. Man vergleiche dies mit der Situation von vor 35 Jahren.
Nächstes Beispiel für geschmackliche / gesellschaftliche Verarmung sind die weltweiten Ketten, wie Mc Donald, Burgerking, Starbucks. Überall in der westlichen Welt wird das gleiche fade Zeug gegessen. Durch den Zwang der hohen Stückzahl geht es aber noch weiter: Bäcker nutzen oft die selbe Backmischung, ob in Hamburg oder in Stuttgart. Daher schmecken auch Bäckerbrötchen fast überall gleich.
Zum Fünften fördert der Kapitalismus die Bürokratie. Diese These mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen. Aber: die überbordende Bürokratie hilft nur den großen Vermögen. Komplizierte Vorschriften schaffen eine Scheinlegalität (und Scheinlegitimität), da sie ja für alle gleich sind. In Wirklichkeit hilft die Vielzahl einender teilweise widersprechender Vorschriften nur Konzernen mit ihren umfangreichen Rechtsabteilungen und nahezu unbegrenzten Mitteln zur Beschäftigung externer Kanzleien. Dies gilt nicht nur für das Steuerrecht, das Wettbewerbsrecht, sondern auch für alle anderen Rechtsgebiete. Hinzu kommt, dass Gesetze und Vorschriften von (gut bezahlten) Juristen erzeugt werden, die wiederum nur durch (gut bezahlte) Juristen interpretiert werden. Beim Umweltrecht sind mittlerweile inhaltliche Aspekte nebensächlich, Hauptsache man begeht keine Formfehler. Um diese zu vermeiden (oder nachzuweisen) braucht es wiederum Juristen – eine schöne Selbstbeschäftigung ohne jeden gesellschaftlichen Nutzen.
Zum Sechsten erfordert der Kapitalismus ein grenzenloses Wachstum. Ohne Wachstum funktioniert das System noch schlechter. Grenzenloses Wachstum ist aber in einer begrenzten Welt nicht möglich.
Der Zwang zum Wachstum hat noch andere Folgen, die nicht direkt sichtbar sind. Es werden Getriebene geschaffen, die immer höhere „Renditen“ erwirtschaften müssen. Beispielsweise waren die Konquistadoren Cortes und Pizarro trotz der unermesslichen Reichtümer, die sie bei Azteken und Inkas plündernd erbeuten konnten, permanent pleite. Dies galt auch für ihre Mitstreiter. Sie nahmen Kredite auf, mit denen sie ihre Ausrüstung bezahlten, auf die sie aber aufgrund des „Risikos“ so hohe Zinsen zahlen mussten, dass sie immer weiter machen „mussten“. In ähnlicher Situation waren die Glücksritter, die Potosi unter billigender Inkaufnahme von Massenmord ausgebeutet haben, die Plantagenbesitzer in der Karibik, die Sklavenhändler, die Ostindienkompanie, die westlichen Akteure in den Opiumkriegen usw.. Diese Prinzipien des Kapitalismus mit zwanghaft zu Gier getriebenen Protagonisten gelten im Übrigen noch heute.
Zum Siebten ist der Kapitalismus grundgesetzwidrig. Beispiel Artikel 14 Satz 2 des Grundgesetzes (GG):
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Damit kann man nicht uneingeschränkt über Eigentum verfügen. Ein Negieren dieses Ansatzes ist grundgesetzwidrig.
Die oben dargestellten Aspekte des Kapitalismus sind für mich Grund genug, die Legitimität des bestehenden Wirtschaftssystems in Frage zu stellen.
Jedes Herrschaftssystem / jedes Wirtschaftssystem benötigt mittel- bis langfristig Legitimität durch einen maßgeblichen Teil der Bevölkerung. Terror und Angst alleine sorgen nie für das Überleben einer Regierung / eines Wirtschaftssystems. Ein König ist nicht deshalb ein König, weil Gott ihn eingesetzt hat, sondern weil ein wesentlicher Teil der Bevölkerung glaubt, er sei der König. Glaubt diese es nicht mehr, gibt es auch keinen König mehr.
Alternativen?
Selbstverständlich gibt es Alternativen. Frei nach dem Motto der Bremer Stadtmusikanten: „etwas besseres, als den Kapitalismus findest du allemal“. Was es zunächst braucht, ist ein allgemein verbreitetes Bewusstsein, dass der Kaiser nackt ist. Dazu braucht es „Kinder“ / Unvoreingenommene, die sich nicht von Status bzw. dem Trott ablenken lassen.
Was auch wichtig ist: Es gibt keine Patentlösungen, nicht nur einen Weg hin zu einer stabilen, gerechteren und für die Mehrheit befriedigenderen Gesellschaft. Die Aussage von André Gide
Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.
ist daher aus meiner Sicht sehr hilfreich.