Nun strebten die westlichen Staaten keinen Frieden in der Ukraine an, sondern eine strategische Niederlage Russland. Putin sprach auch von der Absicht des Westens, Russland zu zerstören.
Zumindest dieser Punkt ist nicht aus der Luft gegriffen: Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis hatte zuvor gegenüber Politico erklärt, Kriegsziel des Westens müsse ein historischer Wandel Russlands sein, sodass es "nicht mehr so weitermachen kann wie bisher".
Dass Russland "nicht mehr so weitermachen kann wie bisher" heisst noch lange nicht, dass der Westen Russland "zerstören" will. Bleiben wir bitte mal auf dem Teppich und formulieren wir korrekt: "Zumindest der erste Punkt ist nicht aus der Luft gegriffen:"
Es ist richtig, dass der Westen eine strategische Niederlage Russlands anstrebt. Das ist notwendig, weil sonst die Ukraine und die restliche Peripherie des ehemaligen Sowjetimperiums nie zur Ruhe kommen. Die Ukrainer haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollen, unabhängig von Russland, genauso wie die Georgier, Armenier, Moldawier, Aserbaidschaner, Kasachen, etc. Russland ist ein sehr reiches Land. Es hat nicht das Problem, dass der Westen es "zerstören" will, es hat ein Kriminalitätsproblem: Der Reichtum wandert in nur wenige Hände und ins Ausland, nicht in die weitere Entwicklung des Landes. In diesem Punkt hat Putin recht, aber er hat sich genau mit den Leuten verbündet, die dafür verantwortlich sind und die er jetzt kritisiert, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Dass sowohl der Westen als auch Russland Fehler gemacht und diese Situation verursacht haben, ist ebenfalls korrekt: Russland sieht die Ukraine als Teil des russischen Kernlandes (was sie, genauso wie Weissrussland, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, etc. historisch und kulturell nicht ist) und will unter Putin in die Sowjetunion zurück, der Westen hat durch die NATO-Osterweiterung, den sehr harten Systemwechsel in Russland und die permanenten Versuche einer Eingrenzung Russlands im Land eine Wagenburgmentalität und Sowjetnostalgie verursacht.
Aber niemand im Westen hat etwas davon, Russland zu "zerstören": Die Folgen für die Weltwirtschaft wären enorm, wir würden in einen neuen Kalten Krieg gestürzt mit allen seinen negativen Folgen und Russland würde als enorm wichtiger Partnern nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch wissenschaftlicher und umweltschutztechnischer Hinsicht für sehr lange Zeit wegfallen. Nicht zu vergessen China, das mit enormen Umweltproblemen, einer rapide alternden und gespaltenen Bevölkerung und anderen Dingen zu kämpfen hat und ebenfalls dem Westen zunehmend misstrauisch gegenüber steht, wofür es aber durch seine Expansionspolitik, seine brutale Unterdrückung von Minderheiten und seine Verweigerung echter Demokratie teilweise selbst verantwortlich ist.