02. April 2018 Paul Schreyer
Gedanken zu einer wenig beachteten und explosiven Regierungsstudie, die auf den Widerspruch zwischen Demokratie und konzentriertem Reichtum hinweist
Manche Zusammenhänge sind so simpel und banal, dass sie leicht übersehen werden. Louis Brandeis, einer der einflussreichsten Juristen der USA und von 1916 bis 1939 Richter am Obersten Gerichtshof, formulierte es so: "Wir müssen uns entscheiden: Wir können eine Demokratie haben oder konzentrierten Reichtum in den Händen weniger - aber nicht beides."
Hinter dieser Aussage stehen Erfahrung und Beobachtung, aber auch eine innere Logik: Wenn in einer Gesellschaft die meiste Energie darauf verwandt wird, Geld und Besitztümer anzuhäufen, dann sollte es niemanden überraschen, dass die reichsten Menschen an der Spitze stehen. Was wir als führendes Prinzip akzeptieren, das beschert uns auch entsprechende Führer. Und wo sich Erfolg an der Menge des privaten Vermögens bemisst, da können die Erfolgreichen mit gutem Grund ihren politischen Einfluss für recht und billig halten.
Logisch erscheint es auch, wenn in einer solchen Gesellschaft die Regierung immer wieder gegen die Interessen der breiten Masse entscheidet. Vereinfacht gesagt: Wo reiche Menschen an der Spitze stehen, da herrscht nun mal nicht die Mehrheit. Private Bereicherung und Allgemeinwohl passen ungefähr so gut zusammen wie ein Krokodil in den Goldfischteich. An diesem Widerspruch ändert sich auch dann nichts, wenn die Goldfische und das Krokodil gemeinsam demokratisch eine Regierung wählen, die dann eindringlich an das Krokodil appelliert, doch bitte, im Interesse aller, seinen Appetit zu zügeln.
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Regierungsstudie untersucht Einfluss von Armen und Reichen
Forscher vom Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück sind 2016 dieser Frage in einer aufwendigen empirischen Untersuchung nachgegangen. Ihre 60 Seiten lange Antwort lautet auf den Punkt gebracht: leider nein.
Das Besondere daran: Die Studie wurde nicht von der Linkspartei, Attac oder den Gewerkschaften in Auftrag gegeben, sondern von der Bundesregierung selbst. Arbeitsministerin Andrea Nahles hatte 2015 den Anstoß gegeben. Sie wünschte sich eine solide Faktengrundlage für den damals in Vorbereitung befindlichen 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, in dem auch der politische Einfluss der Vermögenden wissenschaftlich untersucht werden sollte.
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Je mehr Arme dafür sind, desto eher ist die Regierung dagegen
Dass solche Beispiele, die man in der Studie nachlesen kann, keine Einzelfälle oder Ausnahmen sind, fanden die Forscher in akribischer Kleinarbeit heraus. Die Ergebnisse sind eindeutig. So heißt es in der Untersuchung:
Je höher das Einkommen, desto stärker stimmen politische Entscheidungen mit der Meinung der Befragten überein. (…) Was Bürger mit geringem Einkommen in besonders großer Zahl wollen, hatte in den Jahren von 1998 bis 2013 eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit, umgesetzt zu werden.
Mehr noch: Eine politische Regelung wurde nicht nur umso eher von der Regierung umgesetzt, je mehr Reiche sie unterstützten. Das hatte man ja fast schon erwartet. Nein, ein Vorschlag wurde von der Regierung auch umso eher abgelehnt, je mehr Arme dafür waren! Die Forscher sprechen hier von einem "negativen Zusammenhang". Sie schreiben wörtlich, dass "die Wahrscheinlichkeit auf Umsetzung sogar sinkt, wenn mehr Menschen aus der untersten Einkommensgruppe eine bestimmte politische Entscheidung befürworten." Das bedeutet, dass die Regierung die Armen nicht einfach nur ignoriert, sondern praktisch aktiv gegen sie arbeitet.
Bei der Berücksichtigung der Ansichten der Mittelschicht sieht es laut der Studie ähnlich aus. Deren Forderungen werden von der Regierung annähernd im gleichen Maße ignoriert wie die der Armen. Das heißt konkret: Es ist für die Politik praktisch egal, wie viele Menschen aus der Mittelschicht eine bestimmte Veränderung wünschen. Es existiert jedenfalls so gut wie kein messbarer Zusammenhang zwischen der Zustimmungsrate für eine Forderung in der Mittelschicht und deren Umsetzung. Ein solcher Zusammenhang ist allein für die Wünsche der Einkommensstärksten nachweisbar, dort jedoch sehr deutlich.