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Avatar von Flake

mehr als 1000 Beiträge seit 05.06.2007

Wer es nicht glaubt, kann es selber ausprobieren.

Das ist nur eine persönliche Anektode, die mir 2019 widerfahren ist, aber sie hat mich etwas gelehrt.
Mit meiner Schwester und meinem Sohn, damals gerade 18 Jahre alt, habe ich das Herzbergfestival in der Nähe von Fulda für 3 Tage besucht. Auf dem Gelände waren ca. 30.000 Besucher, etwa 4 große Bühnen und etliche kleinere, dazwischen die üblichen Zeltplätze und Parkbereiche. Was das angeht, ein ganz normales Musikfestival. Eines war jedoch ganz anders:
Das Publikum war bunt gemischt, die ältesten Teilnehmer schoben ein Rollator vor sich, die Jüngsten waren im Kinderwagen. Es gab Hippies, Punks, Rocker, aber vor allem sehr viele "Normalos".
Alle Gäste, einschl. der Organisatoren waren eine einzige große Familie, obwohl nicht alle bekifft waren... Niemand wurde für seine Einstellung verurteilt, ich konnte meine fette Steaksemmel ohne belehrende Blicke von Veggies verzehren, die Raucher achteten darauf, dass der Rauch nicht zu Nichtrauchern zog, egal, wo man sich gerade niederließ, überall war man herzlich willkommen. Die "Security" auf dem Gelände waren ein paar Jungs und Mädels, die nur den Besuchern sagten, sie mögen ihre Glasflaschen nicht zu den Bühnenbereichen nehmen, ansonsten standen sie nur rum und tratschten mit den Besuchern. Ich sah nie, dass jemand durchsucht worden wäre oder dass Rucksäcke geöffnet werden mussten.
Das Festivalgelände war zu jedem Zeitpunkt geleckt sauber. Es lag nirgends auch nur ein Kaugummipapier herum, dabei gab es keine Müllsammler, alle Besucher sorgten selber für Ordnung. Bei Sonnenaufgang lag ein bisschen was herum, was die Gäste in der Dunkelheit verloren hatten, doch schon nach einer halben Stunde, war wieder alles sauber, weil jeder, der im Tran zu den Toiletten taumelte jede leere Zigarettenschachtel aufhob und entsorgte.
Auf dem Gelände gab es etliche Share-Communities. Dort stand in wackeligen Regalen alles, was man so brauchte. Eltern schmierten ihre Kids dort mit Sonnenmilch ein und stellten die Tube zurück ins Regal. Wer zu viel von etwas hatte, brachte es einfach mit und stellte es hin. Es lag Werkzeug rum, Zelthaken, Zeckenzange, Getränke, Taschenlampen, aber auch Schüsseln mit Salaten, Suppen, einfach alles.
Auf dem Gelände waren alle möglichen alternativen Lebensstile vertreten, es war kein Problem mit den Menschen dort zu sprechen, keiner versuchte zu missionieren.
Über das Gelände patroullierten vereinzelt ein paar Polizisten, sie wurden begrüßt oder auch ignoriert, sie hatten nichts zu tun, für die war das Urlaub, sie hätten Händchen halten können, keinen hätte es gestört.
Mein Sohn hatte sich mit jemanden vom Orga-Team angefreundet und so bekam er einiges über die internen Vorgängen mit. Wegen der Hitze gab es etliche Notarzteinsätze, aber kein tätlichen Auseinandersetzung, mit einer Ausnahme: zwei Betrunkene aus Bad Hersfeld wollten mitten in der Nacht das Gelände ohne Ticket betreten und fingen am Eingang an zu randalieren.

Alle diese Menschen hatten nur den Wunsch, dort ein paar guten Tage zu verbringen. Sie waren nicht handverlesen, es war eine kunterbunte Mischung aus allen möglichen sozialen Schichten und Milieus.
Natürlich ist ein Hippie-Festival keine fertige Vorlage für ein besseres Gesellschaftsmodell, aber wer so etwas mal live erlebt hat, denkt etwas anders über utopische Modelle. Wer es nicht glaubt, kaufe sich ein Ticket und fährt hin. Es braucht keine Verbote, keine Schilder, die das Wegwerfen von Müll unter Strafe stellen, wenn es jeder einsieht, dass es einfach Scheiße ist. Und was ist schon dabei sich zu bücken, wenn mal wirklich was rumliegt, aus welchem Grund auch immer.
Dort machen es alle, ohne Zwang, nicht mal aus Einsicht sondern aus Überzeugung. Darüber sollten die mal nachdenken, die hier sofort Pol Pot aus ihrem mentalen Giftschrank ziehen, denn es gibt Alternative, wenn man sich endlich mal trauen würde, die Augen zu öffnen.

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