derJ_2bc schrieb am 26.06.2018 17:54:
knarr schrieb am 26.06.2018 16:31:
Der vor Sozialdarwinismus triefende nicht mehr aufrecht gehen könnende Nazi wendet Nietzsche's für das Individuum gedachte Wort unredlich nach außen. Doch inwiefern soll Nietzsche bitte Sozialdarwinist gewesen sein?
"2. Was ist gut? – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht.
Was ist schlecht? – Alles, was aus der Schwäche stammt.
Was ist Glück? – Das Gefühl davon, daß die Macht wächst, – daß ein Widerstand überwunden wird.
Nicht Zufriedenheit, sondern mehr Macht; nicht Friede überhaupt, sondern Krieg; nicht Tugend, sondern Tüchtigkeit (Tugend im Renaissance-Stile, virtù, moralinfreie Tugend).
Die Schwachen und Mißrathnen sollen zu Grunde gehn: erster Satz unsrer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.
Was ist schädlicher, als irgend ein Laster? – Das Mitleiden der That mit allen Mißrathnen und Schwachen – das Christenthum..."
Nietzsche, Der Anti-Christ, 1888Ist das interpretierbar? Hier wird der "Gnadentod" der NS-Euthanasie vorweggenommen, inklusive der moralischen Perversion, doch im Namen des Guten (Menschenliebe, Erlösung von "lebensunwertem Leben"..) zu handeln. Der Machtwille eines Einzelnen wird als höherer Wert gedeutet als das Leben von "Schwachen und Mißrathnen" - das ist die Definition von Sozialdarwinismus, mit Verlaub..
"Zu Grunde gehen", wie an den hohen Zielen... vielleicht Wortspalterei und Interpretationssache.
"Was ist gut? – Alles, was (...) die Macht selbst im Menschen erhöht" - ich interpretiere Nietzsche als einen Individualisten, der aus der Sicherheit der Bourgeoisie sich durchaus an den der Gesellschaft Struktur gebenden Institutionen abarbeitete und vornehmlich seinen eigenen Individualismus ergründete. Vielleicht spielt der Einfluss Nietzsches Schwester auf die Rezeption des ominösen "Willen zur Macht" noch immer eine Rolle, und die Geschichte bietet eine fürchterliche Entwicklung des "Machtwillens Einzelner" ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verluste.
Tucholsky mag ich dennoch von ganzem Herzen beipflichten...
"Was die Hakenkreuzler angeht, so haben sie ihren Nietzsche bereits; warte nur balde, und ich werde zu hören bekommen, dass ich den großen Mann nicht begriffen hätte, weil mir der Sinn fürs Heldische fehle. Er fehlt mir mitnichten. Was ich aber in stärkstem Maße besitze, ist ein Misstrauen gegen falsche Helden, und Nietzsche halte ich für einen geheimen Schwächling. Er heroisiert, so wie einer masturbiert."
Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, 1932
Und wie der heroisieren konnte, doch auch nur sich - was wiederum bemerkenswert auf seine stets auf das gesunde Individuum ausgerichtete Weltanschauung hinweist. Nachtrag: und als schwächelndes Individuum musste Nietzsche zeitlebens eben um Gesundheit bemüht sein wenn nicht gar kämpfen.
Nicht, dass ich den Mann begreifen könnte, und doch macht manches auf mich den Eindruck wie von einer Art Gesundheitsphilosophie*. Nur eben nichts für die Massen (sic)
* > https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/17760
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (26.06.2018 18:34).