Und was erzählt der Autor mit seinem Artikel nun furchtbar Neues, was auch in ein paar Sätze gepasst hätte?
1. Hauptthese m.E.: Was erwartet Ihr? Das ist Kapitalismus. Und erst der muss überwunden werden. Haben wir doch schon immer gesagt(TM).
Ja, und nun? Wird jegliche Kritik erst dann für voll genommen, wenn immer und immer wieder dieser Psalm wiederholt wird? Ich stimme dem ja in weiten Teilen zu. Nur die bei TP und in der "linken" Szene bereits sehr, sehr oft in dieser Weise zu vernehmende "Schulmeisterei" mit vor allem auch dieser Hauptthese macht es m.E. kaum besser. Und sie hat m.E. ähnlich wenig zur "Überwindung der Verhältnisse" beigetragen, wie die seit gefühlt 100 bis 150 Jahren gebetsmühlenartig wiederholte These, der Kapitalismus sei krisenlastig und werde daher schon selbst an seinen Widersprüchen zu Grunde gehen. Und garantiert: Die jetzige Krise wird seine letzte gewesen sein. Ich schwör.
Wann immer er in diesem sehr langem Zeitraum totgesagt wurde, lebte er um so flexibler von Neuem auf. Ein Grund (sicher nicht der einzige) m.E. auch: Die z.T. sehr weite Fassung des Begriffs "Kapitalismus" und die Totsagung jeglichen politischen Ansatzes bzw. "Primats der Politik", d.h. die Kapitulation vor "der Wirtschaft" als des einzig Maßgeblichen und sogar der Politik zuvor Gehenden. Oder in den Worten der "junge Welt": Wirtschaft als das Leben selbst. Ich könnte eine ähnliche Kapitulation bspw. aus Psalmen wie diesen des Autors heraus lesen:
Die Veränderung des Sozialstaats resultiert nicht aus einem politischen Projekt ("Neoliberalismus"). Für die Regierung in einer kapitalistischen Gesellschaft ist das Verhältnis zwischen den finanziellen Ressourcen und dem Ausmaß der Leistungsnachfrage maßgeblich.
[Hervorhebung FF]
2. Der frühere Sozialstaat werde "idealisiert". Der Autor unterstellt vielen Kritiker*innen der derzeitigen Verhältnisse quasi: "Früher war alles besser". Wer von den Kritiker*innen an Hartz IV & Co. tut denn das notwendigerweise, wer "idealisiert" das denn bitte so? Ist das jetzt die nächste Antwort auf die Grundeinkommens-Debatte Marke: Bloß kein (bedingungsloses) Grundeinkommen? Und schon gar nicht auf kapitalistischen Füßen?
Mindestens kritisiert - weniger idealisiert - werden von vielen die tatsächlichen Verschärfungen seit Hartz IV, die selbst der Autor scheinbar kaum bestreitet:
Gewiss sind die Zeiten für Arbeitslosengeld-II-Bezieher im Vergleich zu früher härter geworden.
Der Autor kommt schließlich zu dem effektiven Fazit:
Das "Raubtier" kann gar nicht gezähmt werden. Das war schon immer eine Illusion.
Ok. Und was sagen Sie uns damit wirklich Neues? Wie helfen Sie den Millionen Menschen und auch vielen Langzeitarbeitslosen seit z.T. den 1990er Jahren, die in die Mühlen (nicht erst) von Hartz IV geraten sind? Worauf wollen Sie am Ende hinaus? Doch wieder nur: Überwindet endlich den Kapitalismus. Ok. Für dieses Fazit hätte es mitunter allerdings auch ein Einseiter getan.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (23.07.2017 21:58).