Schönen guten Tag,
ich gehe hier mal nur auf die Pünktchen ein, in denen ich Differenzen
sehe!
H3PO4 schrieb am 22. Januar 2010 16:56
> > [...] Deshalb, weil die Erträge aus der Produktivwirtschaft nicht mehr
> > genügen, kam die Finanzwirtschaft doch überhaupt erst auf die Idee,
> > durch neue Finanzmarktprodukte massiv verstärkt aus Geld quasi ohne
> > Produktion, durch Spekulation (und das heißt ja immer nur: durch
> > Spekulation auf irgendeine erwartete, künftige Produktion, die nur
> > leider unter denselben Problemen leidet wie die bisherige, allenfalls
> > in stärkerem Maße!) mehr Geld zu machen.
>
> Nicht ganz. Sie sind nicht auf die Idee gekommen, sondern es ist
> logische Folge der großen Akkumulation von Kapital, welches (mangels
> Produktivität) nicht mehr in die Realwirtschaft fließt. Das war
> bisher zu Beginn jeder Krise so [...]
Diese Krise ist aber nicht wie die anderen. Diese Krise hat ihre
Ursache ja gerade darin, dass die "große Akkumulation" nicht mehr
klappen will. Und das liegt daran, dass die Produktivwirtschaft, die
"Realwirtschaft", infolge kontinuierlichen technologischen
Fortschritts nicht mehr genug menschliche Arbeit verwerten kann, um
damit genug akkumulierbaren Mehrwert zu erzeugen.
> erst stieg die Produktivität nicht mehr (es fehlten neue
> Basisinnovationen) [...]
Die "Basisinnovationen" sind ja längerfristig auch gerade kein Motor
für die "Kapitalakkumulation" – immer, wenn welche kommen, zuletzt
vor allem die Mikroelektronik und was darauf aufbaute,
Industrieroboter, PCs, die weltweiten Informations- und
Kommunikationsnetze – wird nach dem ersten Strohfeuer die benötigte
menschliche Arbeit für die gesamte Wirtschaftsproduktion wieder nur
umso geringer.
> > Und die Staaten, darunter
> > nicht zuletzt die BRD, hatten nichts dagegen und erlaubten das alles,
> > weil sie selbst schon deutlich unter der Kapitalverwertungskrise der
> > Produktivwirtschaft litten und sich davon die Sicherstellung ihrer
> > eigenen Finanzierung erhofften.
>
> Nicht ganz korrekt. Es sind nicht die "Staaten", die nichts dagegen
> hatten. Es waren und sind die gleichen Profteure, die ihre Leute
> sowohl in den Zentren der Wirtschaft als auch der Politik zu sitzen
> hatten.
Die Staaten hatten aber – naheliegenderweise bei dem oberflächlichem
Denken, das die funktionalen Zusammenhänge des Wirtschafts- und
Finanzsystems nicht durchschaut – schon auch in ihrer Eigenschaft als
Staaten nichts dagegen.
> > Dumm war und ist für die Verfechter solcher Ideen, dass es das
> > ökonomische perpetuum mobile genausowenig geben kann wie das
> > physikalische.
>
> Ist nicht dumm. Funktioniert super - für sie. Wird auch immer weiter
> funktionieren, solange es noch Leute gibt, die an das perpetuum
> mobile glauben (z.B. das Märchen vom "Tellerwäscher zum Millionär").
Und hier liegt, meine ich, ein fundamentaler Irrtum – was wir zurzeit
beobachten, sind die ersten überdeutlichen Zeichen für das, was
kontinuierlich spätestens seit den Achtzigerjahren zu beobachten
gewesen wäre (und seitdem ja auch von klarsichtigen Beobachtern wie
etwa Robert Kurz kontinuierlich beobachtet und zutreffend analysiert
und beschrieben wurde), dass der funktionale Kern des kapitalistische
Systems zunehmend ins Wanken gerät.
Wir befinden uns eben *nicht* bloß in einer besonders schweren
Talsohle einer der "üblichen zyklischen Krisen" des Kapitalismus,
sondern auf dem lediglich bis heute fortgeschrittensten
Nachkriegstiefpunkt seiner Geschichte. Die Tendenz geht seit den
Siebzigerjahren zuverlässig nach unten, und es gibt nicht den
geringsten Anlass anzunehmen, der Kapitalismus könne sich davon
irgendwie nochmal erholen.
> > Mehr Geld kann aus Geld nur durch Verwertung
> > menschlicher Arbeit im Produktionsprozess entstehen. Wenn das volks-
> > oder gar globalwirtschaftlich nicht mehr in volkswirtschaftlich
> > ausreichendem Umfang gelingen kann, dann ist Feierabend.
>
> Noch nicht ganz, aber zumindest wächst dann der Kuchen nicht mehr,
> der für alle zum Verteilen bereit steht. Weil aber gewisse Leute ein
> immer größeres Stück abhaben wollen als im Vorjahr (oder sogar
> Quartal), gibt's Ärger: Verteilungskämpfe um Ressourcen,
> Handelskriege, Zollschranken, mehr Ausbeutung und Unterdrückung usw.
> - war bisher bei jedem Ende eines Strukturzyklus so.
Auch das ist nicht ganz richtig, denn das Hauptproblem ist nicht,
dass die Profiteure immer größere Profite haben wollten (auch wenn
das eine Zeitlang sicherlich zutraf), sondern dass die Gesamtheit
aller Profite immer weniger für alle ausreicht.
> > [...] Und die Leute von attac & Co., denen als "antikapitalistisches"
> > Konzept zur Lösung der Probleme des globalen Kapitalismus nur
> > einfällt, die Finanzmarktauswüchse zu begrenzen, die haben schlicht
> > und einfach den Schuss nicht gehört. Denn der einzige Erfolg solcher
> > Ansätze ist, den Zustand der immer verbreiteteren und gravierenderen
> > Geld- und Finanzierungsengpässe, die das Resultat des Platzens
> > kommender Blasen wäre, durch Verhinderung des Aufblasens schon
> > *vbrher* als Direktfolge der produktivwirtschaftlichen
> > Wertverwertungsunfähigkeit eintreten zu lassen.
>
> Richtig, sie wollen das Aufblasen verhindern, in dem sie es so
> unattraktiv wie möglich machen (Tobin-Tax), dass sich das
> angesammelte Kapital andere Wege suchen muss. Nur wird es leider
> schwierig sein, alle anderen Wege auch zu verschließen, die
> gesellschaftlich nicht erwünscht sind. Was wäre die Alternative? Kann
> das Aufblasen überhaupt verhindert werden?
Das Problem ist nicht, dass das Kapital sich "andere Wege suchen
müsste", sondern dass wegen der zunehmenden Wertschöpfungsunfähigkeit
der Produktivwirtschaft immer weniger anzusammelndes Kapital
entsteht. Auch wenn sich das erst in der aktuellen Krise erstmals
auch monetär in den globalen Volkswirtschaftszahlen auszudrücken
beginnt, ist das schon länger so.
Genaugenommen ist es auf lange Sicht ziemlich egal, ob die Geld- und
Finanzierungsengpässe etwas frühzeitiger auftreten, indem man nicht
zulässt, dass durch Finanzblasen virtuelles Kapital erzeugt wird, das
dann noch eine Zeitlang genutzt werden kann, oder ob man auf das
Zusammenbrechen der Blasen und das dann immer wieder als "Vernichten
von Kapital" in Billionenhöhe betitelte Phänomen wartet, bei dem es
sich tatsächlich nur um das Verschwinden von rein virtuellem Kapital
handelt, dem nie ein realer Wert zugeordnet war.
> > [...] Es gibt keine solche Zukunft mehr.
>
> Oh doch, solange die Menschen noch daran glauben. Ist ein bisschen
> wie bei einer Religion.
Nein, nein: die aktuelle Krise ist ja der Beweis dafür, dass Glaube
allein nicht reicht, um die Funktionsfähigkeit dieses
Wirtschafsssystems aufrecht zu erhalten. Man kann eben nicht
unbegrenzt Kapital hinzuerfinden – es sind die Mechanismen und
Funktionsprinzipien des Wirtschaftssystems selbst, die das auf Dauer
zuverlässig verhindern, und die jetzt dafür sorgen, dass zunehmend
Schluss ist mit der Fête.
> [...] Ist die entscheidende Frage: Prägt das Sein das Bewusstsein oder
> umgekehrt?
Beides! Auch wenn die Frage hier eigentlich nur insofern relevant
wäre, als es um die Fähigkeit der Leute ginge, ihre Lage zu erkennen,
bevor es aufgrund globalökonomischer Zwangsläufigkeiten zu spät ist,
um einen auch nur halbwegs "sanften", unblutigen Systemwechsel zu
initiieren.
Cheers,
d. d.