Man könnte schmunzeln, wenn es nicht so traurig wäre. Mit dieser Wochenkolumne »Fragen aus dem Forum« droht Telepolis die gesamte Reputation als modernes Medium zu verspielen, die es sich unter Florian Rötzer erarbeitet hatte. Dies beginnt bereits beim Etikettenschwindel im Titel, denn ungestellte »Fragen« kann niemand beantworten – okay wäre, wenn wirklich gestellte Fragen beantwortet würden.
Was hier betrieben wird, ist ein sogenannter Faktencheck, mit dem sogenannte Fake-News im Forum markiert werden, um so der Foren-Administration Argumente dafür zu liefern, Kommentare zu löschen, die nach Auffassung von Telepolis als Teil von heise online nicht »der Sachdiskussion zum jeweiligen Forumsthema« dienen, weil sie von der dafür zuständigen Stelle, Ernst Corinth, als falsch klassifiziert wurden. Tatsächlich ist die Kolumne für alle Leser zentral, doch mehr noch für Nutzer des TP-Forums.
Ernst Corinth betreibt hier kein privates Meinungsblog, was andernorts völlig okay wäre, sondern zurrt die Blattlinie fest – zu Wahrheit oder Unwahrheit –, er ist nun das journalistische Gesicht von Telepolis.
Wird Telepolis in Gestalt von Ernst Corinth in dieser Kolumne dem journalistischen Anspruch gerecht, die Komplexität der Welt in Grautönen widerzuspiegeln, oder ist für Telepolis alles entweder schwarz oder weiß? Bietet Telepolis Lesern zur Einordnung von Gesundheitsrisiken Zahlen zum Vergleich an?
Leider nein. Zur »Zwangsimpfung« (Uranus) weiß Telepolis nur festzustellen: »Am Ende bleibt: Einen staatlichen Impfzwang gibt es nicht« (Corinth). Natürlich gibt es heute so wenig einen Impfzwang wie es beispielsweise nach den Nürnberger Rassegesetzen einen Ausreisezwang für Juden gegeben hat.
Aus staatlicher Sicht alles optional. Tatsächlich ist der Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben für Menschen, die auf ihrem Menschenrecht auf informationelle Selbstbestimmung bestehen, sofern sie etwa eine Gaststätte oder ein Hotel besuchen möchten, heute sogar noch totalitärer als damals, denn Juden konnten anfangs noch auf jüdisch geführte Häuser ausweichen, während es in Zeiten der sogenannten Corona-Notbremse nicht einmal Alternativen gibt. Es kann damals auch keinen Zwang gegeben haben, sich im Alltag gegenüber Privatpersonen als sogenannt deutschblütig zu legitimieren, denn es sind Fälle wie der des später hingerichteten Werner Holländer überliefert, in denen jahrelang erfolgreich gelogen wurde. An meinem Wohnort informieren etwa in Biergärten der Außengastronomie gruselige Schilder: »Liebe Gäste, ZUTRITT FÜR: Geimpfte, Genesene, Getestete. DANKE FÜR IHR VERSTÄNDNIS.« (Schreibweise wie im Original). Dafür habe ich selbst in meinem Lieblingsbiergarten keinerlei Verständnis, denn mein Menschenrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist mir, gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, deutlich wichtiger. Und natürlich gibt es auch keinen staatlichen Öffnungszwang für die Außengastronomie, wie das einst linke Telepolis feststellen könnte.
Und wie verhält es sich mit einer weiteren, im Artikel zitierten angeblichen User-»Frage« an Telepolis: »Es gab 2020 keine Übersterblichkeit!« (Pseudonymc) Statt die Problematik zu beleuchten, antwortet Ernst Corinth für Telepolis nur mit einem Zitat des Statistischen Bundesamts und schließt apodiktisch:
»Fazit: Es gibt demnach eine leichte Übersterblichkeit in Deutschland. Dass sie angesichts Tausender von Corona-Toten nicht höher ausgefallen ist, liegt beispielsweise auch daran, dass die Grippe-Saison 2020/21 ausgefallen ist – wegen der allgemeinen Hygienemaßnahmen. Auch die durch den Lockdown bedingte geringere Mobilität hat zu weniger Verkehrstoten geführt.« (Ernst Corinth)
Ob es eine »leichte Übersterblichkeit« (Corinth) oder »keine Übersterblichkeit!« (Pseudonymc) oder gar eine leichte Untersterblichkeit im Jahre 2020 gab, ist wissenschaftlich umstritten und hängt davon ab, wie der demographische Wandel statistisch berücksichtigt wird; seriöser Journalismus würde auf diesen Umstand hinweisen. Völlig ungeklärt bleibt jedenfalls, warum die in Deutschland im Zeitraum von etwa 15 Monaten bis heute beinahe 90.000 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1104173/umfrage/todesfaelle-aufgrund-des-coronavirus-in-deutschland-nach-geschlecht/) nicht zu einer hohen Übersterblichkeit geführt haben.
Ohne die Gesamtzahl dieser Todesopfer für das Kalenderjahr 2020 zu recherchieren und mitzuteilen, versteigt sich Ernst Corinth für Telepolis dafür in wilde Spekulationen, alles habe auch irgendwie mit der angeblich wegen der allgemeinen Hygienemaßnahmen ausgefallenen Grippe-Saison 2020/21 zu tun, obwohl es doch allein um das Kalenderjahr 2020 gehen sollte und diese Hygienemaßnahmen jedenfalls nicht zum Ausfall der COVID-19-Saison führten, sowie mit weniger Verkehrstoten, also nur 2.719 im Jahr 2020, statt 3.046 im Jahr 2019, immerhin ein Rückgang von 327 Verkehrstoten in 2020 (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Tabellen/unfaelle-verunglueckte-.
html;jsessionid=6AAF1B0F1D7943B3A39E77285F9904B5.live722), doch dies im Kontext einer ganz anderen Größenordnung von womöglich Zehntausenden von COVID-19-Todesopfern. So etwas kann man nur als bewusste Irreführung werten, die allen journalistischen Standards widersprechen muss.
Dabei hätte dieser Verweis von Ernst Corinth für Telepolis auf die jährliche Anzahl der Verkehrstoten sogar einmal die Chance geboten, der allgemeinen Panik unter jungen Menschen entgegenzuwirken, indem das Risiko der jüngerer Hälfte der Bevölkerung, an COVID-19 zu sterben, durch den Vergleich, im Straßenverkehr zu sterben (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit
/Todesursachen/Tabellen/sterbefaelle-unfaelle.html), veranschaulicht wird, um das COVID-19-Risiko überhaupt einordnen zu können –, gerade auch im Kontext staatlicher Impfempfehlungen für Schüler, die bis zu einer Zulassung herkömmlicher Totimpfstoffe bisher lediglich auf mehreren experimentellen Impfstoffen mit Notzulassung beruhen. Verantwortlicher Journalismus würde es zumindest versuchen.
Kürzer gesagt, diese Kolumne verletzt ungezählte journalistische Standards –, und das ist gefährlich!