Corona: Weshalb steigen die Fallzahlen?
Werden in Deutschland mehr Infizierte gemeldet, weil mehr getestet wird? Ein Blick auf die Zahlen gibt Aufschluss
Was ist nun mit den Neuinfektionen in Deutschland? Nehmen sie zu? Oder ist der Anstieg nur ein Artefakt, weil mehr getestet wird, wie mancher gerne mit dem Brustton der Überzeugung behauptet?
Um etwas Licht in den Dschungel der Skepsis und der offenen Fragen zu bringen, wäre zunächst zu klären: Wird mehr getestet?
Ja, aber in den letzten Wochen hat die Zahl in Deutschland kaum zugenommen.
Das Robert-Koch-Institut fragt in den Laboren unter anderem auch die Zahl der Tests ab. In seinem aktuellen Wochenbericht hat es auf Seite 10 eine Tabelle der Testzahlen veröffentlicht. Ab der 11. Kalenderwoche (KW) liegen wöchentliche Testzahlen vor.
Demnach gab es in der 11. KW knapp 130.000 Tests. Bis zur 31 Woche stiegen die Tests mit einigen Auf und Abs auf gut 580.000 an, während zugleich die Zahl der gemeldeten Neuinfizierten erst drastisch, dann langsamer abnahm. Ab KW 31 verlief der Anstieg der Testzahlen ziemlich schnell und geradlinig bis in der 36. KW 1,09 Millionen Tests durchgeführt wurden.
In den letzten fünf Wochen verharrte die Zahl der Tests dann annähernd auf diesem Niveau mit nur ganz leichter positiver Tendenz. Es wurden wöchentlich 1,099, 1,162, 1,148 und zuletzt 1,153 Millionen Tests durchgeführt.
Wenn also die Eingangsthese stimmt, dass die Zunahme der gemeldeten Infektionen vor allem eine Folge vermehrten Testens sei, müssten ja die Fallzahlen in den letzten Wochen konstant geblieben sein. Sind sie aber nicht.
Kurzlebige Korrelation
Schauen wir auf die Zahl der wöchentlich gemeldeten Neuinfektionen in der gleichen Tabelle. Ab KW 28 zeigen diese einen Anstieg der Fallzahlen um wöchentlich zunächst gut 400, dann 1100 und ab der 31. KW schließlich um etwa 1500.
Das heißt, von Woche zu Woche stieg die Zahl der Neuinfektionen um rund 1500, bis in der 34. KW schließlich bei über einer Million Tests die Zahl der gemeldeten neuen Fälle auf rund 9500 gestiegen war.
In dieser Phase verliefen Zunahme von Tests und gemeldeten Fällen tatsächlich parallel. Doch was bedeutet das? Dazu gleich mehr, doch erst noch ein Blick auf die letzten Wochen.
Ab der 34. Woche blieb die Zahl der Tests, wie oben bereits dargestellt, auf hohem Niveau weitgehend stabil. Und die Fallzahlen? Die gingen zunächst zwei Wochen lang wieder etwas zurück, um dann ab der 37. KW wieder rasch zu steigen, besonders sprunghaft in der vorletzten Woche.
Trotz annähernd gleicher Testzahlen in den letzten sechs Wochen wurden zuletzt fast 4000 wöchentliche Infektionsfälle mehr gemeldet. Das war eine Steigerung um rund 50 Prozent. Von einem statistischen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Tests und den Positiv-Meldungen kann also für die letzten sechs Wochen keine Rede sein.
Und in den fraglichen vier Wochen davor? In diesen gibt es dem Augenschein nach einen statistischen Zusammenhang, eine Korrelation, wie der Statistiker sagt. Doch das heißt noch nicht, dass es auch einen ursächlichen Zusammenhang geben muss. Wurde nun zumindest in diesem Zeitraum mehr gefunden, weil mehr gesucht wurde?
Oder wurde vielleicht mehr getestet, weil die Zahl der Infizierten zunahm und die Infektionsketten verfolgt werden mussten. Letzteres ist angesichts der Verfahren, mögliche Infizierte aufzuspüren, eigentlich wahrscheinlicher. Beide Erklärungen passen zu der gefundenen zeitweilige Korrelation.
Blick über den Gartenzaun
Wie dem auch sei, der statistische Zusammenhang war ohnehin nur ein kurzlebiger, und vielleicht sollte man sich hierzulande sowieso mal ein wenig angewöhnen, über die Landesgrenzen zu schauen.
Das hätte nicht nur bei der Vermeidung der ersten großen Welle im Frühjahr helfen können. Man hätte sich ja an den ostasiatischen Nationen ein Beispiel nehmen können.
Der Blick über den Gartenzaun hilft auch bei der Frage, nach dem vermeintlichen Zusammenhang zwischen Test- und Fallzahlen.
Schauen wir uns also die Zahlen des Worldometers an. Bei diesem handelt es sich um ein internationales Statistikprojekt, das die wichtigen Zahlen aus aller Welt für ein möglichst breites Publikum und möglichst zeitnah verfügbar machen will. So auch die Corona-Zahlen aus 241 Ländern und Territorien. (Hier stellt sich das Projekt vor.)
Die Angaben über Corona-Infizierte, Todesfälle, Tests etc. werden den Berichten der Regierungen und auch örtlichen Medien entnommen. Für Deutschland greifen die "Weltstatistiker" auf die von einem journalistischen Gemeinschaftsprojekt zusammengetragenen Daten zu, die dieses wiederum bei den Kreisgesundheitsämtern und dem Robert-Koch-Institut erfragt. Die Covid-19-Recherche des Worldometers ist detaillierter hier beschrieben.
Unter anderem kann man in diesen stets tagesaktuellen Tabellen auch die Zahl der Tests und der Fallzahlen vergleichen, und zwar jeweils bezogen auf eine Millionen Einwohner. Sofort fällt auf, dass es zwischen ihnen keinen einfachen Zusammenhang gibt.
Deutschland hat zum Beispiel offensichtlich bereits jeden fünften Einwohner getestet, aber erst 3537 Infizierte pro einer Million Einwohner gemeldet, womit es übrigens erst an 98. Stelle liegt. Angeführt wird die Liste von Katar, wo auf eine Million Einwohner 44.933 Infizierte kommen. Getestet wurde dort aber nur unwesentlich mehr als in Deutschland. Etwa jeder Vierte wurde bisher überprüft.
Dazwischen liegen zum Beispiel die USA mit 22.640 und Brasilien mit 22.730 Infizierten pro einer Million Einwohner. In den USA wurden bisher von einer Million Einwohner 327.000 auf den Virus überprüft, womit dort in etwa 50 Prozent häufiger als in Deutschland getestet wurde. In Brasilien wurden hingegen pro Millionen Einwohner nur 84.000 Tests durchgeführt, also wesentlich weniger als in den USA oder Deutschland, obwohl eine erheblich höhere Zahl an Infizierten als hierzulande registriert wurde.*
Ergo: Auch in den globalen Statistiken findet sich kein Beleg für einen Zusammenhang zwischen Zahl der Tests und der gemeldeten Infektionen. Die These mag auf den ersten Blick so schön logisch zu sein, aber sie lässt sich nicht verifizieren. Die Zusammenhänge sind offensichtlich komplexer.
*Dieser Absatz wurde nachträglich verständlicher formuliert.