"Das gemeinsame Leid verbindet uns"

Das Gedenken an das Massaker von Katyn führt zu einer Annäherung von Polen und Russland

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wie historisch belastet die polnisch-russischen Beziehungen sind, zeigte sich zuletzt im vergangenen Jahr. Im Vorfeld der Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen kam es zwischen Moskau und Warschau zu einigen Unstimmigkeiten bezüglich des Hitler-Stalin-Pakts. Während Polen der Sowjetunion durch diesen Vertrag eine Mitschuld für den Ausbruch des II. Weltkrieges gibt, eine historische Interpretation, die allgemein in Westeuropa verbreitet ist, wehrt sich Russland gegen diese Deutungsweise. Und dies teilweise mehr als vehement. Wenige Tage vor dem Beginn der Feierlichkeiten wurde Polen eine Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland vorgeworfen, mit dem es gemeinsam die Sowjetunion überfallen wollte. Der Hitler-Stalin-Pakt alleine habe diese Aggression verhindert, behaupteten damals nationalistische Kreise in Russland.

Ein noch dunkleres Kapitel als der Hitler-Stalin-Pakt ist in den polnisch-russisch Beziehungen das Massaker von Katyn. Zwischen März und April 1940 wurden allein in dem bei Smolensk gelegenen Dorf ca. 4.000 polnische Kriegsgefangene umgebracht. Insgesamt sind in dem Zeitraum ca. 20.000-30.000 Polen, vorwiegend Offiziere, Juristen, Ärzte etc. auf Befehl Stalins vom NKWD erschossen worden. Katyn ist das Symbol dieses Verbrechens.

Zu dem Massaker bekannte sich die Sowjetunion aber erst 1990. Bis dahin hat man Nazi-Deutschland das Verbrechen angelastet, und dies nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in dem kommunistischen Polen, wo die Wahrheit den meisten bekannt, jedoch nicht ausgesprochen werden durfte. 1992 unternahm Boris Jelzin eine weitere Versöhnungsgeste gegenüber Polen und übergab Warschau die sowjetischen Katyn-Akten.

Doch hiermit endete die Annäherung zwischen den beiden Staaten. Denn zwischen Warschau, vor allem den polnischen Opferverbänden, und Moskau kam es in den letzten Jahren zu neuen Unstimmigkeiten. So wird weiterhin gestritten über die genaue Zahl der ermordeten Polen, die von polnischer Seite mit 30.000 angegeben wird und von Russland mit 20.000. Noch größeren Streit gibt es aber bezüglich des Statuts der Opfer. Russland weigert sich bis heute die ermordeten Polen als Opfer des Stalinismus anzuerkennen.

Zu einer Verhärtung des Konflikts führte auch die polnische Seite. Im September vergangenen Jahres verabschiedete der Sejm eine Resolution, die das Massaker von Katyn als ein "Kriegsverbrechen mit Merkmalen eines Völkermords" einstuft. Und bei der Gedenkfeier auf der Danziger Westerplatte im vergangenen Jahr, verglich Präsident Lech Kaczynski das Verbrechen von Katyn mit dem Holocaust, was sowohl in Polen als auch im Ausland zu Recht auf sehr viel Kritik gestoßen ist.

Im Vorfeld des 70. Jahrestags des Verbrechens von Katyn haben diese Streitpunkte erneut an Brisanz gewonnen. Einen wichtigen Schritt zur Entspannung des Konflikts hat ausgerechnet der russische Regierungschef Wladimir Putin unternommen. Im Februar dieses Jahres lud er seinen polnischen Amtskollegen Donald Tusk nach Katyn ein, um dort gemeinsam der Opfer zu gedenken.

Die Einladung nahm der an einer Normalisierung des polnisch-russischen Verhältnisses interessierte Tusk entgegen. Am Mittwoch nahm er zusammen mit Putin und den Angehörigen der Opfer an einer Gedenkveranstaltung in Katyn teil. Ein Novum in den bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten, sowie eine Chance zur Versöhnung, die beide Politiker nutzten.

"Trauer und Schmerz haben uns hier zusammengebracht", sagte Putin auf der Gedenkveranstaltung, wehrte jedoch jede russische Verantwortung für das Massaker ab. Stattdessen erinnerte er auch an die russischen Opfer des Stalinismus, und somit an das gemeinsame Leid der beiden Völker. Stärker als alle Worte, war jedoch eine Geste von ihm. Wie einst Willy Brandt in Warschau, kniete Putin vor dem Mahnmal für die Opfer von Katyn nieder. Donald Tusk wiederum rief zu einer Versöhnung und Annäherung zwischen den beiden Nationen auf.

Und diese scheint langsam Realität zu werden. Sowohl in der polnischen als auch in der russischen Presse überwogen die positiven Kommentare. Noch mehr aber als die positiven Worte von gestern, zeigt eine andere Tatsache die vorsichtige Annäherung zwischen den beiden Staaten. Vor einigen Tagen strahlte das russische Staatsfernsehen, auch wenn es nur auf dem Spartenkanal Kultura war, Andrzej Wajdas Film Katyn aus, mit einer darauf folgenden Diskussion Vor zwei Jahren, wäre solch ein Programm im russischen Fernsehen so gut wie unvorstellbar gewesen.

Doch wie so oft in den letzten Jahren gibt es in Polen eine politische Kraft, die an dieser Entwicklung einiges zu kritisieren hat. "Außer Symbolik hat die Gedenkfeier nichts gebracht. Das Wort "Verbrechen" wurde nicht erwähnt, es gab auch keine Bitte um Vergebung und keine Zusage, weitere Archivdokumente zugänglich zu machen", sagte gestern Grazyna Gesicka, Abgeordnete der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit ( PiS), während einer Debatte im polnischen Parlament.