Deutsche Bahn will in Polen expandieren
Nachdem die Deutsche Bahn schon im Güterverkehr eingestiegen ist, will sie vor der Fußball-Europameisterschaft auch in den Personen- und Nahverkehr.
Zufrieden kann das Staatsunternehmen, das nach eigenen Aussagen im vergangenen Jahr einen Gewinn von weit über einer Milliarde Euro gemacht hat, über die Schlagzeilen in Polen sein. Am 5. Januar berichtete die polnische Presse, dass die Deutsche Bahn in diesem Jahr auf wichtigen Strecken eigene Personenzüge einsetzen möchte. Aus diesem Grund habe die Bahn bereits eine Lizenz beim polnischen Amt für Bahntransporte beantragt. Die von der DB anvisierten Strecken sind Warschau-Gdingen, Warschau-Kattowitz, Warschau-Krakau und Warschau-Posen. Zusätzlich zu diesen Strecken will die Deutsche Bahn angeblich auch in den Nahverkehr einsteigen.
Die Nachricht wurde in Polen mit Wohlwollen aufgenommen, da die polnische Eisenbahngesellschaft PKP seit Jahren keinen guten Ruf genießt. Die Züge sind veraltet, die Bahnhöfe verschmutzt und der Service miserabel. Vor allem in den letzten Wochen haben die Beschwerden über PKP zugenommen. Wegen des Winters, der östlich der Oder noch kälter ist als in Deutschland, kam es bei PKP zu enormen Verspätungen. Zudem beklagten sich die Passagiere in den Medien über überfüllte Züge und unbeheizte Waggons. Die Mängel sind auf fehlende Investitionen zurückzuführen. Weder in den letzten Jahrzehnten der Volksrepublik, noch in den letzten 20 Jahren seit der politischen Wende wurden genügend Mittel für die Modernisierung des Eisenbahnnetzes bereitgestellt.
Der Einstieg der Deutschen Bahn auf den polnischen Markt, der ermöglicht wird durch die seit dem 1. Januar geltende Liberalisierung des Bahnfernverkehrs innerhalb der EU, wäre für PKP ein schwerer Schlag. Die Deutsche Bahn steht finanziell nicht nur besser da als ihr polnisches Pendant, sie möchte auch Strecken bedienen, die zu den wenigen Goldgruben im polnischen Eisenbahnverkehr gehören. Zudem würde PKP einen weiteren Konkurrenten bekommen. Seit einigen Tagen versucht auch die staatliche Fluglinie LOT mit verbilligten Inlandsflügen der polnischen Eisenbahn Passagiere abspenstig zu machen.
Die Deutsche Bahn verspricht sich dagegen viel von dem Einstieg auf den polnischen Markt, trotz einer aktuellen Entschädigungsforderung polnischer NS-Opferverbände. Da das Autobahnnetz mit gerade mal 600 Kilometern nicht besonders dicht ist und die Fluggesellschaft LOT beispielsweise die Verbindung Warschau-Kattowitz nur einmal in der Woche anbietet, könnte das deutsche Unternehmen sehr schnell zu einer festen Größe im polnischen Personenverkehr werden.
Was die deutschen Eisenbahner sicherlich zu diesem Schritt ermutigt, sind auch die bisherigen Erfahrungen auf dem polnischen Markt. Vor einem Jahr kaufte die Deutsche Bahn Schenker das Privatunternehmen PCC Rail und wurde dadurch nach PKP Cargo zum zweitwichtigsten Unternehmen im polnischen Güterverkehr. Zudem betreibt die Bahn in Kooperation mit PKP die Linien Berlin-Warschau und Hamburg-Berlin-Krakau. Im Frühjahr dieses Jahres soll das Streckennetz um die Verbindung Berlin-Kolberg erweitert werden.
Der Einstieg auf den polnischen Markt ist für die Deutsche Bahn aber noch aus einem anderen Grund interessant. 2012 ist Polen Co-Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft. Von der Großveranstaltung erhofft sich die polnische PKP nicht nur höhere Passagierzahlen, sondern auch aus EU-Mitteln finanzierte Investitionen. Zu diesen Investitionen sollen auch 20 Schnellzüge im Wert von 320 Millionen Euro gehören. Doch um die Marktvorherrschaft der Deutschen Bahn zu schützen, verhinderte Deutschland die Bereitstellung dieser EU-Gelder aus Furcht, PKP könnte mit den Schnellzügen auch auf den deutschen Markt drängen.
Gegen ein noch größeres Engagement der Deutschen Bahn auf den polnischen Markt wehrt sich PKP, und dies auf unterschiedliche Weise. Aus Furcht vor einer "feindlichen Übernahme" verzögert PKP die geplante Privatisierung. Zudem versuchen die polnischen Eisenbahner selber, ihre Tätigkeit auf andere europäische Länder auszudehnen. Wie gerade bekannt wurde, hat PKP Cargo sein bisheriges Engagement in der Tschechischen Republik erweitert.
Thomas Dudek