Ein neues Frankenstein-Monster?
In der Grand Old Party tobt ein Streit, wofür Amerika politisch einsteht und welche Rolle die westliche Führungsmacht in der Welt künftig einnehmen soll
Das "unipolare Moment" und das "Go It Alone", das amerikanische Neokonservative noch vor zwanzig Jahren und nach dem Anschlag auf das World Trade Center ausgerufen haben, hat sich erledigt.
Nicht nur, weil sich die Militäraktionen am Hindukusch und im Zweistromland sowie der Versuch, Demokratie und Freiheit in den Größeren Mittleren Osten zu tragen, als Fehlschläge erwiesen haben. Sondern auch, weil die Diskussionen über den schleichenden Niedergang des Landes nicht abebben wollen.
Seitdem ihre politischen Führer erkannt haben, dass es ohne die anderen nicht geht, ist in den Denkfabriken der Nation ein Richtungsstreit darüber in Gange, welche weltpolitische Rolle die westliche Führungsmacht künftig einnehmen soll. Namentlich in der "Grand Old Party", wie man von jeher die Republikanische Partei bezeichnet. Besonders dort liefern sich Neokonservative und Neo-Realisten seit einiger Zeit einen heftigen Schlagabtausch, der sich vor allem um zwei Problemkreise dreht.
Zum einen um die Frage, ob die USA in Syrien militärisch intervenieren sollen oder nicht. Diverse Leitartikel namhafter Kommentatoren der "Washington Post" und des "Wall Street Journals" (weniger der "New York Times") sind der Ansicht, dass die Art und Weise, wie sich Präsident Obama in der Syrienfrage durchmogelt und versucht, sich um die entscheidenden Fragen herumzudrücken, die Lage dort eher verschlimmert als verbessert.
Zum anderen darum, ob das Land nicht besser daran täte, sein außenpolitisches Engagement, das es in den letzten Jahrzehnten gezeigt hatte, zurückzufahren und sich mehr auf sich selbst zu besinnen. Auch die politische Rechte, vornehmlich Anhänger der Tea-Party, ist der Meinung, dass es an der Zeit wäre, die horrenden Militärausgaben um die eine oder andere Milliarde zu kürzen und sie in die Verbesserung der Infrastruktur des Landes zu stecken.
Manöverkritik üben
Bereits Anfang des Jahres hatte Danielle Pletka, stellvertretende Leiterin für außen- und sicherheitspolitische Fragen am "American Enterprise Institute", nach der Wahlniederlage Mitt Romneys für "Foreign Policy" ( Think Again: The Republican Party) der Partei nahegelegt, sich mit dem Scheitern des afghanischen und irakischen Abenteuers und den außenpolitischen Konsequenzen, die sich daraus für die Werte und Prinzipien der Partei ergeben, eingehender zu beschäftigen, ehe man sich um eine politische Strategie oder Vision für die Zukunft bemühen könnte.
"Wenn die Partei für mehr steht als für Steuersenkungen, Haushaltbeschränkungen und einen schlanken Staat", hatte sie dort in einem überaus langen und ausführlichen Artikel geschrieben, "dann muss sie zu einer moralischen Vision einer Welt zurückkehren, in der die USA andere Staaten dabei unterstützen, dieselben Freiheiten zu erreichen, die ihr selbst so am Herzen liegen."
In der Tat haben sich bislang die Protagonisten der Partei und besonders ihre intellektuellen Helfershelfer um eine überzeugende "Selbst- und Gewissensprüfung" erfolgreich herumgedrückt. Sicherlich ist über beide Kriege bis zum Überdruss diskutiert worden. Doch darüber zu sprechen, was falsch gelaufen ist und wie man die Fehler, die damals gemacht wurden, in Zukunft vermieden werden könnte, damit das Land nicht erneut in einen Konflikt zwischen Skylla und Charybdis hineingezogen werde, hat man sich nicht wirklich durchgerungen.
Wer sind wir?
Anfang Mai hat Danielle Pletka unter der bezeichnenden Überschrift "Who Are We Again" auf der Webseite von "Foreign Policy" die Republikaner erneut mit diesen Themen konfrontiert. Sie hat den latenten Konflikt zwischen Isolationisten und Interventionisten öffentlich angeprangert und der Partei nachgerade und selbstredend zugleich die Identitätsfrage gestellt.
Selbstverständlich sei Syrien "nicht das Kernproblem", so Pletka in ihrem nachgereichten Kurzessay. An dem Land und der Uneinigkeit der Politik darüber, wie man auf die Ereignisse angemessen reagieren müsste, zeige sich aber, dass "wir eine kleine Revolution in der nationalen Sicherheitspolitik erleben, die die Obama-Linke mit der libertären Rechten verbinde (Anhänger der Tea-Party - RM) und die ein isolationistisches Frankenstein-Monster hervorbringe."
Leitartikler, wie etwa der bekannte stockkonservative George F. Will von der "Washington Post" und Jacob Heilbrunn, Herausgeber des "The National Interest", beriefen sich auf "orakelnde Autoritäten der Vergangenheit", auf Walter Lippman oder D. W. Brogan etwa, um ein Heraushalten aus den politischen und militärischen Streitigkeiten anderer zu rechtfertigen.
Was wollen wir?
Dass diese Probleme rasch gelöst werden könnten und sich die Partei wieder darauf besänne, was der Begriff "nationales Interesse" ursprünglich bedeute, dieser Meinung ist sie allerdings nicht. Und dass Lösungen bei Leuten gefunden werden könnten, die in der Vergangenheit vielleicht Kluges von sich gegeben haben, ebenso nicht. Zu groß sind die Gräben, die sich derzeit in der Grand Old Party diesbezüglich zwischen Isolationisten, Realisten und Interventionisten auftun.
Das Problem sei, dass man sich in der Partei über die Grundsätze der nationalen Sicherheitspolitik uneinig ist. Nicht nur was die Ausgabenbeschränkungen und einen schlanken Regierungsapparat angeht. Auch über Krieg und Frieden oder die Parteinahme für wen auch immer, ist man sich uneins.
Gewiss gäbe es einige Vorstöße und Ansätze, wie man das Verteidigungsministerium reformieren könnte, beispielsweise das eine oder andere Programm zu streichen, Personal abzubauen und das Budget gezielter einzusetzen, ohne dass eine robuste und abschreckende nationale Sicherheitspolitik darunter leiden müsste. Auch und vor allem im "American Enterprise Institute". Gleichwohl gebe es aber auch etliche Bremser in der Partei, die jeden Penny, der eingespart werden könnte, für sakrosankt erklärten oder der Ansicht seien, dass man erst dann über derlei Dinge ernsthaft diskutieren müsse, wenn man in der Regierungsverantwortung stünde.
America first
Nun sind derartige "Rückzugsgedanken" alles andere als neu. Das "America first" kann in den USA auf eine lange Geschichte zurückblicken. Schon immer hat das "Nation-Building vor Ort", die Investition in Brücken, Straßen und Erziehung und der Wunsch, eine "leuchtende Stadt auf dem Hügel" zu errichten, Amerikaner und ihre politische Führer, auf der rechten wie auf der linken Seite, in ihren Bann gezogen. Bis zum Eintritt des Landes in den WK I war der "Isolationismus" sogar Grundsatz der US-amerikanischen Politik.
Die Monroe-Doktrin etwa, die Präsident James Monroe Mitte des 19. Jahrhunderts verkündete und die eine rote Linie für jeden künftigen Rivalen markierte, steht in dieser Tradition. Erst mit Präsident Woodrow Wilson und dem US-Engagement auf dem alten Kontinent wurde dieser Grundsatz erstmals und kurzzeitig über Bord geworfen. Nach dem Ende des Krieges besann man sich aber sofort wieder auf sich selbst, was sich in der Distanzierung der USA vom Versailler Vertrag und vom Völkerbund kundtat.
Latenter Streit
Zwar wurde der Isolationismus von Franklin D. Roosevelt später, um das deutsche Nazi-Regime niederzuringen, erneut aufgegeben. Doch noch kurz vor Beginn von WK II wurde er von führenden Republikanern lebhaft propagiert. Etliche rechte Konservative bewunderten in den 1930ern die Politik Hitlers und glaubten in den Nazis einen Bundesgenossen im Kampf gegen Moskau und den sowjetischen Kommunismus gefunden zu haben.
Nach dem Ende des europäischen Bruderkrieges wurde diese Tradition endgültig ad acta gelegt. Die USA nahmen ihre neue weltpolitische Rolle ernst und engagierten sich weltweit, was sich in einem mehr oder minder offenen "Interventionismus" äußert, der eine aktive Beeinflussung und Umgestaltung der Welt nach amerikanischem Vorbild anstrebt und befürwortet.
Man ziehe diesbezüglich nochmals den berühmten Essay "The Illusion Of Omnipotence" des britischen Wissenschaftlers D. W. Brogan zu Rate, der vor genau sechzig Jahren in "Harper's Bazar" erschienen ist. Danach mussten immer wieder "Verschwörungstheorien" herhalten, um Rückschläge in Übersee zu erklären, sei es die kommunistische Macht in China oder die sowjetische Atombombe.
Doch auch während dieser Jahre gab es immer wieder mal den einen oder anderen Richtungsstreit über die Leitlinie US-amerikanischer Sicherheitspolitik in der Partei. Pat Buchanan ist da eine bekannte Adresse. Und auch Ronald Reagan, der von der Partei nach wie vor als großer Staatsmann verehrt wird, wird das Verdienst zugeschrieben, bisweilen eine janusköpfige Politik diesbezüglich betrieben zu haben.
So kommt es, dass der libertäre Rand Paul den "Isolationismus" Reagans in höchsten Tönen loben kann, während der einstige Präsidentschaftskandidat George McCain und der Senator Marcio Rubio dessen politischen "Interventionismus" hervorheben.
Was können wir tun?
Gleichwohl ist Danielle Pletka überzeugt, und das ist für eine Neokonservative vielleicht auch überraschend, dass eine Rückkehr zum Interventionismus, ausgelöst etwa durch eine internationale Krise und angeheizt durch patriotische Stimmungen, die viel grundlegenderen Fragen nach einem Set von Prinzipien nicht beantworten kann, wie eine internationale Sicherheitspolitik aussehen soll, die den nationalen Interessen des Landes gerecht wird und ihren Erhalt zugleich sichert.
Inwieweit die Essayisten die Stimmung der Partei richtig eingefangen hat, ist schwer zu beurteilen. Erst recht von Deutschland aus. Was man allerdings feststellen kann, ist, dass sich auch unter den Konservativen eine gewisse Ernüchterung breit gemacht hat, was das Eingehen weiterer außenpolitischer Abenteuer angeht. Nicht zuletzt Präsident Obama, der außenpolitisch bekanntlich alles andere als ein linksliberaler Politiker ist, steht dafür ein. Sein Zögern und Zaudern diesbezüglich ist verbrieft.
Gewiss konstituieren ein paar Senatoren, angeführt von Rand Paul, bzw. ein paar Leitartikler bei der WP oder dem WSJ noch keine politische Bewegung; und gewiss verspricht ein prominenter Neocon, der jüngst seiner überschäumenden politischen Leidenschaften endgültig abgeschworen hat und zu den realistischen Wurzeln seiner politischen Vergangenheit zurückgekehrt ist, noch keinen politischen Frühling.
Wofür steht Amerika?
In seinem Buch "Foreign Policy Begins At Home" hat Richard Haass, ehemaliger Planungsdirektor im Außenamt unter der Bush-Administration, seine Landsleute zuletzt dazu aufgefordert, endlich die Grenzen ihres weltweiten Einflusses anzuerkennen. Lapidar stellt er fest: "In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die US-Außenpolitik mit den Engagements im Größeren Mittleren Osten ganz einfach übernommen." Statt sich mit außenpolitischen Dingen zu beschäftigen, sollte Amerika das eigene Land aufbauen.
Gleichwohl zeugt Pletkas aufgeregte Statements von einer gewissen Furcht der Neocons, dass realistische Positionen mehrheitsfähig werden und sie an politischen Einfluss in der Partei verlieren. Auch die politische Rechte scheint zunehmend wenig Interesse an moralischen Missionen zu zeigen. Statt die Welt nach amerikanischen Vorbild umzugestalten, neigt auch sie der Ansicht zu, dass die Macht und die Kräfte einer Nation begrenzt ist und man sehr genau unterscheiden müsse, welchen Themen im nationalen Interesse sind und welche nicht.
Folgt man Jacob Heilbrunns kluger Analyse, die er in "The National Interest" dazu niedergelegt hat, dann zeugt Pletkas lautes Rufen von mehr als einen bloßen "Waffenstillstand" zwischen Neocons und Realisten. Es geht in den Auseinandersetzungen (Heilbrunn spricht gar von "Kriegen") im Grunde um die Beantwortung der Frage, wie wir uns Amerika wünschen und wofür Amerika künftig einsteht. Denn "kämpfen für etwas, was wir nicht wollen", so die fünfzigjährige Pletka, "wäre eine Übung in Sinnlosigkeit."