Gefahrengebiet weggebürstet
Die Hamburger Polizei hob gestern auch die reduzierten Gefahrengebiete auf – wird jedoch "ihre Präsenzmaßnahmen in den ehemaligen Gefahrengebieten in angemessener Form fortsetzen"
Ab dem 4.1.2014 6h Ortszeit wurden Teile Altonas, St. Paulis und der Sternschanze zum Gefahrengebiet erklärt. Dann wurde dieses Gefahrengebiet, das immerhin die Größe einer mittleren Kleinstadt hatte, auf die direkte Nachbarschaft der drei darin liegenden Polizeiwachen – Lerchenstraße (Sternschaze), Davidwache (St. Pauli und Mörkenstraße (Altona) – reduziert. Nunmehr "Gefahreninseln" genannt. Diese wurden am Montag ebenfalls aufgehoben, allerdings will die Polizei weiterhin verstärkt Präsenz zeigen.
Durch fantasievolle Proteste war es gelungen, das Gefahrengebiet bundesweit zur Lachnummer zu machen. So richtig ernst nahm es außer der US-Botschaft in Berlin niemand mehr. Die mahnte indes ihre Landsleute offiziell bei einem Hamburg-Besuch zur Vorsicht, so dass dort ansässige Geschäftsleute um Einbußen bei ihren Einnahmen fürchteten. Verschiedene Medien konnten sich bissige Kommentare nicht verkneifen, vor allem nachdem eine Klobürste es als subversives Element bis in die Tagesschau schaffte und so zum Symbol des Widerstands wurde. Schlussendlich ruderte die Polizei nun nach 9 Tagen zurück, allerdings nicht ohne die Aufhebung als Erfolg der polizeilichen Maßnahme zu feiern: "Diese positive Entwicklung setzte sich in den vergangenen Tagen in den modifizierten Gefahrengebieten fort ... Damit sind die mit der Einrichtung der Gefahrengebiete verfolgten Ziele erfolgreich erfüllt worden", heißt es in der Pressemitteilung der Polizei.
Die Aufhebung des Gefahrengebietes ist ganz sicher ein Erfolg der vielfältigen Proteste, kommt allerdings reichlich spät. Das schreibt auch die Frankfurter Rundschau. Abgesehen davon ist es jederzeit möglich, aus der "Fortsetzung der Präsenzmaßnahmen" wieder ein Gefahrengebiet zu machen. Denn die Möglichkeit dazu hat die Hamburger Polizei nach wie vor. Sie wurde ihr 2005 vom damaligen CDU-Schill-Senat mit der Änderung des Polizeigesetzes übertragen.
"Seit Juni 2005 hat die Polizei das Recht, aufgrund ihrer "Lageerkenntnisse" sogenannte "Gefahrengebiete" zu definieren, in denen sie "Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen" darf. (§ 4 Abs. 2 PolDVG). Seit in Kraft treten dieses Gesetzes ist die Polizei ermächtigt, nach eigenem Gutdünken Gefahrengebiete zu errichten, OHNE dass ein Parlament oder ein Gericht dem zustimmen muss. Nach dem Gefahrengebiet ist vor dem Gefahrengebiet – jedenfalls so lange, bis das Polizeigesetz entsprechend geändert wird.
In der Zeit vom 1.7.2005 bis 31.7.2013 gab es laut der Bürgerschaftsfraktion der Linkspartei in den seither errichteten Gefahrengebieten 54.967 Identitätsfeststellungen, 12.499 Inaugenscheinnahme mitgeführter Sachen (Durchsuchungen), 13.793 Platzverweise, 3.858 Aufenthaltsverbote, 2.464 Ingewahrsamnahmen, 6.197 Ermittlungsverfahren. Nicht bekannt ist allerdings, wie viele davon zu einem Verfahren oder gar einer Verurteilung führten.
Auch nach der Aufhebung des Gefahrengebietes bleiben viele Fragen offen, z. B. die nach den Vorkommnissen bei der Davidwache am 28.12. oder auch inwieweit die Polizeiführung in die Entscheidung, das Gefahrengebiet zu errichten, eingebunden war. Außerdem wäre es interessant zu erfahren, warum die Hamburger Grün-Alternative-Liste (GAL) ihre Amtsperiode als Regierungspartei mit der CDU nicht nutzte, um die Änderung des Polizeigesetzes, insbesondere die Streichung des § 4 Abs. 2 PolDVG, auf den Weg zu bringen, um eine solch weitreichende Entscheidung wieder unter die demokratische Kontrolle des Parlaments und der Justiz zu bringen.
Durch die Proteste gegen das Gefahrengebiet wurde zwar erreicht, dass dieses wieder aufgehoben wurde. Allerdings gerieten so die Gründe, die zu der Demo am 21. Dezember geführt hatten – die Räumung der Esso-Häuser und die Situation von Flüchtlingen in der Hansestadt – mehr oder weniger in Vergessenheit. Die Klobürste ist in aller Munde, von Lampedusa redet niemand mehr …