IGF-2 und das gute Gedächtnis
Ein bislang unbeachtetes Hormon könnte eine zentrale Rolle bei der Informationsspeicherung im Gehirn spielen
Wissenschaftler haben durch die Injektion insulinähnlicher Proteine in das Gehirn von Ratten anscheinend deren Lernfähigkeit verbessert. In einer jetzt im Fachmagazin Nature veröffentlichten Studie gelang es einem Team um die Hirnforscherin Cristina Alberini durch den Einsatz eines Hormons mit Namen IGF-2 den Nagern schnelleres Begreifen zu ermöglichen. IGF-2 steht für "Insulin-like growth factors", das sind kleine Proteine, die einen ähnlichen Aufbau wie Insulin haben. Sie leiten Signale von einer Zelle auf eine andere weiter. IGF-2 wurde bislang nur mit Zellteilung und der Wundheilung in Verbindung gebracht. Erst kürzlich hatte Alberini IGF-2 jedoch auch im Hippocampus nachgewiesen, wo es den aktuellen Ergebnissen nach an der Gedächtnisbildung beteiligt ist.
In dem Versuch erhielten Ratten immer dann einen leichten Stromschlag, wenn sie sich dem abgedunkelten Bereich ihres Käfigs näherten. Nach einigen Versuchen lernten sie durch diese Schocks ihre Neugierde zu unterdrücken. Dieses Lernen war, wie die Untersuchung des Hirns zeigte, mit einer vermehrten Bildung von IGF-II verbunden. In einem darauf folgenden Experiment injizierte man IGF-II in den Hippocampus der Tiere. Das Ergebnis: Sie begriffen schneller und behielten das Gelernte auch länger.
IGF-2 ist kein Unbekannter. Das Protein ist Teil eines hochkomplexen, erst in Ansätzen verstandenen Systems der Zellwachstumskontrolle. Erhöhtes Vorkommen von IGF-2 im menschlichen Körper spielt bei dem Entstehen verschiedener Krebsarten eine Rolle. Eine direkte Zuführung von IGF-2 als therapeutische Maßnahme scheint mit unkalkulierbaren Risiken verbunden. Was die Hirnforscher trotzdem aufhorchen lässt ist der direkte Einfluss, den IGF-2 auf den Übergang von Informationen vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis zu haben scheint. Diese Konsolidierung von vor kurzem gelernten Inhalte, beispielsweise einer Telefonnummer, wird in Fachkreisen "long term potentation" (LTP) genannt. Für IGF-2 stehen verschiedene Rezeptoren bereit, die bislang von der Gedächtnisforschung vernachlässigt wurden. Ziel könnte es nun sein, diese Rezeptoren mit IGF-2-ähnlichen Substanzen anzusprechen und für eine langfristige Speicherung von Informationen zu sorgen.