Jenseits aller Restlaufzeiten
Wie Angela Merkel Freund und Feind überlistet - ein Kommentar
Ein Energiekonzept ist es nicht, was die Bundesregierung erarbeitet hat, auch wenn eine Bundesregierung dringend ein Energiekonzept bräuchte, um zumindest einen Hauch von Langfristigkeit in ihrer Politik vorweisen zu können. Trotzdem ist dieses Papier mitsamt allen nach und nach bekannt gewordenen Zusätze ein entscheidendes Dokument. Nur in ganz anderer Hinsicht, als es derzeit diskutiert wird.
Es scheint, dass niemand wirklich begriffen hat, wie Angela Merkel, die ihre doch so mächtigen Konkurrenten allesamt austaktiert hat, vorzugehen pflegt. Die sichtbare Agenda ist kaum jemals ihre tatsächliche Agenda. Auch beim Energiekonzept deutet vieles darauf hin, dass ihre Absichten im Hintergrund bleiben. Wer zulässt, dass ein offizielles Dokument durch zunächst nicht veröffentlichte "Verträge" ergänzt wird, diese aber nach und nach an die Öffentlichkeit dringen lässt; wer so offensichtlich die Zustimmung des Bundesrates auszuhebeln versucht, dabei aber scheinbar dilettantisch vorgeht und selbst von der eigenen Partei dominierte Bundesländer mit Klagen drohen lässt; wer all die Nutznießer und Befürworter verlängerter Laufzeiten der AKWs hinhält, sie einem Wechselspiel von Anreizen und Zumutungen aussetzt, lockt diese aus der Reserve, ohne selbst Farbe zu bekennen.
Wer all dies sehenden Auges und klaren Sinnes tut – hat etwas Anderes vor. Angela Merkel will eines erreichen: Sie will, dass der kommende Kompromiss über verlängerte Laufzeiten, wie immer er auch aussehen mag oder wird, auf Antrag von Parteien oder Bundesländern vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. Mit einem solchen Urteil würde sie viel mehr erreichen, als sie auf üblichem Wege je erreichen könnte. Sie stünde da als die Kanzlerin, die zu den Zusagen ihrer Partei steht ... sie aber leider nicht durchsetzen konnte. Sie stünde da als die Kanzlerin, die die Anliegen der Atomindustrie ernst nimmt ... der aber leider die Hände gebunden sind. Sie stünde da als die Kanzlerin, die ernsthaft ein wegweisendes Energiekonzept vorlegen wollte ... der aber von allen Seiten Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.
Kurz, Angela Merkel stünde nach einem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes als diejenige da, der alle, wirklich alle Optionen für ein tatsächliches Energiekonzept der Zukunft offen stehen. Und genau das will sie erreichen. Deshalb versucht sie all die lästigen Fesseln und Fußangeln, all die Verpflichtungen und Beschränkungen so auszuhebeln, dass niemand ihr Verantwortung zuschreiben kann. Bundesländer und Oppositionsparteien, Atomindustrie und Atomgegner sind alle miteinander bereits auf diese Finten hereingefallen. Insofern wäre für die Kanzlerin der verheerendste Ausgang, dass das Energiekonzept, wie es derzeit vorliegt, nicht kassiert und Wirklichkeit werden würde. Dann müsste sie umsetzen, worauf sie aus rein taktischen Erwägungen eingegangen ist.
Übrigens: Die einzigen, denen sie dies stecken wird, sind Claudia Roth und Jürgen Trittin – raten Sie mal, zu welchem Zwecke ...