Kaczynski hat Angst vor "verkappten" Deutschen

Vor den anstehenden Wahlen nutzt der Chef der nationalkonservativen Partei jede Gelegenheit und alle Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen

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Nach der Wahl ist vor der Wahl. So scheint offenbar das Motto von Jaroslaw Kaczynski zu lauten, der nach seiner Niederlage gegen Bronislaw Komorowski bei den Präsidentschaftswahlen im Juli vergangenen Jahres erneut Premierminister werden möchte. Deswegen nutzt Kaczynski schon heute, ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen, jede Gelegenheit um auf sich aufmerksam zu machen.

Seit einigen Wochen betreibt er einen Blog, publiziert in den wichtigsten Zeitungen des Landes Texte, in denen er sich natürlich kritisch mit der Politik der jetzigen Regierung von Donald Tusk beschäftigt, geht in Begleitung der Presse und seiner Parteifreundin Beata Kempa offenbar zum ersten Mal in seinem Leben einkaufen, um anhand von Kartoffeln, Zucker, Mehl, einem Huhn und Obst gegen die Inflation im Lande zu protestieren, und führt täglich einen scheinbar unermüdlichen Kampf gegen Russland und seinen polnischen Koalitionär Donald Tusk, damit diese endlich die wahren Hintergründe des Flugzeugunglücks von Smolensk verraten.

Und neben all den Aktivitäten fand Kaczynski noch Zeit, einen 116 Seiten umfassenden "Bericht über den Zustand der Republik" zu verfassen, den man seit dem 31. März auf der Internetseite seiner Partei herunterladen kann. Und gerade mit dieser Publikation sorgte Kaczynski in den letzten Tagen für mehr Aufsehen als mit seinen anderen Aktivitäten, Kommentaren oder gar Vorwürfen und Forderungen bezüglich des Flugzeugunglücks von Smolensk, von denen sich die polnische Öffentlichkeit mittlerweile immer mehr ermüdet zeigt.

Grund für die aktuelle Diskussion sind die Passagen über die in Polen lebenden Minderheiten, von denen es Kaczynski vor allem auf die Schlesier abgesehen hat. "Das Bekenntnis zu schlesischen Herkunft ist einfach nur eine Art sich von Polentum abzutrennen und wahrscheinlich nichts mehr als eine verkappte Option für Deutschland", schreibt Kaczynski in seinem Bericht und greift so die Bewegung für die Autonomie Schlesiens ( RAS) an, die bei den Kommunalwahlen vom Herbst vergangenen Jahres mit 8.5 Prozent zur viertstärksten politischen Kraft in der gleichnamigen Woiwodschaft mit der Hauptstadt Kattowitz wurde. Nach Meinung Kaczynskis verbirgt sich hinter ihren Autonomiebestrebungen nichts weniger als der Wunsch nach einem eigenen schlesischen Staat und die damit verbundene Zersplitterung Polens.

Die Kritik auf die Äußerungen ließ nicht lange auf sich warten. So bezeichnete der aus Schlesien stammende Regisseur Kazimierz Kutz diese als "beleidigend und unverantwortlich". "Ich entschuldige mich bei allen, die ich bei der Präsidentschaftswahl dazu gebracht habe, Jaroslaw Kaczynski zu wählen", erklärte wiederum die in Kattowitz geborene Joanna Kluzik-Rostkowska, die im vergangenen Jahr noch den Präsidentschaftswahlkampf des nationalkonservativen Politikers leitete und warf Kaczynski vor, die Schlesier nicht zu verstehen. Ein Vorwurf, den auch Jerzy Gorzelik, der Vorsitzende der Bewegung für die Autonomie Schlesiens wiederholte und die Behauptungen Kaczynskis als absurd zurückwies. "Wer sich mit der Geschichte Oberschlesiens befasst, der weiß, dass hier seit Ewigkeiten Menschen leben, die sich entweder als Polen, Deutsche oder einfach nur als Schlesier identifizieren", sagte Gorzelik und warf Kaczynski vor, mit seinen Äußerungen nur Unruhe zu stiften.

Noch entrüsteter über den Vorwurf, Schlesier seien "verkappte Deutsche", zeigten sich 10 Parlamentarier der regierenden Bürgerplattform, die wegen "Verunglimpfung einer Volksgruppe" Strafanzeige gegen Jaroslaw Kaczynski erstatteten. "Diese Äußerungen hatten zum Ziel, die Schlesier in den Augen der Polen verdächtig zu machen. Sie sollten zeigen, dass sie schlechtere Staatsbürger Polens sind", begründete der schlesische PO-Politiker Tomasz Tomczykiewicz in einem Radiointerview diese Entscheidung.

Doch Jaroslaw Kaczynski und seine PiS lassen sich von der Kritik nicht beirren. Die kritisierten Passagen wurden zwar in dem "Bericht über den Zustand der Republik" leicht verändert, dennoch setzt die nationalkonservative Partei, gemeinsam mit ihr sympathisierenden Medien die Kampagne fort. Auch deshalb, weil die Partei bereits 2005 mit antideutschen Ressentiments punkten konnte. Damals setzt sie das Gerücht in die Welt, Donalds Tusks Großvater habe sich als Kaschube freiwillig in die Wehrmacht gemeldet, was den heutigen Premierminister den sicher geglaubten Sieg bei den Präsidentschaftswahlen kostete. Ob aber mit solchen Ängsten noch heute Wahlen entschieden werden können, darf bezweifelt werden. In einer Umfrage für den Fernsehsender TVN bezeichneten 84 Prozent der Befragten die Aussagen Kaczynskis als falsch.

Dass Jaroslaw Kaczynski gerade jetzt der RAS Separatismus vorwirft, ist kein Zufall. Seit dem 1. April findet in Polen eine Volkszählung statt - sie wird in allen Staaten der Europäischen Union durchgeführt, in Deutschland ab dem 9. Mai -, bei der nicht nur Fragen nach Beruf, Religion, Familienstand oder Besitzverhältnissen gestellt werden, sondern auch nach der Nationalität. Bei der letzten Volkszählung 2002 bekannten sich über 173.000 Menschen, vorwiegend in den Woiwodschaften Schlesien und Oppeln, zu der schlesischen Nationalität. Zur deutschen Minderheit bekannten sich 20.000 Menschen weniger.