Künstlicher Jubel
Photosynthese, Wissenschaftszirkus und die Medien
Die "friedliche Nutzung" der Atomenergie sabotiert sich gerade endgültig selbst, da kommt eine Meldung wie gerufen, dass ein Forscherteam am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ein "künstliches Blatt" entwickelt habe, das, man höre und staune, die Leistungen der Natur zu übertreffen in der Lage sei.
Pflanzen betreiben Photosynthese. Das ist ein erstaunlicher Prozess, in dem verschiedene chemische Grundzutaten mit Hilfe von Sonnenlicht in Produkte umgewandelt werden, die die Grundlage (fast) allen irdischen Lebens sind: "Grüne Pflanzen haben die Fähigkeit, aus Kohlenstoffdioxid und Wasser Kohlenhydrate aufzubauen und dabei Sauerstoff auszuscheiden."
Es wäre in der Tat eine nobelpreiswürdige Weltsensation, wenn es gelungen wäre, diesen Prozess mit verbesserter Leistungsfähigkeit künstlich nachzuahmen. Vergleicht man aber nüchtern mit der echten Photosynthese, was das "künstliche Blatt" des Teams um Daniel Nocera zu tun in der Lage ist, kommt man auch zu einem ernüchternden Ergebnis:
Das "künstliche Blatt" ist nichts weiter als ein verbesserter Katalysator für die Aufspaltung von Wasser in Wasser- und Sauerstoff. Die Leute vom MIT wollen die so gewonnenen Gase in eine Brennstoffzelle einspeisen, um damit elektrischen Strom zu erzeugen. Von Photosynthese, wie sie von Pflanzen geleistet wird, keine Spur.
Nun ist das, was Daniel Nocera und seine Leute geleistet haben, ganz und gar nicht verächtlich. Mit der Aufspaltung von vier Litern Wasser einen Einfamilienhaushalt mit Strom versorgen zu können, das ist schon eine feine Sache. Aber natürlich hätte die Nachricht "Verbesserter Katalysator für die Zerlegung von Wasser in Wasser- und Sauerstoff" nicht annähernd so spannend geklungen wie die Story vom künstlichen Blatt, und ein Schelm ist, wer glaubt, der Zeitpunkt der Veröffentlichung habe etwas mit den Ereignissen in der Welt, speziell in Japan zu tun.
Blätter sind grün, Blätter sind schön, Blätter sind natürlich, und wenn in Japan die Reaktoren brutzeln, sollte da die Welt nicht auf Noceras Wunderblätter umsteigen? Und natürlich verbreitet die Presse die an akutem Guttenbergismus leidet, die flotten Sprüche hundert-, ja tausendfach weiter.
Das Problem mit solchen Aufmerksamkeitsstrategien ist, dass hier nicht nur ein paar beliebige, starke Behauptungen in die Welt gesetzt werden, sondern dass der Wissenschaftszirkus im Verein mit der Presse zu einer Maschine mutiert, die der Anti-Aufklärung dient. Wie viele Erwachsene in Deutschland, prozentual gesehen, können den Unterschied zwischen einer Verbrennung (im Sinne von Oxidation) und einer "Verbrennung" von spaltbarem Material in einem Atomreaktor benennen? Vielleicht sollte man dieser Frage einmal ernsthaft nachgehen, bevor man das übertriebene Gerede von den künstlichen Wunderblättern auf die leichte Schulter nimmt.
(Ich danke den Lesern, die mich auf meinen falschen Gebrauch des Begriffs "Hydrolyse" in der Erstfassung dieses Artikels hingewiesen haben.)