Polen im Kampf um politische und religiöse Symbole
Streit um das Holzkreuz vor dem Präsidentenpalast droht zu eskalieren
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag war es ziemlich langweilig auf der Warschauer Prachtstraße Krakowskie Przedmiescie. Lediglich die Gruppe von "Kreuzrittern", die den Rosenkranz betete und religiöse Lieder sang, erinnerte daran, dass hier in den zwei Nächten zuvor Demonstrationen für und gegen das Kreuz stattfanden ( Kann nur ein Katholik ein guter Pole sein?), das polnische Pfadfinder kurz nach dem Flugzeugunglück von Smolensk zur Erinnerung an Lech Kaczynski und die weiteren 95 Toten vor dem Präsidentenpalast aufstellten.
Laut und aggressiv wurde es vor der Residenz des polnischen Oberhaupts dafür wieder am Donnerstagvormittag, obwohl die Präsidialkanzlei sich für den Tag eigentlich eine Entspannung in der seit nun einem Monat andauernden Diskussion um das vier Meter hohe Holzkreuz erhoffte. An dem Morgen erteilte der oberste Konservator der polnischen Hauptstadt, ohne dessen Genehmigung in der unter Denkmalschutz stehenden Warschauer Altstadt keine baulichen Veränderungen vorgenommen dürfen, die Erlaubnis für die Befestigung einer Gedenktafel an einem der Seitenflügel des Palastes. Was die Präsidialkanzlei dazu bewog, innerhalb kürzester Zeit zu handeln. Bereits um 11 Uhr, knapp 40 Minuten nach der Befestigung, wurde die Gedenktafel offiziell enthüllt.
"In den Tagen der Trauer nach der Katastrophe von Smolensk, bei der am 10. April 2010 96 Menschen ums Leben kamen, darunter der Präsident der Republik Polen Lech Kaczynski, seine Ehefrau sowie der Exil-Präsident Ryszard Kaczorowski, versammelten sich auf diesem Platz unter dem von Pfadfindern aufgestellten Kreuz unzählige Polen, die der Schmerz und die Sorge um das Schicksal des Staates vereinte", steht auf der Granittafel geschrieben, die mit einem schwarzen Kreuz und der Pfadfinderlilie verziert ist. Zudem gab die Präsidialkanzlei bekannt, dass demnächst noch eine zusätzliche Gedenktafel für Lech Kaczynski und die in Smolensk verstorbenen Mitarbeiter der Präsidialkanzlei in der Kapelle des Präsidentenpalastes befestigt wird.
Die polnische Öffentlichkeit zeigte sich von der schnellen und nicht angekündigten Befestigung der Gedenktafel überrascht. Die nationalkonservative Recht und Gerechtigkeit ( PiS) von Jaroslaw Kaczynski, die die Verteidiger des Kreuzes für ihre eigenen politischen Zwecke nutzt, hielt beispielsweise just zu dem Zeitpunkt eine Pressekonferenz ab, in der es um einen Wettbewerb für das zukünftige Denkmal der Opfer von Smolensk ging. Aber auch die Parlamentarier der Regierungskoalition wussten nicht, was zu dem Zeitpunkt vor dem Präsidentenpalast geschah, ebenso wenig wie die Angehörigen der in Smolensk tödlich Verunglückten. Deshalb kann man der Präsidialkanzlei hier durchaus taktische Fehler vorwerfen. Hätten die vom neuen Präsidenten Komorowski berufenen Staatssekretäre die Befestigung der Tafel angekündigt und zu dieser Zeremonie Vertreter der Regierung, der wichtigsten Parteien und die Angehörigen der Opfer eingeladen, wäre nicht der Eindruck erweckt worden, als ob diese Gedenktafel für die neue Führung nur eine lästige Pflicht wäre.
Fraglich ist aber, ob durch die Anwesenheit der Angehörigen die hässlichen Szenen vermieden worden wären, die sich bei der Enthüllung der Gedenktafel abspielten. "Schande", riefen die aufgebrachten Verteidiger des Kreuzes und mussten durch die anwesenden Sicherheitskräfte zurückgehalten werden. Sie bemängeln, dass die Gedenktafel nicht mit der Öffentlichkeit abgesprochen wurde und vergessen dabei, dass sie nur eine Minderheit darstellen und nicht die gesamte polnische Gesellschaft.
Unterstützt werden die Verteidiger des Kreuzes weiterhin durch politische Kräfte. Die Tageszeitung Nasz Dziennik, die zum Medienimperium des politisch umtriebigen und einflussreichen Redemptoristenpfarrers Tadeusz Rydzyk gehört, bezeichnete die Anbringung der Gedenktafel als eine "Eskalation des Konflikts zum Vorteil der (regierenden) Bürgerplattform". Und Mariusz Blaszczak, Fraktionsvorsitzender von Recht und Gerechtigkeit, nennt die Gedenktafel nicht zufriedenstellend und plädiert weiterhin für ein Denkmal der Opfer von Smolensk vor dem Präsidentenpalast.
Eine politische Unterstützung, die immer gefährlichere Folgen hat. Am Donnerstag appellierten die polnischen Bischöfe erneut an alle beteiligten Parteien, das Kreuz nicht zu politischen Zwecken zu missbrauchen. Doch stattdessen mussten sie erfahren, dass sie mittlerweile von den radikalisierten Verteidigern des Kreuzes vor sich hergetrieben werden. "Nicht irgendein Priester, sondern die Erzbischöfe persönlich sollen das Kreuz zu seinem zukünftigen Standort bringen", forderten die Kreuzritter am Donnerstag nach der Enthüllung der Gedenktafel. Doch bis es soweit ist, soll erst das Denkmal für die Opfer von Smolensk entstehen. Bis dahin soll das umstrittene Kreuz von Bürgerwehren bewacht werden, die am Freitag in den Räumen der nationalistischen Tageszeitung Gazeta Polska zusammengestellt wurden.
Doch bei der ganzen nicht nur hitzigen, sondern auch aggressiven Debatte um das Denkmal für die Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk ignorieren dessen Befürworter und die Verteidiger des Kreuzes ein Problem. Aus denkmalschutztechnischen Gründen ist die Errichtung eines Denkmals vor dem Präsidentenpalast nicht möglich. Dies betont jedenfalls immer wieder der wichtigste Konservator der polnischen Hauptstadt. Das aber scheint die Kreuzritter anscheinend nicht zu stören. "Na, dann muss halt der Poniatowski Platz für Kaczynski machen", sagte am Donnerstag eine ältere Frau mit Rosenkranz und zeigte auf das 1898 enthüllte Denkmal des Fürsten Jozef Poniatowski, das vor dem Präsidentenpalast steht. Nach den Teilungen Polens kämpfte Poniatowski für die Unabhängigkeit des Landes und gilt in Polen als Nationalheld.