Ring frei im ukrainischen Parlament
Die Verlängerung des Pachtvertrags der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol bis zum Jahr 2042 sorgte für Aufregung
Dass sich die Klitschko-Brüder nicht allein für den Boxsport interessieren, bewiesen die beiden Schwergewichtsweltmeister bereits während der Orangenen Revolution, als sie sich für den politischen Umbruch in der Ukraine engagierten.
Das politische Engagement endete jedoch nicht mit dem Sturz von Leonid Kutschma. Vor allem Vitalij Klitschko, der ältere der beiden Brüder, der bei den Boxfans auch als "Dr. Ironfist" bekannt ist, erweiterte sein Tätigkeitsfeld um die Politik. 2006 und 2008 bemühte er sich vergeblich um das Amt des Kiewer Bürgermeisters, errang dafür aber immerhin ein Mandat im Stadtparlament der ukrainischen Hauptstadt.
Doch mit diesem Mandat scheint sich der promovierte Sportwissenschaftler nicht zufrieden zu geben. Am Samstag wurde Vitalij Klitschko zum Vorsitzenden der neu gegründeten Partei UDAR gewählt. "Ich bin bereit, die Mauer einzuschlagen, die die Gesellschaft und die Machthaber im Land heute trennt", sagte der Boxer in seiner Rede. Eine Ankündigung, die zum Namen der Partei wie die Faust aufs Auge passt. Neben Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen, für die die Abkürzung UDAR steht, bedeutet der Begriff auch Fausthieb.
So martialisch, wie sich der Name anhört, sind jedoch die Ziele der neuen Gruppierung nicht. Vielmehr will die Partei zu politischen Heimat für all jene werden, die jung, aktiv, erfolgreich und von der aktuellen Politikergeneration enttäuscht sind. "Die alten Politiker haben bewiesen, dass sie zu einer Führung des Landes nicht in der Lage sind", sagte Klitschko, der weiterhin an politische Reformen in der Ukraine und einer Annäherung des Landes an Europa glaubt.
Wie sehr Vitalij Klitschko Recht hat, bewiesen die Politiker gestern in der Werchowna Rada. Während einer Abstimmungsdebatte gingen die Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen mit Fäusten aufeinander los, der Parlamentspräsident wurde mit Eiern beschmissen und im Plenarsaal wurde eine Rauchbombe gezündet. "Da haben sich einige Abgeordnete wohl den Stil der Klitschkos zu eigen gemacht", kommentierte der CDU-Politiker Friedbert Pflüger, der die schlagkräftige Debatte direkt vor Ort verfolgen konnte.
Der Grund für diese Schlägerei war die Abstimmung über die Verlängerung des Pachtvertrags der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol bis zum Jahr 2042, die vergangene Woche die Präsidenten der beiden Länder, Dimitrij Medwedew und Viktor Janukowitsch, vereinbart haben. Als Gegenleistung erhält die Ukraine um 30 Prozent günstigeres Gas.
Dieses Tauschgeschäft stieß in Kiew jedoch auf sehr viel Widerstand. Julia Timoschenko warf Janukowitsch wiederholt vor, den Ausverkauf der Ukraine zu betreiben sowie die Souveränität des Landes aufzugeben. Ein Vorwurf, den auch der ehemalige Präsident Viktor Juschtschenko äußerte. Was dazu führte, dass sich die einstigen Koalitionäre Janukowitsch und Tmoschenko, die sich in den letzten Jahren einen erbitterten Machtkampf führten, sich politisch wieder annäherten.
Von den 450 Abgeordneten stimmten 236 für den Verbleib der russischen Schwarzmeerflotte bis zum Jahr 2042. Doch ihren Widerstand aufgeben wollen Timoschenko und Co. nicht. Noch gestern erklärte die ehemalige Regierungschefin, dass ihr Block Julia Timoschenko ( BYuT) die Arbeit der Werchowna Rada bis zur Aufkündigung des Flottenabkommens oder der Ausrufung von Parlamentsneuwahlen blockieren wird.
Und einiges deutet daraufhin, dass es wegen dem Flottenabkommen tatsächlich zu einer Verschärfung der politischen Situation kommen könnte. Denn nicht nur die Verlängerung des Pachtvertrages für die Schwarzmeerflotte wird kritisiert, sondern auch weitere Zugeständnisse Kiews an Russland. Nach Informationen der Internetzeitung Ukrainska Pravda soll Moskau auch 50 Prozent an dem ukrainischen Flugzeugbauer Antonow erhalten. Und der russische Einfluss auf die ukrainische Wirtschaft könnte demnächst noch größer werden. Gestern veröffentlichte die ukrainische Wochenzeitschrift Zerkalo Nedeli (www.zn.ua/1000/1550/69304/) auf ihrer Internetseite den zwischen Russland und Moskau vereinbarten Vertrag, laut dem die ukrainische Energiewirtschaft demnächst ganz unter Kontrolle Russlands sein könnte und schrieb dabei von einer "Okkupation“.
Die mit Fäusten geführte Debatte vom gestrigen Dienstag ist aber nicht nur mit dem umstrittenen Flottenabkommen zu erklären. Sie ist gleichzeitig auch ein weiterer Beweis für den Niedergang des ukrainischen Parlamentarismus, obwohl sich solche Szenen nicht zum ersten Mal in der Werchowna Rada abspielten.
Die aktuelle Regierung konnte nur deshalb zustande kommen, weil einige Abgeordnete durch ihren Fraktionswechsel eine Regierungsmehrheit erst ermöglicht haben. Und Hauptmotiv für die "Tuschki", was soviel bedeutet wie zum Verzehr bereitete Kleintiere und in der Ukraine neuerdings als Metapher für Fraktionsüberläufer dient, ist nicht die politische Gesinnung, sondern das Geld. Sollten einige der Abgeordneten, egal ob gekauft oder schon seit Jahren der Partei angehörend, bei einer Abstimmung nicht anwesend sein, werden einfach ihre Namenszettel benutzt. Nach Angaben der Ukrainska Pravda haben gestern auch jene Abgeordnete der Partei der Regionen für den Flottenvertrag gestimmt, die zu dem Zeitpunkt gar nicht im Parlament waren. Während der Abstimmung weilten sie in Brüssel.