Russland noch weit entfernt von einem Rechtsstaat

Obgleich manche schon von einem politischen Tauwetter sprachen, verurteilte ein Moskauer Gericht in einer Justizfarce einen Antifaschisten zu einem Jahr Lagerhaft.

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Am Dienstag berichtete die hiesige Presse ausgiebig über die frühzeitige Haftentlassung der ehemaligen Yukos-Anwältin Swetlana Bachmina, die im Jahr 2006 wegen Unterschlagung und Steuerhinterziehung zu sieben Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Eine Gerichtsentscheidung, die sowohl in Russland als auch in Deutschland als ein erstes, vorsichtiges Anzeichen eines politischen „Tauwetters“ gedeutet wurde.

In der vergangenen Woche erhielt diese Mutmaßung genügend Nahrung erhielt. Ausgerechnet der oppositionellen Novaja Gazeta gab der russische Präsident Dimitrij Medwedew sein erstes Zeitungsinterview. Kurz zuvor empfing der russische Präsident Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsgruppen im Kreml, was unter Wladimir Putin noch undenkbar wäre.

Am Dienstag fiel aber auch eine Gerichtsentscheidung, von der westlichen Presse so gut wie ungeachtet, die nicht nur zeigt, wie weit noch Russland von einem bürgerlichen Staat entfernt ist, sondern auch, wie unwillig die dortigen Behörden gegen rechte Gewalt vorgehen, die in den Zeiten der Wirtschaftskrise enorm zunimmt, und stattdessen, wie Boris Kagarlizki, Direktor des Instituts für Globalisierungsstudien, klagte, die Falschen verfolgen.

Zu einem Jahr Lagerhaft wurde Alexej Olesinow von einem Moskauer Gericht wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt. Im August vergangenen Jahres war Olesinow in der Moskauer Disco Kult in eine Schlägerei mit den Türstehern des Lokals verwickelt. Es wurde zwar die Miliz gerufen, die die Personalien der Beteiligten aufnahm, aber die Angelegenheit dann nicht weiter verfolgte. Aus einem Grund: Es gab keine Verletzten, keine Verhaftungen und auch keine Anzeige.

Doch im November 2008 wurde Olesinow im Zuge der Ermittlungen wegen der Ermordung des Trojan-Skinheads Fjodor Filatow verhaftet. Nachdem die Miliz ihm aber eine Verwicklung an dem Mord nicht nachweisen konnte, wurde Olesinow wegen der Schlägerei in der Disco schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Nicht einmal die Türsteher des Moskauer Klubs wollten allerdings in dem Prozess gegen Olesinow aussagen.

Das Gerichtsverfahren gegen Olesinow ist aber nicht nur wegen der Anklage eine Justizfarce mit fadem Beigeschmack. Das Urteil sollte ursprünglich am 13. April verkündet werden, da aber die schriftliche Urteilbegründung noch nicht fertig war, wurde die Verkündung des Verfahrens ausgerechnet auf den 20. April verschoben. Als man in den Justizbehörden registriert hat, dass an diesem Tag Adolf Hitler Geburtstag hat, datierte man die Urteilsverkündung lieber auf den 21. April.

Der Prozess an Olesinow, der aufgrund der mit angerechneten Untersuchungshaft spätestens im November entlassen wird, bekommt noch wegen eines anderen Umstands mehr als tragische Züge. Bis zu seiner Ermordung war Stanislaw Markelow, der am 19. Januar gemeinsam mit der Journalistin Anastasija Baburowa erschossen wurde, der Rechtsanwalt des Angeklagten. Den Mord an dem Juristen und der Journalistin feierte die rechtsradikale Szene unverhohlen im Internet.

Als einen kleinen Erfolg bezeichnet die russische Antifa das Urteil gegen Olesinow. Denn mit der einjährigen Haftstrafe kommt der Antifaschist noch relativ glimpflich davon. Die Staatsanwaltschaft plädierte trotz mangelnder Beweise für eine fünf- bis sechsjährige Haftstrafe. Trotz des unerwartet milden Urteils sind am Dienstagabend mehrere hundert Menschen in Moskau auf die Straße gegangen, um gegen das Urteil gegen Olesinow zu protestieren.