Stress im sozialen Netzwerk

User beklagen, dass die Party gestört wird, und Verleger, die auf Google schauen, bewegen sich auf dem falschen Tanzboden?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Wunsch nach Privatspäre, dem Ungestörtsein von Blicken, von denen man weiß, dass sie andere Wertmaßstäbe anlegen, zeigt sich schon im frühen Alter. Bereits Sechsjährige machen Eltern darauf aufmerksam, dass sie besser das Zimmer verlassen, weil sie spielen. So ist es keine große Überraschung, dass Ben Marder, Student an der Business School der University von Edinburgh, vermutlich in den zwanziger Jahren seines Lebens, alten Facebook-Zeiten nachtrauert - den Tagen, wo "Facebook wie eine große Party für alle deine Freunde war, wo du tanzen konntest, trinken und flirten".

Jetzt wird Facebook zum sozialen Stress, weil Personen hereingelassen wurden, die die Party stören: "Friends". Mit Papa und Mama und dem Boss sei aus dem ungezwungenen Beisammensein auf Facebook ein Event voller Ängste geworden, so Marder, das Netzwerk gespickt mit potentenziellen sozialen Landminen. Damit fasst der Co-Autor die Studie der University von Edinburgh prägnant zusammen. Sie hat nämlich herausgefunden, dass sich mit der Zahl der Freunde auf Facebook auch der Stress-, Angst- und Beklemmungspegel erhöht. Vor allem wenn Eltern und Vorgesetzte aus dem Berufsleben auf der Friends-Liste auftauchen und als nicht immer stille Beobachter Konversationen und Selbstdarstellungen mitbekommen, die anders angelegt sind als die Maßstäbe der Älteren.

Immerhin über 55 Prozent der Eltern waren auf den Facebookseiten der 300 Studenten anwesend, die von der Universität befragt wurden, das Durchschnittsalter der Studenten lag bei 21. Interessant ist, dass die meisten Facebook-Friends nicht aus online-Bekanntschaften resultierten, sondern aus dem Freundeskreis im offline-Leben, woher 97 Prozent der Friends stammen, dazu kommen 87 Prozent aus der Verwandtschaft. Die Freiheit des Online-Auftrittes mischt sich mit den altbekannten Zwängen aus Beziehungen im echten Leben. So kommen sozialen Vorgaben von Vor-und Rücksichten ins Spiel, deren Druck an der befreiten Energie zu erkennen ist, mit der nach der Familienfeier oder dem Geburtstagsfest gesprochen wird, "unter sich", im kleinsten Kreis, wo dann auch Lästereien erlaubt sind. Vielleicht unterlagen User wie Ben Marder der Illusion auch auf Facebook irgendwie in einem umzäunten Bezirk ganz frei und ungezwungen unter sich sein zu können wie in einem exklusiven Garten. Den Traum teilen viele. Auf Facebook finden sich lange und wie im echten Leben manchmal auch interessante Diskussionen.

Diese Diskussionen binden Aufmerksamkeit, die anderswo fehlt. In diesem Zusammenhang verwundert es, das sich die deutschen Verlage in der derzeitigen Debatte um das Leistungsschutzrecht so ausschließlich auf Google konzentrieren. Dort werden Zeitungsnachrichten wie in einem Kiosk präsentiert. mit Schlagzeilen und Unterzeilen zum Ansehen. Der Klick führt dann zur Zeitung.

Auf Facebook werden dagegen Snippets diskutiert. Es kommt gar nicht darauf an, den Links zur Zeitung zu folgen, sondern auf die Unterhaltung dazu. Die kann sich allein mit Überschrift und Dachzeile begnügen. Für die Werber reicht das auch.