Tabula Rasa im Großhirn

Das Enzym PKMzeta spielt eine wichtige Rolle im Langzeitgedächtnis. Forscher wollen es nun für gezieltes Vergessen einsetzen

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Schon länger weiß man, das Erinnerungen nicht nur einfach abgerufen werden. Der Akt des Erinnerns verändert das Andenken, fügt unter Umständen Neues hinzu, lässt als Unwichtig empfundenes wegfallen. Ein Problem nicht nur vor Gericht, sondern auch in der Trauma-Therapie. In den letzten Jahren haben weltweit Wissenschaftler verschiedene chemische Substanzen gefunden, die am Übergang einer Information vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis beteiligt sind. Glaubt man den Forschern, scheint es eine ebenso kleine Gruppe von Substanzen zu sein, die für das Erinnern zuständig sind.

Eine zentrale Rolle wird PKM zeta zugeschrieben. Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein Enzym, das Todd Sacktor vom Downstate Medical Center in New York bereits vor 20 Jahren entdeckt hat. Nicht nur Sacktor glaubt seither, mit dem Enzym den Schlüssel zum menschlichen Gedächtnis in der Hand zu haben, sei es, um das Hirn besser lernen zu lassen, sei es, um es vergessen zu lassen. In einem seiner ersten Versuche hemmte er im Hirn von Ratten das PKMzeta und konnte eine ansonsten stabile Erinnerung komplett löschen. In einem zweiten Versuch erhöhte er die Verfügbarkeit von PKMzeta und konnte nachweisen, dass dies bei den Ratten die Erinnerungsfähigkeit fördert.

Klingt dies bekannt? Ja, schon bei der Gruppe der Neurotransmitter wird versucht, mit Hilfe von Förderung und Hemmung chemische Neubalancierungen im Gehirn auszulösen. Die Pharmakotherapie psychischer Leiden basiert hierauf. Die Serotonin- Wiederaufnahmehemmer (SSRIs, klassisch: Prozac) stellen mehr des Botenstoffs Serotonin zur Verfügungen, um Depressiven zu helfen. Bekanntermaßen gelingt das zum einen nur bedingt, zum anderen immer mit mehr oder minder schweren Nebenwirkungen.

Wie so oft in der substanzgeleiteten Gedächtnisforschung müssen einige Vereinfachungen herhalten, um Erfolg zu garantieren. Gegenseitige Abhängigkeiten im körpereigenen Prozess, äußere Einflüsse, individuelle Eigenheiten - dies alles wird ausgeblendet. Vor ein paar Jahren glaubte man noch mit CREB dem Langzeitgedächtnis ultimativ auf die Sprünge helfen zu können. Die Liste der ehemaligen "Brain Booster" ist lang, aber selbst im experimentierfreudigen "Better Living Through Chemistry"-Untergrund verstauben die meisten Hirndoping-Substanzen in den Schubladen.

Nun also PKMzeta. Neurochemisch interessant ist die Rolle des Enzyms im Prozess der Erinnerung. Denn während wir uns erinnern, werden nicht, wie man nach dem gängigen Bild vielleicht annimmt, irgendwelche "Daten" von der "Festplatte" gezogen. Sondern es kommt eine neurochemische Kaskade in Gang, bei der Neurotransmitter durchgeleitet, Proteine neu gebildet, elektrische Spannungsänderungen stattfinden und einige neuronale Verbindungen gestärkt und andere geschwächt werden. PKMzeta ist eine, aber auch eben nur eine der Substanzen, die dabei ein Rolle spielen. Pharmakologen und Arzneimittelhersteller träumen nun gleichwohl von einer zielgenauen Ansprache von Rezeptoren, die für eine spezifische Erinnerung verantwortlich sind. Diese "Zielgenauigkeit" hat schon durch den Begriff der "selektiven" Wiederaufnahmehemmer eine ganze Generation von Medizinern und Patienten in die Irre geführt. Ein Fehler, der nun wiederholt wird.,