Wird Luschkow der neue Chodorkowskij?

Seit Dienstag dominiert die russischen Medien ein einziges Thema: die Absetzung des Moskauer Bürgermeisters durch Präsident Medwedew

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Entlassung war keine Überraschung. Seit Wochen sah sich der seit 18 Jahren amtierende Jurij Luschkow einer vom Kreml initiierten Medienkampagne ausgesetzt, in der ihm Korruption und Vetternwirtschaft vorgeworfen wurden.

Aufgrund des milliardenschweren Reichtums seiner Ehefrau Elena Baturina, die mit einem geschätzten Vermögen von 2.9 Milliarden Dollar als die reichste Frau Russlands gilt, nicht ganz unbegründete Vorwürfe, wenn man bedenkt, dass der Aufstieg der einstigen Sekretärin von Jurij Luschkow mit dem Beginn seiner Amtszeit begann. 1991 gründete sie mit ihrem Bruder das Unternehmen Inteko, das zunächst Plastikwaren herstellte, darunter auch die 85.000 Plastiksitze für das Moskauer Olympiastadion Luschniki. 2001 investierte Baturina erstmals in Immobilien. Für einen bis heute nicht bekannten Preis kaufte sie das Moskauer Unternehmen DSK-3, das Fertigteile für Plattenbauten herstellte. Mit dem Ergebnis, dass heute Plastik nur noch 10 Prozent des Gesamtumsatzes von Inteko ausmacht.

Doch obwohl Medwedew die in Russland weit verbreitete Korruption seit seinem Amtsantritt 2008 wiederholt geißelt, spielen bei der Absetzung Luschkows persönliche Machtinteressen eine viel wichtigere Rolle, als die korrupte Politik des ehemaligen Moskauer Bürgermeisters. Ähnlich wie mit Luschkow müsste der russische Präsident auch mit anderen Regionalfürsten umgehen. Zudem gibt es einige Politiker, die sich an den Korruptionsvorwürfen Luschkows nicht stören. "Chruschtschow hätte Luschkow für seine Leistungen auf den Händen getragen", erklärte am Dienstag der Moskauer Einiges Russland-Politiker Anatolij Petrow.

Vor historischen Vergleichen scheut sich aber auch nicht Luschkow. Einen Tag vor seiner Entlassung beklagte sich der altgediente Politiker in einem Brief an Dimitrij Medwedew, den am Mittwoch das Wochenmagazin Novoe Vremja-The New Times auf seiner Internetseite veröffentlichte, über die Hetzkampagne gegen seine Person. Zudem warf er dem Präsidenten Demokratiedefizite vor und verglich das heutige Russland mit der Sowjetunion Stalins. "Wenn die Staatsführung mit derartigen Äußerungen diese Angst schürt, wenn man in der Staatsduma sagt, das Parlament sei kein Ort für Diskussionen, dann kann man leicht in einer Situation landen, da es im Land nur einen Chef geben wird, dessen Worten man widerspruchslos folgen muss. Wie lässt sich das mit Ihren Appellen zur Entwicklung der Demokratie verbinden?", schrieb Luschkow, der noch im Mai zum 65. Jahrestag des sowjetischen Sieges über Nazi-Deutschland in ganz Moskau Stalinplakate aufhängen ließ und in der Stadt selber nach Gutsherrenart herrschte.

In die Politik oder ins Exil?

Nach Angaben des Sängers und Luschkow-Freundes Jossif Kobson will Luschkow zudem gegen die Entscheidung des Präsidenten vor dem Obersten Gericht klagen. In einem Exklusivinterview für die schon erwähnte Novoe Vremja, das am 4. Oktober erscheint, widersprach Luschkow jedoch dieser Information. Stattdessen kündigte er an, in die Politik gehen zu wollen, schließt jedoch gleichzeitig eine Kandidatur bei den 2012 anstehenden Präsidentschaftswahlen aus.

Gespannt kann man sein, ob der Kreml eine weitere politische Tätigkeit Luschkows duldet. Viele russische Medien spekulieren bereits, ob Luschkow nicht eher zu einem neuen Chodorkowskij wird. Die politischen Bedingungen sind jedenfalls vorbereitet. Sergej Mironow, Vorsitzender des Russischen Föderationsrates, schloss schon aus, dass der ehemalige Bürgermeister Abgeordneter in der Obersten Parlamentskammer des Landes werden wird. In dieser genießen einige ehemalige (korrupte) Gouverneure aufgrund ihrer Immunität Schutz vor der Staatsanwaltschaft. Und auch in der Putin-Partei Einiges Russland, gibt es für Luschkow keinen Platz mehr. Nachdem erklärt wurde, dass der Ex-Bürgermeister nicht mehr dem Parteivorstand angehören könne, erklärte Luschkow seinen sofortigen Austritt aus der Regierungspartei.

Erste in diese Richtung weisende Signale hat die Staatsanwaltschaft bereits gesendet. Seit einiger Zeit ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen mehrere enge Mitarbeiter Luschkows, die Haushaltmittel unterschlagen haben sollen. Und sollte in diese Ermittlungen auch Luschkow geraten, dürfte dies einige Auswirkungen auf das Wirtschaftsimperium seiner Ehefrau Elena Baturina haben. Wie die Tageszeitung Kommersant berichtete, gehen Bankanalysten und Immobilienexperten davon aus, dass die vergangenen und aktuellen Bauprojekte von Baturinas Unternehmen Inteko in der russischen Hauptstadt genauestens überprüft werden. Dass dabei auch Unstimmigkeiten zum Vorschein kommen, davon sind die Experten überzeugt.

Luschkow und seine Gattin Baturina scheinen sich auf dieses persönliche Waterloo jedenfalls schon vorbereitet zu haben. Luschkow betont zwar, dass er nicht ins Exil gehen möchte, doch schon seit einiger Zeit soll sich das Paar nach einer neuen Residenz in Kitzbühel umschauen. In den vergangenen Jahren hat Baturina jedenfalls schon in Tirol investiert, mit Methoden, die sie schon aus Moskau kennt.