Zensurchaoten verhindern Taz-Diskussionsveranstaltung
Weil "Autonomen" ein Teilnehmer nicht gefiel, drohten sie mit Gewalt
Zensurchaoten sind eine Art Abmahnanwälte ohne Staatsexamen – eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, die an Bedeutung zunimmt. Beide Gefahren werden in Hamburg derzeit besonders gut sichtbar: Die Taz hatte dort in der letzten Woche einen so genannten "Taz Salon" geplant – eine Diskussionsveranstaltung, bei der über "Polizei und Gewalt" geredet werden sollte. Als Teilnehmer angekündigt war neben dem Rechtsanwalt Martin Lemke und Martin Herrnkind, dem Fachbereichsleiter Polizeirecherche bei Amnesty International, auch Joachim Lenders, der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft.
Letzterer stieß auf das Missfallen einer Gruppe, die sich in einem auf Indymedia veröffentlichten Aufruf selbst als "Autonome aus dem Schanzenviertel" bezeichnet. Weil der CDU-Politiker nach Ansicht der Zottelzensoren mit "Argumentationsfiguren am rechten Rand totalitärer Ordnungsvorstellungen" arbeitet, kündigten sie an, die Veranstaltung mit Gewalt sprengen zu wollen. Der offensichtliche Widerspruch, dass sie mit solchen Mitteln selbst in die Instrumentenkiste des Totalitarismus greifen, um die eigenen Ordnungsvorstellungen durchzusetzen, wurde hier nicht das erste Mal offenbar und deutet darauf hin, dass das Mitdenken in solchen Kreisen möglicherweise ähnlich verpönt ist wie in der katholischen Kirche.
Der Staatsschutz fasste den Aufruf der Zensurchaoten erwartungsgemäß als Einladung auf und kündigte seinerseits an, den "Autonomen" 500 bezahlte Polizisten zu der Veranstaltung zu schicken, damit ihre Lieblingsfreizeitbeschäftigung etwas spannender wird. Das allerdings setzte bei Lenders den gesunden Menschenverstand in Gang, der darauf hin aus Angst vor Verschwendungsschlagzeilen seine Teilnahmebereitschaft widerrief.
Darauf hin sah die Taz keinen Sinn mehr in der Veranstaltung und sagte sie ganz ab. Dass die Zeitung nicht auf Lenders verzichten wollte, ist nachvollziehbar: Ohne ihn als Opponenten von Lemke und Herrnkind wäre die Veranstaltung keine Diskussion gewesen, sondern ein bloßes Herunterbeten von Bekenntnissen – ein Ritual, nicht spannender als eine katholische Maiandacht, nach der die Gläubigen nicht nachdenklich, sondern in ihren Überzeugungen bestärkt nach Hause gehen. Genau so etwas schwebte den "Autonomen" aber offenbar vor: Wer etwas über Polizei und Gewalt wissen wolle, so der Aufruf, der könne sich ja bei "Antirepressionsgruppen" informieren und brauche keinen Lenders.
Zudem ist fraglich, wie viele Besucher nach der Drohung noch den Weg ins Kulturhaus 73 gefunden hätten: Dass solch eine Ankündigung reicht, potenziellen Zuhörer massenhaft vom Kommen abzuhalten, dürfte unter anderem daran liegen, dass Richter wie Manfred Götzl in der Vergangenheit dafür sorgten, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstand, Notwehr- und Nothilfehandlungen gegen Gewalttäter würden deutlich entschiedener bestraft als die Ausgangsakte der Aggressoren.
Dabei hätte man dem Polizeigewerkschafter durchaus interessante Fragen stellen können: Etwa die, wie es passieren kann, dass unbescholtene Bürger, die auf einer Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung nur brav ihren Leatherman abgeben wollen, in eine Bürokratiemaschinerie geraten, vor der Franz Kafka seinen Hut gezogen hätte. Oder, warum er statt einer härteren Bestrafung von gegen die Polizei verübten Körperverletzungsdelikten einen Ausbau des Widerstandsparagrafen fordert, der ganz ohne tatsächliche Angriffe auf Beamte sehr leicht für polizeiliche Falschaussagen und als Druckmittel missbraucht werden kann, wie mittlerweile mehrere Fälle, in denen die Wahrheit per Videobeweis ans Licht kam, eindrucksvoll belegen. Bei dem Streitgespräch zwischen Lenders und Herrnkind, das die Taz in ihrer Wochenendausgabe als Ersatz für die Salondebatte abdruckte, wurde die Gelegenheit zum Stellen solcher Fragen nur bedingt genutzt.