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Zölibat als Therapie für Pädophile?

Laut Domradio hat Hans-Ludwig Kröber, Professor für Forensik, ausgerechnet, dass "nichtzölibatär lebende Männer mit einer 36 Mal höheren Wahrscheinlichkeit zu Missbrauchstätern als katholische Priester" werden - aber die Rechnung stimmt wohl nicht.

In der Diskussion um die Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche Deutschlands hatte sich auch Professor Hans-Ludwig Kröber, Fachmann für forensische Psychiatrie an der Berliner Charité und Mitherausgeber des Standardwerks "Handbuch der Forensischen Psychiatrie", in einem Interview mit dem katholischen Domradio zu Wort gemeldet [1].

Der Sender brachte der Öffentlichkeit zur Kenntnis [2], dass "nichtzölibatär lebende Männer [...] laut Kröber mit einer 36 Mal höheren Wahrscheinlichkeit zu Missbrauchstätern als katholische Priester" würden, "die Geisteshaltung, in der Priester lebten", würden "weitgehend davor schützen, Täter zu werden". Der Kriminalpsychiater hatte Berichten [3] des Spiegels [4] entsprechende Zahlen entnommen. Rechnet man jedoch die abgeurteilten Missbrauchsfälle des Klerus im Verhältnis zu denen der Gesamtbevölkerung mittels dieser Zahlen gegeneinander auf, so ergibt sich lediglich eine etwa dreimal geringere Wahrscheinlichkeit für katholische Priester. Betrachtet man allerdings die Gesamtzahl aller aktenkundigen Fälle, so schmilzt diese Differenz auf einen nur noch geringfügigen Unterschied zusammen, zumindest nach unserer Rechnung:

Hieraus ergibt sich, dass die Inzidenz in der Normalbevölkerung nicht 36 Mal, sondern etwas mehr als dreimal höher ist als bei Priestern. Betrachtet man allerdings die Gesamtzahl der Verdachtsfälle seit 1995, also 210.000 insgesamt, wie dies Kröber macht, davon 209.906 nicht-katholische und 94 Priestern bzw. katholischen Laien zugeordnet, so ergibt sich dieses Bild:

Hier liegt die Inzidenz bei Priestern / katholischen Laien damit nur geringfügig unter dem Bevölkerungsdurchschnitt.

Es wäre auch zu schön gewesen, hätte man doch das Kultivieren einer zölibatären Geisteshaltung als Therapieform bei entsprechend einsichtigen Sexualstraftätern einsetzen können, woraus auch die katholische Kirche sekundären Nutzen hätte ziehen können. Was darüber hinaus aber etwas Unbehagen bereitet, ist der Umstand, dass die eine [5] oder andere [6] kircheninterne Richtlinie nicht gerade zur Offenlegung diesbezüglicher Missstände [7] beiträgt, so dass man davon ausgehen kann, dass das wahre Ausmaß des Missbrauchs noch der Aufklärung harren dürfte.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2019624

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.domradio.de/comet/audio/22269.wma
[2] http://www.domradio.de/aktuell/61084/pflicht-zur-selbstpruefung+.html
[3] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,676363,00.html
[4] http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,676404,00.html
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Crimen_sollicitationis
[6] http://en.wikipedia.org/wiki/De_delictis_gravioribus
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Uta_Ranke-Heinemann#P.C3.A4dophilievorw.C3.BCrfe_gegen.C3.BCber_Geistlichen