Titan – Mond des Lebens?

Harald Zaun

US-Astrobiologen glauben, dass in den Methanseen des Saturnmondes Titan Leben schlummern könnte, weil Kohlenwasserstoffe das bessere Lebenselixier sind

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Der Saturnmond Titan, auf dem unlängst der Huygens-Lander so eindrucksvoll niederging, ist möglicherweise ein idealer Platz, um nach Leben zu suchen. Hiervon zeigt sich ein US-Exobiologen-Team nach dem Studium der jüngst veröffentlichten Huygens-Bilder und -Daten überzeugt, auf denen eine fremdartige Welt mit gelben Wolken und schwarzen, öligen Methanseen zu sehen ist. Da auf Titan Temperaturen von bis zu minus 180 Grad Celsius in Bodennähe herrschen, kann der Mond kein flüssiges Wasser konservieren. Gemäß der gängigen exobiologischen Prämisse, wonach flüssiges Wasser die Grundvoraussetzung für alles Leben ist, hätten hier demnach selbst resistente "irdische" Mikroben keine Überlebenschance. Jetzt gibt aber ein US-Astrobiologen-Team zu bedenken, dass Leben auch in flüssigem Kohlenwasserstoff gedeihen könnte, der auf Titan offensichtlich en masse vorhanden ist. Ohnehin seien Kohlenwasserstofflösungen in vielerlei Hinsicht sogar geeigneter als Wasser, um eine komplexe organische Chemie zu steuern.

Exo- bzw. Astrobiologen sind von Natur aus, wohl aber auch berufsbedingt, Optimisten in reinster Ausprägung. Ausnahmslos jeder Forscher, der sich der Suche nach Leben im All verschrieben hat, schwört auf die Existenz außerirdischer Lebensformen. "Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es noch irgendwo anders als auf der Erde Leben gibt", meint die bekannte Astrobiologin Gerda Horneck vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Direkt vor unserer Haustür

Mit einer solch zuversichtlichen Äußerung steht Dr. Horneck nicht allein. "Bisher forschen wir nur vor unserer Haustür", sagt Prof. Walter Flury vom European Space Operation Center (ESOC/Darmstadt), der einige der anstehenden astrobiologischen ESA-Missionen betreut. Es gebe Milliarden von Galaxien. "Ich glaube schon, dass man dort Bedingungen ungefähr wie auf der Erde findet. Das muss fast so sein."

Huygens landete nicht - wie der Künstler dieses Bild es darstellte – in einem Methansee, sondern auf festem Untergrund. (Bild: David Seal / ESA)

Dass die Vertreter der Astrobiologie, Exobiologie, Bioastronomie, Xenobiologie, Kosmobiologie oder wie man auch immer die Disziplin, die sich mit extraterrestrischem Leben beschäftigt, namentlich näher spezifizieren mag, derzeit voller Optimismus in die Zukunft blicken, ist vor allem den Planetenjägern zu verdanken, die bis dato 147 extrasolare Planeten entdeckt haben. Sie sind der Zwillingserde scheinbar dichter auf den Fersen als SETI der interplanetaren Flaschenpost oder Astrobiologen der ersten Alien-Mikrobe.

Während die Planetenjäger immerhin regelmäßig neue Exoplaneten aufspüren und die SETI-Radioastronomen von Zeit zu Zeit vermeintlich verdächtige Signale registrieren, können die Exobiologen indes mit keinem einzigen lebenden Alien-Bakterium aufwarten, das einer wissenschaftlichen Prüfung standhalten würde. Dabei könnte die Heimat von ET & Co. – gemessen an astronomischen Maßstäben – wirklich direkt vor unserer Haustür liegen: auf dem Mars etwa, in der Venus-Atmosphäre, auf den Jupitermonden Io, Callisto, Ganymed und Europa oder gar entgegen bisheriger Annahmen auf dem Saturnmond Titan.

Wasser – wirklich das einzige Lebenselixier?

Auf der Suche nach Leben im All richten die interdisziplinär arbeitenden Astrobiologenteams seit jeher hauptsächlich ihre Aufmerksamkeit auf das Vorkommen von Wasser und Kohlenstoff. Dem altbewährten exobiologischen Grundsatz folgend, wonach für die Entwicklung von biologischem Leben das Lebenselixier Wasser und das bindungsfreudige Element Kohlenstoff unbedingt erforderlich sind, fokussiert sich ihr Interesse dabei in erster Linie auf Exoplaneten, die in der so genannten habitablen Zone liegen, also den richtigen Abstand zu ihrem Mutterstern haben, um genügend flüssiges Wasser zu konservieren.

Wassereis und flüssiges Methan - Aufgenommen beim Huygens-Abstieg mit der DISR-Kamera (Bild: ESA)

Vor allem die konservative Fraktion der Astrobiologen hat sich auf Wasser und Kohlenstoff regelrecht fixiert. Ob auch noch andere Flüssigkeiten die lebenstragende Rolle von Wasser übernehmen könnten, steht für sie nicht zur Disposition. Aber genau diese selbst auferlegte, eingeschränkte Sichtweise hält der US-Biochemiker und Astrobiologe Steven A. Benner für sehr bedenklich. Zusammen mit einigen seiner Kollegen von der University of Florida in Gainesville verfasste Benner daher bereits im Dezember 2004 in der Fachzeitschrift "Current Opinion in Chemical Biology" (Benner S. A., Ricardo A. & Carriqan M.A. Curr. Opin. Chem. Biol., 8. S 672-689.) einen Beitrag, in dem er den Saturnmond Titan zum Trabanten des Lebens erklärt. Das Ergebnis seiner Studie weicht ab von der landläufigen Meinung, dass Leben unbedingt flüssiges Wasser benötigt. "Wenn Leben eine der chemischen Reaktivität innewohnende Eigenschaft ist, dann sollte es Leben auf Titan geben", lautet das Fazit der Untersuchung.

Die entscheidende Frage sei, ob auf Titan nicht Wasser, sondern flüssiger Kohlenwasserstoff, flüssiger Ammoniak oder Schwefelwasserstoff die Alternative zum Wasser sein könnten. "Die Frage ist gar nicht so absurd, wie sie scheinen mag", wiegelt Benner ab. "Vor gerade mal 50 Jahren wussten wir nichts vom Leben in den Tiefen der Ozeane". Ergo sei es ein Fehler, bei der Suche nach außerirdischen Lebensformen in alten Denkmustern zu verharren. "Leben könnte sogar unter weitaus exotischeren Bedingungen existieren, wie etwa in den dichten Atmosphären der großen Gasplaneten". Vielleicht in Gestalt von Mikroben, die sich in den flüssigen Ammoniakwolken des Saturn oder Jupiter treiben lassen. "Ist wirklich Wasser nötig? Ist Kohlenstoff nötig? Warum nicht Silizium als Grundbaustein?"

Komplexe organische Reaktionen in flüssigem Kohlenwasserstoff?

Nach dem Studium der ersten Titan-Bilder, die der Huygens-Lander am 21. Januar zur Erde funkte, worauf viele Wissenschaftler Flüsse und Seen aus flüssigem Methan zu erkennen glauben, sehen sich Steven A. Benner und sein Team nunmehr in ihrer alten Hypothese bestärkt. Man halte es jetzt für sehr wahrscheinlich, so Benner gegenüber dem Online-Magazin "Nature News", dass in den Methanseen des Saturnmondes Bakterien etc. schlummern.

Radarbild von Titan in Farbe. Cassini-Aufnahme vom 26. Oktober 2004 aus 1200 Kilometer Entfernung (Bild: NASA/JPL/SSI)

Aber nicht nur Methan könnte nach Meinung der US-Wissenschaftler bei der Entfaltung von dortigen Lebensformen eine tragende Rolle gespielt haben. Desgleichen könnte auch die Stickstoffverbindung Ammoniak die Rolle des Wassers übernommen haben. Zumal flüssiger Ammoniak ähnliche Eigenschaften wie Wasser aufweist und der Siedepunkt der Stickstoffverbindung auf Titan infolge des dort vorherrschenden höheren Drucks einen völlig anderen Wert hat (flüssiger Ammoniak würde auf der Erde schon bei minus 33 Grad Celsius verdunsten).

"Wasser ist sehr störend ..."

Für komplexe organische Reaktionen sei Methan daher das weitaus bessere Lösungsmittel. Hinzu komme, dass bei Kohlenwasserstoff die Bindungskräfte in den Biomolekülen (wie der DNA-Doppelhelix) stärker sind, so dass in Ethan die Wasserstoffbrücken stabiler sind. "In Ethan könnte eine hypothetische Lebensform die Wasserstoffbrückenbindung besser nutzen". Mit anderen Worten: In einer Umgebung mit flüssigen Kohlenwasserstoffen wie Methan oder Ethan (Äthan) könnten organische Moleküle und Lebensformen erheblich stabiler sein.

Dass flüssige Kohlenwasserstoffe effektiver sind, belegt die gängige Praxis in der organischen Chemie, wo unter Laborbedingungen Kohlenwasserstoffe häufig und mit Erfolg als Lösungsmittel eingesetzt werden. Wasser hingegen seltener, weil es zu reaktionsfreudig ist und oft den Ablauf eines Experiments verzerrt. Genau dieser Effekt könnte auch die Ausbildung von Lebensformen auf anderen Himmelskörpern beeinträchtigt haben. "Wasser ist sehr störend, weil es sehr reaktiv ist", erklärt Benner. "Das menschliche Genom kann nur deshalb überleben, weil es ständig repariert wird."

Cassini-Aufnahme mit dem "Imaging Science Subsystem" im nahen Infrarot vom Landegebiet der Huygens-Sonde. Das Bild wurde allerdings schon Wochen vor der Landung der ESA-Sonde aufgenommen (Bild: SASA/JPL/SSI)

Theoretisch könnten aber urzeitliche irdische Lebensformen vor vier Milliarden Jahren genetische Informationen anstelle von DNA über RNA weitergegeben haben. Sollte sich diese immer noch kontrovers diskutierte Theorie eines Tages erhärten, würde sich damit die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass auf Titan und anderen Himmelskörpern völlig andere biochemische Organismen leben könnten. Gewissheit werde man letzten Endes erst nach einer erneuten Expedition zum Titan haben. "We need to go back, with a lander that can survive for weeks, not minutes", so Benners Originalkommentar gegenüber Nature-News.

François Raulin, ein Spezialist der Huygens-Mission, kann dem Interpretationsansatz der US-Exobiologen allerdings nur wenig Positives abgewinnen und fällt wieder in alte Denkmuster zurück: "Es gibt keine Chance für Leben auf der Titan-Oberfläche, weil es dort zu kalt und folglich flüssiges Wasser nicht vorhanden ist."

Carl Sagan und Leben auf Titan

Schon 1980 konnte die US-Raumsonde Voyager 1 bei ihrem Vorbeiflug an dem Trabanten neben zahlreichen Kohlenstoffverbindungen wie Acetylen, Methylacetylen, Propan und Diacetlyen auch Blausäure nachweisen, welche als Grundlage für die Bildung von bestimmten Bausteinen des Erbmoleküls DNA dient. Unter dem Eindruck der Voyager-Daten geriet der 1996 verstorbene bekannte amerikanische Astronom Carl Sagan ins Schwärmen. Bereits Anfang der 80er Jahre behauptete er, dass sich auf Titan eine Schicht organischen Materials gebildet haben könnte, die mehr als einhundert Meter dick ist. Hier könnte möglicherweise eine chemische und biologische Entwicklung einsetzen, ähnlich wie vor etwa vier Milliarden Jahren auf der Erde. "In Anbetracht der Häufigkeit organischer Stoffe und des Sonnenlichts kann die Möglichkeit von Leben auf Titan nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, zumal es durch Vulkane auf diesem Mond auch wärmere Stellen geben mag", erläuterte Sagan seinerzeit. Allerdings müssten derlei Organismen, die in einer völlig andersartigen Umgebung heranwachsen, auch gänzlich anders aussehen als auf der Erde.