Ägypten: US-Regierung denkt um

US-Präsident Obama setzt sich gegen Mubarak-Unterstützer durch, aber noch will man dem Potentaten einen Abgang in Ehren ermöglichen

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Zehntausende streckten in Ägypten, noch während Hosni Mubarak gegen 23 Uhr Ortszeit im staatlichen ägyptischen Fernsehen und auf Al-Dschasira seine zweite Durchhalterede hielt, einen Schuh in die Höhe - so ziemlich dasselbe wie ein ausgestreckter westlicher Mittelfinger. "Erhal" (Hau ab) lauteten Sprechchöre.

Ein New York Times-Reporter beobachtete, dass die Reaktionen auf Mubarak, je länger er den Rücktritt und das Verschwinden verweigert, noch schärfer werden. Am Dienstag wurde beispielsweise zum ersten Mal öffentlich eine Mubarak-Puppe am Tahrir-Platz aufgehängt. Einer der Oppositionsführer, der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde Mohammed El-Baradei, hatte Mubarak schon zuvor ein Ultimatum gestellt. Er müsse sofort zurücktreten und solle bis Freitag, wenn weitere, möglicherweise noch größere Demonstrationen gegen das Regime unter dem Motto "Day of Departure" stattfinden werden, das Land verlassen. Sonst werde er strafrechtlich verfolgt.

Weniger als drei Stunden später wandte sich US-Präsident Barack Obama in Sachen Ägypten mit einer kurzen, aber richtungsweisenden Erklärung vom Weißen Haus aus an die Presse - und an die Ägypter. Dem Land am Nil stünden "schwierige Tage bevor". Die USA bestünden auf einem Übergang hin zu "fairen und freien Wahlen".

What is clear - and what I indicated tonight to President Mubarak - is my belief that an orderly transition must be meaningful, it must be peaceful, and it must begin now.

Barack Obama

Er habe zuvor eine halbe Stunde lang am Telefon mit Mubarak verbracht, teilte der US-Präsident mit. Mubarak erkenne, "dass der Status quo nicht aufrechtzuerhalten ist und dass Wandel erfolgen muss". Dennoch versuchte Obama nicht, die Oppositionsbewegung abzuwürgen. Der Übergangsprozess müsse von ihr mitgestaltet werden, sagte er.

In Washington wurde erkannt, dass eine Niederschlagung der Proteste den US-Interessen nicht dient

Eine Woche lang hatten sich Vertreter der US-Regierung auf das Beobachten der Demonstrationen und auf Ermahnungen zu "Gewaltverzicht auf beiden Seiten" beschränkt, in der Hoffnung, das Mubarak-Regime werde seine Stabilität auf irgendeine Art und Weise wiedergewinnen. Doch im Anschluss an die Freitagsdemonstrationen wurde den außenpolitischen Führungskreisen Washingtons offenbar das riesige Potential der Opposition bewusst – und ein Festhalten am Status quo in Ägypten als amerikanischen Interessen nicht unbedingt für förderlich befunden.

Laut dem Nahostexperten und linken Obama-Kritiker Stephen Zunes, der als Professor an der University of San Francisco tätig ist, war ein erstes Anzeichen für das Umdenken der Aufruf von US-Außenministerin Hillary Clinton zum "ordentlichen Übergang" zur Demokratie. Washington habe erkannt, dass eine massive gewaltsame Niederschlagung der Proteste durch das Mubarak-Regime amerikanischen Interessen nicht förderlich sei. Die Obama-Regierung habe dem ägyptischen Militär, das von den USA jährlich rund 1,5 Milliarden Dollar erhält, zu verstehen gegeben, dass eine großangelegte Repressionswelle dem Verhältnis zu den USA und den Geldflüssen Schaden zufügen werde.

Laut Zunes plädierten Vizepräsident Joe Biden, Außenministerin Hillary Clinton und US-Militärs für eine Fortsetzung des Pro-Mubarak-Kurses oder ersatzweise für eine "mildere" Form des autoritären Staatswesens unter Omart Suleiman zusammen mit dem ägyptischen Militär. Aber Obama habe sich durchgesetzt.

Obama has demonstrated a rare show of spine against not only Congressional Republicans, but many prominent Democratic hawks. State Department veterans, the Israel Lobby, and other supporters of the Mubarak dictatorship.

Stephen Zunes

Ausgerechnet der Geheimdienstchef Suleiman soll den weichen Übergang organisieren

Die Konsultationen der US-Regierung mit Nahostexperten und mit den unterschiedlichsten Stellen in Ägypten sind seit dem Wochenende auf jeden Fall in vollem Gange. Die amerikanische Botschafterin in Kairo traf am Dienstag Mohammed Al-Baradei. Zu Wochenbeginn – ob am Montag oder Dienstag, war unklar – gab es laut CNN zwischen Mubarak und dem schleunigst nach Kairo entsandten Sonderbeauftragten Frank G. Wisner ein Gespräch, in dem Wisner seinen alten Bekannten Mubarak über den Kurswechsel Washingtons aufklärte. Dabei soll der Amerikaner dem Ägypter empfohlen haben, in seiner Rede öffentlich auf eine weitere Amtszeit zu verzichten.

Eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Figur in der "Übergangsphase" stellt Omar Suleiman dar. Er ist seit mehreren Jahrzehnten aktiver Mitspieler am nahöstlichen US-Pokertisch, der erst vor ein paar Tagen von Mubarak zum "Vizepräsidenten" ernannt worden war. Suleiman sagte, er sei von Mubarak beauftragt worden, "unverzüglich mit der politischen Opposition in einen Dialog um Reformen" einzutreten. Er war in seiner Funktion als Chef des berüchtigten ägyptischen muchabarat (Geheimdienst) nicht nur einer der Meisterspione im gesamten Nahen Osten, sondern auch ein Power Broker zwischen Hamas und Al-Fatah. Auch im weltweiten "Antiterror"-Netz der CIA fungierte er als Bindeglied, vor allem bei den Folterflügen der US-Auslandsschlapphüte, wie der New Yorker berichtete.

Seine neueste Mission wird – wenn sich die Opposition nicht spalten lässt – aber vermutlich scheitern. Trotzdem scheint die Obama-Administration an ihm festzuhalten. Im Fall Mubarak dagegen fällt seit Dienstag laut CNN in außenpolitischen Kreisen der USA der Begriff "dignified exit". Über den Zeitpunkt, das Ziel und die näheren Umstände von Mubaraks Abgang, bei dem er das Gesicht wahren kann", wollten Diplomaten gegenüber der Presse aber noch nicht spekulieren.

Dass der außenpolitische Kurs der USA gegenüber Ägypten ab sofort stark von innenpolitischen Interessen gefärbt sein wird, zeichnet sich dagegen schon jetzt ab. Die Demokratie in Ägypten mit eingeführt und möglicherweise den vom Obama-Vorgänger Bush und den Neokonservativen proklamierten Dominoeffekt erzielt zu haben zu haben – solch einen außenpolitischen Triumph wollen die Republikaner Obama auf keinen Fall gönnen.