BP noch lange nicht aus dem Schneider

Die Energie- und Klimawochenschau: Von ungeliebten Endlagern, heißen Sommern, europäischen Modernisierungsmuffeln, chinesischen Überholern und Fischern, die keinen Fisch für ihre Familien fangen können

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Es ist noch gar nicht so lange her, da meinten einige Schlaumeier, ein paar kalte Winterwochen in Europa oder Nordamerika seien der Beweis dafür, dass es keinen Klimawandel gibt. Sogar einige Volksvertreter entblödeten sich nicht, auf diesem Niveau zu argumentieren.

Und nun? Soll man dem jetzt die sommerliche Hitze entgegenhalten, die gerade über Europa brütet? Das wäre nicht weniger unsinnig. Es sei denn, der derzeitige Sommer erweist sich noch als ein ähnlicher Rekord, wie die verschiedenen Hitzewellen 2003, an denen seinerzeit nach Angaben der Weltmeteorologieorganisation WMO über 70.000 Menschen starben. Ein derartiges Ereignis ist im bisherigen Klima ziemlich unwahrscheinlich. Nur knapp alle 500 Jahre sollte es im statistischen Mittel auftreten.

Sollte sich der derzeitige Sommer als ein Extrem-Ereignis vom gleichen Kaliber erweisen, wäre diese Häufung ein weiteres Indiz dafür, dass sich das Klima verändert. Aber das werden wir erst in einigen Wochen wissen. Derweil versuchen sich einige schon mal in langfristigen Wetterprognosen, was ziemlich gewagt ist, und sagen für die nächsten drei Monate anhaltend überdurchschnittliche Temperaturen voraus.

Verlässlicher ist da auf jeden Fall ein Blick auf die globalen Mittelwerte. Schon in den hierzulande kalten Wintermonaten brach, wie mehrfach berichtet, die über den ganzen Globus und den jeweiligen Monat gemittelte Lufttemperatur wiederholt Rekorde. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die im Klimasystem gespeicherte Wärmeenergie zunimmt. In den letzten Monaten hielt dieser Trend weiter an (s.a. Juli könnte der heißeste Monat seit Beginn der Messungen werden und Viel zu warm).

Ungeliebte CO2-Endlager

CCS, die Technik zur Abscheidung von Kohlendioxid in den Kohlekraftwerken und Einlagerung im tiefen Untergrund, ist bei den Bürgern nicht besonders beliebt, besonders bei jenen nicht, die in Schleswig-Holstein oder im südöstlichen Brandenburg in den Regionen leben, die für CO2-Endlager vorgesehen sind. Dort hatte sich vor rund einem Jahr als die seinerzeitige große Koalition einen ersten Anlauf machte, für CCS einen rechtlichen Rahmen aufzuspannen, binnen weniger Wochen massiver Protest entwickelt. Die Regierung ließ daher im Vorfeld der damaligen Bundestagswahlen das Thema wie eine heiße Kartoffel wieder fallen.

Da aber für die Energiekonzerne viel Geld im Spiel ist, war damit zu rechnen, dass schon bald ein neuer Vorstoß gemacht werden würde. Das ist nun letzte Woche mittels eines von den Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt gemeinsam erarbeiteten Gesetzentwurfes geschehen (Die unterirdische Lagerung von CO2 soll erprobt werden). Bei Vattenfall ist man höchst zufrieden mit dem Gesetzentwurf. Der Konzern betreibt in Südbrandenburg im Kraftwerk "Schwarze Pumpe" eine erste 30-Megawatt-Versuchsanlage und plant den Bau eines Pilotkraftwerks in Jänschwalde, unweit von Cottbus. 2015 soll es in Betrieb gehen.

Kraftwerk und CO2-Pipeline, berichtet die Märkische Oderzeitung, sollen 1,5 Milliarden Euro kosten, 180 Millionen davon hofft der Konzern aus Steuergeldern, in diesem Fall von der EU, zu erhalten. Das Gesetz so versichert ein Vattenfall-Sprecher der Zeitung, sei Voraussetzung für die Investitionsentscheidung. Weder Kraftwerk noch Pipeline sind nämlich bisher genehmigt. Das dafür notwendige Verfahren soll im nächsten Jahr auf der Grundlage des neuen Gesetzes durchgeführt werden, wenn es denn unbeschadet Parlament und Länderkammer passiert.

Modernisierungsmuffel

Einer der Kritikpunkte, den hierzulande linke Klimaschützer am Kyoto-Protokoll haben, ist der sogenannte Clean Development Mechanism, den die Industriestaaten gegen zum Teil erheblichen Widerstand der Entwicklungsländer in den Vertrag gedrückt haben. Staaten und Unternehmen, die in den Ländern des Südens in Technik investieren, die dort Emissionen vermeidet, sollen diese in Form von Zertifikaten gutgeschrieben bekommen. Die können dann zum Beispiel in den EU-internen Emissionshandel eingebracht oder direkt auf die Verpflichtungen des jeweiligen Industriestaates angerechnet werden. Der darf dann mehr CO2 in die Luft blasen.

Das hört sich genauso windig an, wie es in der Praxis auch abläuft. Das Verfahren hat diverse Schwachstellen, insbesondere im Zertifizierungsprozess. Wie werden die vermiedenen Emissionen berechnet? Wer wird als Gutachter eingesetzt? Sind die Gutachter tatsächlich unabhängig? Und so weiter.

Eine der wichtigen Fragen ist, was angerechnet werden kann. So geht es nicht nur darum, dass Emissions intensive Altanlagen durch umweltfreundlichere Technik ersetzt werden. Auch wer ein Kohle- oder Gaskraftwerk auf neuestem Stand der Technik baut, kann so tun als sei es ohne seine Investition mit weniger effizient ausgefallen. Die so angeblich vermiedenen Emissionen kann er sich dann zertifizieren lassen.

Das Nachrichtenportal Klimaretter berichtet, dass derlei in der europäischen Stahlindustrie gang und gebe sei. Statt sich hierzulande um den Einsatz effizienterer Technik zu kümmern, die nebenbei auch noch Energie sparen würde, kauft man sich lieber Emissionszertifikate bei der Konkurrenz in China und Indien ein. Spitzenreiter sei die deutsche Firma Glock Salzgitter, die 99,5 Prozent ihrer Emissionsverpflichtungen auf diese Art abdeckt. Ganz so teuer, wie das ständige Gejammere der Industrie vermuten lässt, scheinen die deutschen Energiekosten dann doch nicht zu sein. Dafür wird man vermutlich in einigen Jahren nach staatlichem Schutz rufen, weil man die technologische Entwicklung verschlafen hat und die Schwellenländer nun einen Vorsprung haben.

China auf der Überholspur

Der britische Konservative Tim Yeo, Vorsitzender des Unterhausausschusses für Energie und Klimawandel, warnt schon jetzt, dass der Westen den Anschluss an China verlieren könne. Das Land der Mitte würde wie wild in CO2-arme Technik investieren, und uaf der internationalen Bühne den "bad guy" spielen, um von diesen Anstrengungen abzulenken. "Die Gefahr ist, dass wir in zehn Jahren aufwachen und feststellen, dass sie uns überholt haben."

Das ist zwar eine etwas eigenwillige Interpretation der chinesischen Motive, aber Yeos Beschreibung der chinesischen Technologie- und Klimapolitik ist durchaus zutreffend: " (…) während ihre Wirtschaft wächst, investieren sie in Technik mit geringen CO2-Emissionen. Sie schaffen in kürzester Zeit ein Netz von Hochgeschwindigkeitszügen, so dass die Zahl der Inlandsflüge vermindert werden kann, sie investieren sehr stark in erneuerbare Energien, sie haben ziemlich anspruchsvolle Umweltstandards für Kraftfahrzeuge, und sie haben ein beeindruckendes Aufforstungsprogramm."

Yeos Vorschläge, wie Europa Schritt halten könnte, sind allerdings nicht besonders revolutionär. Er will den Emissionshandel individualisieren und vor allem dem einzelnen mehr Verantwortung für seine Emissionen geben. Das hört sich nicht gerade nach einer innovativen Industriepolitik an und verkennt einmal mehr, dass die meisten Entscheidungen über Energieverbrauch und Emissionen eben nicht von den Verbrauchern sondern von Politikern und Unternehmern getroffen werden.

Derweil investiert China nicht nur zuhause in den Eisenbahnbau – nach dem Schiff das klimafreundlichste Massenverkehrsmittel –, sondern auch in anderen Ländern. Letzte Woche wurde in Beijing (Peking) anlässlich des Besuchs der argentinischen Präsidentin Cristina Fernandez Kirchner ein Vertrag über die Erneuerung einiger Tausend Kilometer argentinischer Eisenbahnstrecken abgeschlossen, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Zehn Milliarden US-Dollar sollen in den nächsten Jahren investiert werden, rund 85 Prozent davon wird die Volksrepublik stellen, den Rest Argentinien.

Das Land hat ein ausgedehntes Eisenbahnnetz, das jedoch in Folge der Privatisierung vollkommen herunter gewirtschaftet ist. Fährt man mit einer der wenigen verbliebenen Fernverbindungen, so kann es einem passieren, dass man zunächst mehrere Stunden auf die Abfahrt warten muss, weil die vorgesehene Lok erst einmal einen liegen gebliebenen Zug abholen muss. So dann kann es passieren, dass das Fenster neben einem sich immer wieder öffnet und per Hand zugehalten werden muss, während der Zug im äußerst gemächlichen Tempo durch die endlose Pampa ruckelt.

Ganz uneigennützig ist die chinesische Hilfe nicht. Vorrangig werden von dem Geldsegen Linien profitieren, die für den Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse wichtig sind. China ist einer der größten Abnehmer von argentinischem Soja. Die argentinischen Landwirte klagen sei Jahren, dass sie ihre Waren größtenteils auf den Straßen zu den weit entfernten Häfen transportieren müssen, was teuer ist. Mit den modernisierten Bahnen können die Exporte schneller und günstiger die Abnehmer nicht zuletzt in der Volksrepublik erreichen.

BP Desaster noch nicht zu Ende

Auch wenn sich der Ölkonzern BP bemüh, gute Nachrichten über sein exorbitantes Öldesaster zu produzieren, so richtig Zeit zum erleichterten Zurücklehnen ist noch nicht. Zwar scheint mit der neuen Glocke der Austritt nunmehr fürs erste weitgehend gestoppt, aber die Lösung ist keinesfalls stabil und nicht für eine langfristige Sicherung des Bohrlochs geeignet. Die wird erst erreicht sein, wenn es gelingt, das Bohrloch von der Seite anzubohren und mit Beton zu verschließen.

Derweil herrscht unter der Glocke reichlich Druck und, wie es aussieht, ist auch das Rohr, durch das Öl und Gas aus dem Erdinneren aufsteigen nicht mehr ganz dicht. Es gibt jedenfalls Meldungen, wonach eventuell Methan aus dem Boden in der Nähe des Bohrlochs dringt. Sollte das zutreffen, dann wäre daraus zu schließen, dass aufgrund des hohen Drucks unter der neuen Glocke auch Öl in den Boden eindringt. Die US-Behörden haben BP daher aufgefordert, den Fall genau zu untersuchen und die Glocke wieder zu öffnen, sollten sich die Befürchtungen bewahrheiten. Andernfalls könnte der hohe Druck das Rohr in der Ölquelle beschädigen und die Havarie vollends außer Kontrolle geraten lassen (s.a. Ölpest. Die Angst vor weiteren Lecks).

Weniger spektakulär als große Glocken, ölverschmutzte Vögel oder Teerklumpen an Touristenstränden, aber dennoch einschneidend sind die Folgen, die BPs Öl-Desaster in der Region für die Fischer und ihre Familien hat. Nicht nur, dass ihnen nun das Einkommen fehlt, sie haben auch bisher einen wichtigen Teil ihrer Nahrung direkt aus dem Meer bezogen. So lange man ein Netz oder eine Leine auswerfen kann, leidet man am Golf keinen Hunger, hieß es. Doch nun sind sie, wie die Nachrichtenagentur AP schreibt, darauf angewiesen, dass Wohltätigkeitsorganisationen sie mit Konserven versorgen oder sie von BP Geld für Lebensmittel bekommen. Für Menschen, die es ein Leben lang gewohnt waren, sich selbst zu versorgen, ist das keine angenehme Situation, mal davon abgesehen, dass sie bisher einen Speisezettel hatten, der gesünder kaum sein konnte.

Die Hilfsorganisationen haben Schwierigkeiten, die nötigen Gelder für die verteilten Nahrungsmittelpakete aufzutreiben. BP hat gleich zu Beginn des Unglücks 750.000 US-Dollar gezahlt, seitdem warten die Helfer jedoch vergebens auf weitere Überweisungen. Der Konzern gibt die unmittelbaren Kosten des Lecks mit bisher vier Milliarden US-Dollar an. Darunter sind auch einige 100 Millionen Dollar, die an die betroffenen US-Bundesstaaten und an Privatpersonen gezahlt wurden. Ein paar Hunderttausend für die Wohlfahrtsvereine würden also eigentlich nicht gerade schwer ins Gewicht fallen.

Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur IEA sind inzwischen 2,3 bis 4,5 Millionen Barrel (159-Liter-Fass) Öl aus dem haverierten Bohrloch ausgetreten. Wegen der Verzögerungen in Folge des Unglücks rechnet die Organisation für dieses und das kommende Jahr damit, dass die tägliche Förderung im Golf um 30.000 Barrel geringer ausfallen wird. Was danach geschehe, hänge sehr davon ab, ob und wie lange das Moratorium für Bohrungen in großen Wassertiefen bestehen bleibe. Weitere Verzögerungen in der Projektentwicklung würden gegebenenfalls die bisher prognostizierte Förderung in der Golfregion für 2015 um 100.000 bis 300.000 Barrel pro Tag reduzieren können.