Der Papst, der I-Pod und der Hyperpolytheismus

Noch sind die Gläubigen nicht gedopt. Eine Entgegnung

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Der Weltjugendtag in Köln ist vieles zugleich: das offizielle kirchliche Debüt des noch neuen Papstes Benedikt XVI. (BXVI) im heimischen Ausland, ein konfessionelles Massen-Festival für junge Leute und ein globales Medienereignis. Es lohnt sich, diese Dinge aus einer anderen Perspektive als Rüdiger Suchsland (vgl. Gott ist geil, irgendwie) zu betrachten

Ein Bad in der Menge: in der Kölner Innenstadt, am Rhein und rund um den Dom, auf der Westachse vom Aachener Weiher bis zum Stadion und weiter zum Marienfeld. Köln ist verzaubert durch fast eine Million neuer internationaler Einwohner auf Zeit. Pilgernde Gruppen mit Rucksäcken, Tracking-Ausrüstung und ihren Landesfahnen, keine Nationalisten, sondern junge Christen unterwegs aus aller Welt, die sich gegenseitig zujubeln, einander begegnen und Autogramme auf ihre Flaggen schreiben, bevor's beschwingt weitergeht.

Jubel statt Johlen

Fröhliche Menschen, die mehr oder minder in christliche Gruppen und Organisationen eingebunden sind oder dem Glauben sich zugehörig fühlen. Kölns Innenstadt ist von einem riesigen Menschentrubel und Farbenrausch überflutet. Das "Johlen" (Suchsland), wie im Karneval oder bei einem Fußballspiel oder Rockkonzert, die sinn- und maßlose Ausgelassenheit, die in militantem Besuff und Krawall mancher Fans, Jecken oder Demonstranten endet, bleibt aus. Es wird gejubelt, wie bei einem allgegenwärtigen unsichtbaren Sieg.

Der Aggregatszustand der Menge ist anders, sensibel, achtsam, respektvoll gegenüber den Individuen, etwa so, wie damals in Bonn auf der Friedensdemonstration. Die entscheidende Differenz: Es gibt keinen großen politischen oder kirchlichen Diskurs, sondern mitmenschliche Zusammenkunft, emotionale Harmonie und den Austausch im Zeichen des Glaubens mitten in der Öffentlichkeit. Was an den zahllosen Veranstaltungsorten diskutiert wird, steht auf einem anderen Blatt.

Der Weltjugendtag ist vieles zugleich: konfessionelles Massenfestival, Papstdebüt und Medienereignis. Als jährliches christliches Weltfestival von und für junge Leute wurde der Weltjugendtag 1985 durch Johannes Paul II (JPII). begründet. Und zwar maßgeblich auf Vorschlag des protestantischen Frère Roger (der gerade im Alter von 90 Jahren aus ungeklärten Umständen von einer geistig Verwirrten ermordet wurde) aus dem ökumenischen, also gesamtchristlichen Zentrum in Taizé.

Es geht nicht mehr um Katechetik und Entmündigung

In Köln ist die 20. Veranstaltung. Zentral ist der Aspekt, die junge Generation in und aus aller Welt abzuholen und in zeitgemäß freundlichen Veranstaltungsformen an die Welt der Kirche heranzuführen. Das Bewußtsein der Pilger für kirchliche Lehre und Liturgie wird gefördert und andererseits der spirituelle oder religiöse Glaube so geweckt und gefestigt, dass er die Form eines klaren Bekenntnisses zum Christentum und zur katholischen Kirche annimmt. Es geht also nicht mehr um Katechetik und Entmündigung sondern reflektierte Enkulturation.

Für Rüdiger Suchsland lauert hier die "frisch geschminkte alte Fratze". Er schüttet das Kind mit dem Bade aus, denn das Kind glaubt halt auch schon was und ist kein intellektueller Baby-Atheist à priori. Denn die Differenz zwischen dem eigenen, subjektiven, erlebnisorientierten Glaubenspotential (Suchslands "Patchwork") und der vorgegebenen einen Konfession ist für die heutige junge Generation, zumindest in Deutschland, viel entscheidender als für frühere. Die taten sich mit dem Glauben und der Kirche schwer - entweder im skeptischen Intellektualismus oder im reflexionslosen Materialismus und Konformismus einer scheinbar unbegrenzten Wohlstandsära mit ihren klar verteilten Rollenmustern.

Der kirchliche Anspruch mitten in einem digitalen Hyperpolytheismus

Der Kontakt und der Dialog mit der jungen Generation, auch im ökumenischen, gesamtchristlichen Rahmen und an den Rändern zu den anderen Weltreligionen, aber auch zur glaubensschwachen Indifferenz (Gleichgültigkeit), zum Nihilismus oder zum dogmatisch verhärteten Atheismus hat es in sich. Der monopolistische Anspruch der katholischen Kirche enthält in vieler Hinsicht konservative und lebenspraktisch überholte (Zölibat) und auch riskante Aspekte (Sexualmoral, Verhütung, Aids). Aber dieser kirchliche Anspruch steht jetzt mitten in der Unübersichtlichkeit der elektronisch vernetzten Welt- und Mediengesellschaft, also einem digitalen Hyperpolytheismus.

Die Medien haben der jetzigen Generation bereits eine ganz andere Liturgie eingepflanzt: die Hyperaktivität von I-Pod, Handy und Internet. Der I-Pod und der Papst, das alte vatikanische Monopoly von Macht und Glauben und die kulturelle Nano-Technologie der äußersten Verdichtung von Daten aus Raum und Zeit müssen sich aufeinander zu bewegen. Jetzt schon kann man putzig animierte Heiligenbildchen, mobile saints, per SMS von den Salesianern herunterladen, im Gegenzug zu den auf den Klingelton heruntergekommenen Pop-Sounds. Aber das reicht der katholischen Kirche bestimmt nicht.

Sie wehrt sich, zu Recht, gegen die mediale Aushöhlung des Glaubens als "Konsumartikel" (Benedikt XVI. im Fazit zum Weltjugendtag). Denn die Kirche ist nicht nur ein medialer Konsumartikel sondern ein kommunikatives, soziales und hieratisches Ritual, das derzeit noch nicht in Gefahr ist, wie das olympische Ritual von den Medien aufgesogen zu werden. Noch sind die Gläubigen nicht gedopt. Die Frage ist, ob sich die Kirche konsequent wehrt und mit den angemessen Mitteln. Die Medien haben längst einen Glaubenskampf auf scheinbar rein weltlichem Boden entfesselt.

Schablonenhafte Sinnangebote, Medien und "Kult der Dinge"

Sie tun dies nicht, weil sie selbst besonders gläubig wären, sondern weil verschiedene schablonenhafte Sinnangebote einfacher zu vermitteln und prima miteinander zu konfrontieren sind, so dass für unendlichen Serienstoff gesorgt ist. In einer westlichen Überflussgesellschaft ist der Kult der Dinge wichtiger, als die Dinge selbst, weil das Geschäft durch den Medienkult kanalisiert wird.

Tom Cruise, der in Sachen Religiosität bereits massiven Gesinnungsterror am Rande der Dreharbeiten von "Krieg der Welten" mit einem Scientologischen Bekehrungszelt ausübte, erhielt für "Mission Impossible 3" keine Dreherlaubnis im Deutschen Bundes-Reichs-Tag und im Vatikan. Auf den Dächern der profanen und religiösen Macht durfte er keine Klettertouren unternehmen oder Scheiben einschlagen, um sich ins Allerheiligste der demokratischen und konfessionellen Macht abzuseilen. Und deshalb lässt Cruise sich den Vatikan in Süditalien mal eben schnell nachbauen. Immerhin hatte Johannes XXIII. sich gegen den Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Ottaviani durchsetzen können, und Frederico Fellini ausgerechnet für die religiösen Frivolitäten in "La Dolce Vita" (Hubschrauber-Einflug einer Christus-Statue) und die Ur-Paparazzi-Darstellung, die Dreherlaubnis auf und über vatikanischem Boden erlaubt.

Mel Gibson ist für den großen Weltjugendtag in Sydney 2008 mit den biblisch unterstützten Hardcore-Szenen (unter Hinzunahme der Passions-Visionen der stigmatisierten Mystikerin Anna Katharina Emmerick in Dülmen) aus seinem Film "Passion" im Gespräch. Dann hätte aber Hollywood eines seiner Ziele erreicht und umstrittene Symboldarstellungen der Kirche endgültig auf den Monitor geholt, ohne dafür einen respektvoll-reflektierten Cecil B. DeMille zu haben.

Legitimation statt Indokrination

Hier liegt der entscheidende Punkt: Der Weltjugendtag ist ein Begegnungsforum auf dem Weltmarkt der Sinnangebote. Aber damit steuert die Kirche auf ihrer globalen Pilgerreise eine neue Dimension an: auf ein mentales Wahl- und Service-Christentum, auf die permanente Medien-Missionierung in instabilen Zeiten, die kein Heidentum sondern nur noch Weltsinnsucher kennen. An die Stelle der Indoktrination tritt die Legitimation: Wie kann die moralisch-ethische Lebenspraxis der jungen Weltbürgerinnen und -bürger durch das kirchliche Glaubensangebot wirklich attraktiver gestaltet werden? Wie kann die Kirche, mit soliden Argumenten, den individuellen Lebens- und Glaubens-Entwurf der jungen Leute fördern, statt ihn zu behindern?

Aber auch umgekehrt läßt sich fragen: Wie kann eine globale Gesellschaft, in der die Teilnahme, Beobachtung und Gleichgültigkeit ständigen und unabsehbaren elektronischen Transformationen und Umschichtungen ausgesetzt sind, eine fromme - christliche, jüdische, islamische oder sonstige - Liturgie und Lebensweise aus dem Glauben erhalten, die dabei realitätsgerecht, weltoffen ist, positiv Welt mitgestaltet und nicht einseitig fundamentalistisch sich aus der Welt und ihrer Dynamik heraushält? Kann diese Aufgabe durch eine philosophische Ethik, einen Existenzialismus ohne Gottesbezug übernommen werden? Oder läuft alles auf eine schizophrene Spaltung zwischen gott- und sinnlosen Funktionalismus im Weltinnenraum und dem Restselbstgefühl eines weltflüchtigen Medien-Buddhismus hinaus?

Logofizierter Papst

Der neue Papst ist selbst bereits in verschiedene Richtungen logofiziert. Während JPII-Kerzen schnell ausverkauft waren, sind BXVI-Kerzen noch zu haben. Ob er seinen Debüt-Labels jetzt gerecht wird, werden wir sehen: In seiner biographischen Selbstdarstellung nach der "Rhein-Energie"-Schiffsreise vor dem Südportal des Doms hat er sich als Redenschreiber und Berater (Peritus) des liberalen und menschlich beherzten Kölner Kriegs- und Nachkriegs-Kardinal Frings während des Zweiten Vatikanischen Konzils vorgestellt: Ein unausgesprochenes Pro zur demokratischen Erneuerung und zum "Aggiornamento" (Johannes XXIII.), zur post-scholastischen Verankerung des katholischen Glaubens im Diesseits, im Hier und Heute, im existentiellen alltäglichen Lebensbezug jedes Einzelnen als Person, wie es wegweisend der Theologe Karl Rahner formulierte.

Joseph Ratzinger hat sich andererseits in seiner Karriere vom liberalen, auf Dezentralisation setzenden Theologen und Kirchenmann, der auch den Papst nur als einen Bischof unter anderen, als Primus inter pares, und nicht als co-byzantinischer Metropolit des Abendlandes, zum Vertreter und Zuarbeiter einer Macht verwandelt. Diese Macht hat unter JPII, dem Vorgänger von BXVI, zwar den Kommunismus von Polen aus mit zum Wanken gebracht. Sie hat den Dialog mit den anderen christlichen Konfessionen sehr einseitig und etwas ernsthafter das Gespräch mit den Weltreligionen aufgenommen, die mittel- und südamerikanische Befreiungstheologie im Stich gelassen und die sattsam bekannten alten Moraldogmen und innerkirchlichen Repressionen vor allem in der hochsensiblen Personalpolitik noch unterstrichen.

Wird der Papst seine Chance nutzen?

Jetzt arbeitet BXVI an der Rolle eines populären Heiligen Vaters, eines Pop-Ober-Priesters, der sich auf den "Liebesaustausch mit der Menge" versteht, der den verkopften Theologen und taktischen Funktionär im Windschatten des charismatischen Vorgängers für eine Zeit lang vergessen läßt. Nicht umsonst haben die Medien so stark unterstützend wie Geburtshelfer das Heimspiel der Kölner Ereignisse verfolgt: Wird der Papst seine Chance nützen, die Rolle des "Architekten" mit der Rolle des "Morphologen" und "Auserwählten"-Scouts verbinden, um den Kontakt mit der Jugend wirksam zu verstärken und von ihr auch zu lernen, statt sie nur zu belehren?

Oder werden die vergreisten Vertreter der Kurie mit ihren Ansichten einst wie eine zerborstene Arche auf dem Meer einer gottlos verdrahteten Generation treiben? Derweil formen die Besucher mit ihrem eigenen Handyporträt das große Vorbild des Vorgängers in der Internet-Aktion: "www.thank-you-jp2. Be part of it."