Deutschland steht bei der Forschung mit menschlichen Stammzellen unter Druck

Bundesministeriums für Bildung und Forschung ruft zur Harmonisierung der Regelung zur Stammzellenforschung auf

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Was in anderen Ländern bereits erlaubt ist oder demnächst wie in Großbritannien liberalisiert werden wird, um als biotechnologischer Standort bei einer der wohl vielversprechendsten Entwicklungen nicht zurückzufallen, ist in Deutschland durch das strenge Embryonenschutzgesetz verboten. Noch, sollte man hinzufügen, denn wenn um Deutschland herum die moralischen Beschränkungen fallen und die Forschung an menschlichen Stammzellen im Rahmen des "therapeutischen Klonens" ermöglicht wird, scheint es absurd zu sein, eine insuläre Moral aufrechtzuerhalten, die langfristig nicht zu halten sein wird.

Das Embryonenschutzgesetz verbietet generell embryonenverbrauchende Untersuchungen. Die totipotenten Embryonalzellen sind im Sinne dieses Gesetzes Embryonen, weswegen sie auch einzeln nicht zu Untersuchungszwecken "verbraucht" werden dürfen: "Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Ernbryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag."

Stammzellen versprechen, wenn man sie entsprechend züchten und klonen kann, die Möglichkeit, nach Bedarf Zellgewebe oder ganze Organe zur Transplantation erzeugen zu können. Damit könnten nicht nur krankheits- oder unfallbedingte Schädigungen kompensiert werden, sondern auch altersbedingte Leiden und Abbauerscheinungen bekämpft werden. Geklonte Zellkulturen oder Organe hätten überdies die Eigenschaft, nicht mehr durch das Immunsystem bekämpft zu werden, und könnten den Mangel an Transplantationsorganen beseitigen sowie die dabei entstehenden ethischen Probleme lösen. Solange dafür freilich embryonale Stammzellen benutzt werden, stößt die Stammzellenforschung auf andere ethische Probleme. Schließlich werden die Zellen aus abgetriebenen oder bei der In-Vitro-Fertilisation überschüssigen Embryonen entnommen - und der Bedarf an Embryonen steigt jetzt bereits (Schlechtes Forschungsmaterial, Handel mit menschlichen Stammzellen). Erst unlängst ist "versehentlich" ein Patent im Rahmen der Stammzellenforschung vom Europäischen Patentamt akzeptiert worden, dass auch die Patentierung menschlicher Embryonen umfasste. Nach heftiger Kritik hat inzwischen der Antragsteller die Formulierung abgeändert, so dass menschliche Embryonen zwar nicht unter das Patent fallen, wohl aber Zelllinien, die aus dem patentierten Verfahren gewonnen werden.

Während des IV. Kolloquiums der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung zur Zukunft der Molekularen Medizin in Berlin forderte Wolf-Michael Catenhusen, Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), zumindest eine Harmonisierung der Regelungen zur Stammzellenforschung innerhalb der EU. "Die gegenwärtige Situation in Europa, in der die verschiedenen Methoden der Gewinnung humaner Stammzellen und ihre Verwendung in rechtlicher und ethischer Hinsicht teilweise sehr unterschiedlich bewertet würden, hält Catenhusen", so eine Pressemitteilung des BMBF, "auf Dauer nicht für zukunftsweisend." Zukunftsweisend meint hier wohl, dass einzelne Länder wie in anderen Angelegenheiten auch, nicht mehr auf Dauer ausscheren können, wenn es sich um eine wissenschaftlich und ökonomisch interessante Forschung handelt. Letztlich müsse man die rechtlichen Standards weltweit vereinheitlichen.

Das dürfte wahrscheinlich schwierig werden, weil es sich um eine hochinteressante Entwicklung handelt, auf die kaum eine Regierung aus Gründen der Standorterhaltung wirklich verzichten mag, sofern dies nicht alle anderen auch machen, weswegen Catenhusen an die Wissenschaftler appellierte. Sie müssten sich aktiv in die Diskussion über die "Fragen nach den ethischen Grenzen ihres Handelns einbringen" und ihre Methoden und Ziele der Öffentlichkeit vermitteln, damit ein hinreichender Konsens für die notwendigen oder wünschenswerten Forschungsarbeiten entstehen könne. Offenbar also arbeitet Catenhusen darauf hin, das deutsche Embryonenschutzgesetz ein wenig aufzuweichen, um auch hierzulande den Forschern die Möglichkeit zu eröffnen, mit menschlichen Stammzellen zu experimentieren.

Politik und Gesetzgebung stünden, so Catenhusen, vor der schwierigen Aufgabe, durch die Schaffung von Rahmenbedingungen die Erforschung neuer biomedizinischer Verfahren zu ermöglichen, aber gleichzeitig klare Grenzen zu setzen, so dass "Menschenwürde und Lebensschutz im Kern unberührt bleiben." Da fragt sich natürlich, wo man den Kern denn gerne ansiedeln würde.