"Die Ausschreitungen bei den Blockupy-Protesten in Hessen hatten mit legitimen Protesten nichts mehr zu tun"

Die schwarz-grüne Koalition in Hessen will Feuerwehrleute und Rettungskräfte mit einem neuen Strafrechts-Paragrafen 112 besser vor Randalierern schützen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Mittwoch stellte die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen eine Bundesratsinitiative vor, die Feuerwehrleute, Mitarbeiter von Rettungsdiensten und Polizisten besser vor gewaltbereiten Autonomen schützen soll. Zu solchen Angriffen war es während der Blockupy-Krawalle im März gekommen.

Konkret sieht der Entwurf vor, dass ein nach der Notrufnummer benannter neuer Paragraf 112 in das Strafrecht eingefügt wird, in dem Tätern, die solche Personen "tätlich angreifen", während diese ihren Dienst verrichten, mit mindestens sechs Monaten Haft bedroht werden. Führt der Täter "eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug mit sich", die oder das er bei der Tat verwenden will, erhöht sich die Höchststrafe von fünf auf zehn Jahren.

Bei FDP und Linken stößt das auf Kritik. Telepolis fragte dazu Jürgen Frömmrich, den Innenpolitiksprecher der Grünen im hessischen Landtag.

Herr Frömmrich - die FDP meinte gestern im Landtag, die Tätergruppe, auf die der neue Paragraf abzielt, würde nicht ins Strafgesetzbuch schauen, bevor sie gewalttätig wird. Was meinen Sie dazu?

Jürgen Frömmrich: Ich habe auch noch nie gehört, dass jemand, der einen Diebstahl oder eine Körperverletzung begehen oder eine Beleidigung aussprechen möchte, vorher ins Strafgesetzbuch geschaut hat. Dennoch wissen alle, dass diese Verhaltensweisen strafbar sind. Die Menschen haben, denke ich, ein Bewusstsein dafür, was erlaubt und was verboten ist.

Mit der neuen Regelung wollen wir dieses Bewusstsein dahingehend schärfen, dass Gewalt gegenüber Menschen, die anderen in der Not helfen oder anderen die Geltendmachung ihrer Grundrechte gewährleisten, ein besonderes Unrecht darstellen. Wir erhoffen uns also eine präventive Wirkung.

Wir sind uns aber auch bewusst, dass das Strafrecht allein die wachsende Zahl von Übergriffen auf Polizeibeamtinnen und -beamte nicht wird verhindern können. Deshalb beschränken wir uns nicht darauf. Wir haben in Hessen viel getan, um ein Klima gegenseitiger Wertschätzung zwischen Polizei und den von ihr zu schützenden Bürgerinnen und Bürgern zu fördern und das Vertrauen in die Polizeiarbeit zu stärken.

Ich will hier nur einige aufzählen: Einführung der Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte, Erneuerung und Verbesserung der Schutzausstattung, Kommunikations- und Deeskalationstraining, Kontinuierliche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und die Stärkung interkultureller Kompetenz bei der Polizei.

Jürgen Frömmrich. Foto: Grüne Landtag Hessen

Ulrich Wilken von der Linkspartei befürchtet, dass die Falschen beschuldigt und ein halbes Jahr lang eingesperrt werden könnten. Reichen die Sicherungsmaßnahmen in der Vorschrift aus, damit das nicht passiert?

Jürgen Frömmrich: Ich habe volles Vertrauen, dass die Justiz die neuen Regelungen sinnvoll anwendet. Was den Tatbestand angeht, ist die geplante Vorschrift klar formuliert. Ein "tätlicher Angriff" ist eine unmittelbar auf den Körper zielende gewaltsame Einwirkung. Nur wer so handelt, muss mit Konsequenzen rechnen. Tat- und Schuldfragen haben dann die Gerichte zu klären wie bei anderen Straftatbeständen auch.

Wenn der neue Paragraf 112 kommt, wird doch eigentlich der Widerstandsparagraf 113 überflüssig, oder? Der wurde ja in der Vergangenheit manchmal dazu missbraucht, um Zeugen einzuschüchtern.

Jürgen Frömmrich: Richtig ist, dass in § 113 eine Subsidiaritätsklausel aufgenommen wurde, um zu verhindern, dass diese Vorschrift bei tätlichen Angriffen zur Verhinderung von Vollstreckungshandlungen § 112 verdrängt. In § 113 ist auch folgerichtig die Tatmodalität "tätlicher Angriff" gestrichen worden. Dort findet sich aber noch die Alternative des Widerstandleistens. Zudem ist der Kreis der Geschützten weiter als in § 112. Folglich bleibt für § 113 nach wie vor ein eigener Anwendungsbereich.

Was ist der grüne Anteil an der Formulierung der Vorschrift?

Jürgen Frömmrich: Wir befinden uns in einer Koalitionsregierung. Unsere Basis ist der Koalitionsvertrag. Er enthält Kompromisse zwischen zwei unterschiedlichen Parteien mit unterschiedlichen programmatischen Inhalten. Insofern ist sowohl die Einigung auf die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte als auch die geplante Einführung des "Schutzparagrafen 112" Resultat eines Kompromisses zwischen zwei Parteien.

Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten der Initiative ein? Stimmt der Bundesrat dafür? Und der Bundestag?

Jürgen Frömmrich: Eine Prognose ist derzeit kaum möglich. Einige Bundesländer haben eine wohlwollende Prüfung angekündigt, andere ihre ablehnende Haltung formuliert. Letztlich entscheidet der Bundesrat. Der Bundestag wird sich mit dieser Sache erst befassen, wenn der Entwurf im Bundesrat eine Mehrheit gefunden hat.

Was meinen Sie: Wird es beim G7-Gipfel in Elmau erneut zu tätlichen Angriffen auf Rettungskräfte und Feuerwehrleute kommen?

Jürgen Frömmrich: Das Demonstrationsrecht ist im Grundgesetz verbrieft. Friedliche Demonstrationen sind das Salz in der Suppe einer Demokratie. Es ist gut, dass beim G7-Gipfel viele Menschen auf die Sorgen und Nöte in vielen Teilen der Welt hinweisen wollen; friedliche Demonstrationen sind genau das richtige Mittel, um einer solchen Haltung Ausdruck zu verleihen.

Die Ausschreitungen bei den Blockupy-Protesten in Hessen hatten mit legitimen Protesten aber nichts mehr zu tun. Die Polizei hat versucht, dem entgegenzuwirken, und war gut vorbereitet. Es gab zahlreiche Dialogangebote und Deeskalationsversuche im Vorfeld, eine im Vergleich zu früheren Situationen deutlich bessere Kommunikation, auch über die Sozialen Medien, und es gab die Kennzeichnungspflicht.

Wir hoffen, dass die bayerischen Sicherheitskräfte für die bevorstehenden Proteste beim G7-Gipfel in Elmau mindestens genauso intensiv und sorgfältig auf ihren Einsatz vorbereiten, wie dies in Hessen der Fall war.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.