Dot-Commers zwischen Pink-Slip und Porno-Industrie

Die gefeuerten Mitarbeiter der Dot-Com-Firmen in Kalifornien suchen neue Jobs und haben die Porno-Industrie als Arbeitgeber entdeckt

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Aus dem Silicon Valley kommt die Nachricht: entlassene Dot-Commers finden Zuflucht in der florierenden Porno-Industrie. Zusammen mit Technikern und Kameraleuten aus Hollywood wenden sie sich verstärkt an Personchefs des schlüpfrigen Filmgewerbes, um sich zu bewerben.

Die Porno-Industrie hat längst das Internet für sich erobert und bietet nackte Tatsachen auf unzähligen Websites feil. Für Pornografisches sind die User bereit zu zahlen, die Sex-Sites gehören zu den profitabelsten im Netz. Während Informations-Sites sich mit Bannerwerbung durchschlagen müssen, kassieren Porno-Sites für jeden Klick, per Minute oder durch Versand von Sex-Zubehör.

Da haben IT-Spezialisten doch gleich das Dollar-Zeichen vor Augen und das zu Zeiten, wo eine massive Entlassungswelle durch die Dot-Com-Firmen rollt. Die New Economy-Krise betrifft die Sex-Branche nicht, das Begehren garantiert die Umsätze. Sex-Commerce-Webseiten boomen. Die online Sex-Industrie setzt bereits $1 Milliarde jährlich um, bis 2005 sollen es voraussichtlich $7 Milliarden werden.

Das gute Geschäft hat sich herum gesprochen und die Telefone der einschlägigen Firmen klingen ununterbrochen. "We get bombarded with calls all the time,'' sagte Jimmy Flynt II, Marketing-Direktor von Hustler, der von seinem Onkel Larry gegründet wurde, gegenüber der Los Angeles Times, "The sex industry really isn't affected by the markets. Sex always sells." Die Devise lautet also: Silikon statt Silizium.

Ein sicherer Arbeitsplatz und eine gut gefüllte Lohntüte sind Argumente, denen auch die Dot-Commers zugänglich sind. Dazu kommt, dass die Porno-Industrie in den letzten Jahren zunehmend an Ansehen gewonnen hat. Die Schmuddel-Ecke ist passee, ebenso die Berührungsängste der Vergangenheit.

Und die Angst in der IT-Branche ist groß: in den letzten 16 Monaten haben geschätzt 75'500 Dot-Com-Angestellte ihren Job verloren, der Einbruch des Neuen Marktes fordert seine Opfer und noch ist kein Ende des Personalabbaus und der Firmenpleiten in Sicht.

Auch in Deutschland hat es nach dem Einbruch des neuen Marktes in den letzten Monaten jede Menge Kündigungen von Internet-Firmen gegeben und oft wurde dabei äußerst rüde vorgegangen (Mitarbeiter werden behandelt wie Kriminelle ...). Die rosigen Zeiten, wo alle sich lieb hatten, und scheinbar kein Unterschied zwischen flippigem Jung-Unternehmer und Arbeitnehmer gab, sind auch hier zu Lande vorbei. Immer mehr Angestellte organisieren sich gewerkschaftlich, z.B. bei connexx-av, das "Wir-Gefühl" macht der Erkenntnis Platz, dass es auch in den Neuen Medien verschiedene Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt.

Die Krise ist aber bei weitem nicht so groß wie in den USA. Eco, der Verband der deutschen Internetwirtschaft verkündete anlässlich der Hannover Messe, der Bedarf an Arbeitskräften sei ungebrochen:

Derzeitige Turbolenzen an den Börsen haben nur geringen Einfluss auf die Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern. Nach wie vor werden Generalisten wie Spezialisten gesucht. Freigesetzte Mitarbeiter haben keine Probleme neue Aufgaben zu finden.

BITKOM, der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien legte im März eine Studie vor, die kein Ende des Mangels an IT- und E-Business-Spezialisten feststellte. In Europa fehlen momentan 1,9 Millionen Spezialisten für Informationstechnik, Telekommunikation und E-Business. Bis 2003 sollen es geschätzt 3,8 Millionen werden. In Deutschland fehlen Fachkräfte für 444.000 offene Stellen.

Viele IT- und E-Business-Spezialisten arbeiten nicht in der IT-Branche, sondern bei Banken, Versicherun­gen, in der öffentlichen Verwaltung, bei produzie­rendes Gewerbe, in Transportunternehmen und im Wissenschaftsbetrieb. Auf einen Arbeitsplatz in der Kernbranche kommen künftig zwei entsprechende Arbeitsplätze auf der Anwenderseite, das verschärft den Arbeitkräftemangel weiter, so prognostiziert BITKOM.

Der Deutsche Multimedia Verband bestätigt in seiner neuesten Untersuchung den Fachkräfte-Mangel. In der Internet- und Multimedia-Branche kommen nach seinen Erkenntnissen auf sieben neu eingestellte Mitarbeiter etwa drei Arbeitsplätze, die nicht besetzt werden können. Es fehlen 8'000 Multimedia-Spezialisten. "Diese Zahlen sind der Beweis für das kontinuierliche positive Wirtschaftswachstum in der New Economy abseits der Vertrauenskrise der Finanzmärkte", kommentierte Alexander Felsenberg, der Vizepräsident und Geschäftsführer des dmmv. Das spiegelt sich besonders in den um acht Prozent (2000 im Vergleich zum Vorjahr) erhöhten Einstiegsgehältern.

Die deutschen Dot-Commers haben also keinen Grund panisch zu werden und bei der Porno-Industrie anzurufen. Statt zum Hörer zu greifen oder E-mail-Bewerbungen zu schreiben, surfen sie zu einer der spezialisierten Online-Stellenbörsen oder gehen vielleicht demnächst zum neuen Event der IT-Branche. Nach den First Tuesdays gibt es jetzt die Pink-Slip-Partys. Abgeleitet wird der Name Pink Slip von den rosafarbenen Umschlägen der Kündigungsschreiben amerikanischer Unternehmen. Die Bewegung kommt aus den USA, nachdem in Wien (Let's Party!) schon pink geslippt wurde, ging es auch in Deutschland am 1. Mai (Rote Karte für die Pink-Slip-Party) los. Von den 700 joblosen Internet-Spezialisten, die sich über das Internet registriert hatten, kam allerdings fast keiner und die Personal-Berater mit dem angehefteten Roten-Punkt drängelten sich zwischen einer Masse von Journalisten.

Den deutschen Pink-Slip-Partys Organisatoren ist mit diesem Flop der Unterschied zu den Verhältnissen in den USA deutlich vor Augen geführt worden. In deutschen Landen sind bei weitem nicht so viele Multimedia-Profis in den vergangenen Krisenmonaten arbeitslos geworden wie in den USA. Experten schätzen die Anzahl der deutschen IT-Spezialisten, die kürzlich ihren Job verloren haben, auf 2000 bis 6000. Aber wie es die Verbände schon analysierten, der Arbeitskräftemangel ist da und er wird wachsen. Die Pink-Slipper sehen sogar einen kommenden Bedarf von 350'000 IT-Profis bis 2002. Da sollten Personalentscheider und Headhunter doch bereitwillig die von ihnen verlangten 150 Euro zahlen, um mit den begehrten Arbeitskräften ganz zwanglos ins Gespräch kommen zu können. Die "Top-Leute", die angesprochen sind, könnten umgekehrt hier schnell, unbürokratisch und flexibel ausloten, wie ihre Chancen für einen Arbeitsplatz stehen. Die Pink Slip Partys werden in den vier deutschen Internetzentren Berlin, Frankfurt, München und Hamburg veranstaltet - falls sie nicht aus Mangel an Interesse der Bewerber bald sang- und klanglos eingehen.

Die Termine bis August sind fest geplant: Do. 17.05.01 Frankfurt (Palast der Republik), Do. 31.05.01 München (Nachtwerk), Do. 14.06.01 Hamburg (ACD), Do. 28.06.01 Berlin (Reinbeckhallen), Do. 12.07.01 Frankfurt (Palast der Republik), Do. 26.07.01 München (Nachtwerk), Do. 09.08.01 Hamburg (ACD).