Erdoğan und sein Clan

Seite 2: Den eigenen Clan begünstigen

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Die Absetzung des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu war der letzte Schachzug hin zur angestrebten Allmacht. Davutoğlu wurde ihm zu mächtig und verfolgte nicht mit gewünschter Vehemenz die Einführung des Präsidialsystems. Dafür bedarf es absolut loyaler Kandidaten, die keine eigenen Machtansprüche stellen. Favorisierter Nachfolgekandidat ist sein Schwiegersohn, der gegenwärtige Energieminister Berat Albayrak. Er ist seit 2004 mit Erdoğans ältester Tochter Esra verheiratet und somit schon lange Teil des Clans.

Die Erdoğan-Familie lebt in 5 Villen im Istanbuler Stadtteil Üsküdar. Alle Villen sind im Besitz der Söhne Ahmet und Bilal. Ihr Wert umfasst nach Angaben von bild.de 6 Millionen Euro. Woher das Geld stammt, ist nicht bekannt. Die Bild-Zeitung listete kürzlich auf, wie die Familienangehörigen des Erdoğan-Clans in einem Korruptions- und Machtgefüge verstrickt sind.

Burak Erdogan

Die Zeitung berichtet, dass der älteste Sohn Ahmet Burak Erdoğan (36) im See-Großfrachtgeschäft tätig ist und dass ihm mittlerweile 99% der großen MB-Reederei gehören sollen. Sein Vermögen soll rund 80 Millionen Dollar betragen. Gemunkelt wird, dass er bei der Vergabe von Aufträgen durch die Regierung begünstigt wurde. Beweisbar ist das aber nicht.

Allerdings ist eine Episode ans Licht gekommen, die von Begünstigung erzählt. 1998 beging Ahmet Burak Erdoğan Fahrerflucht. Er hatte keinen Führerschein, als er die Sängerin Sevim Tanürek überfuhr. Zu Prozessbeginn hielt er sich angeblich in England auf, weil er dort einen Sprachkurs besuchte.

Der Verkehrsgutachter änderte später seine Meinung zum Unfallhergang und stellte fest, die Sängerin sei selbst schuld an ihrem Tod. Dafür wurde er von Erdoğan mit dem Posten des Vizechefs der staatlichen Schifffahrtsgesellschaft betraut. Ahmet Burak ist mittlerweile abgetaucht und taucht auch nicht mehr auf Familienfeiern auf.

Bilal Erdoğan

Der zweitälteste Sohn Bilal Erdoğan (35) wird in verschiedenen Medien zusammen mit dubiosen Öl-Geschäften mit dem IS in Verbindung gebracht. Mit anderen türkischen Geschäftsleuten soll er dem IS mehr als 500 Millionen Dollar im Jahr beschert haben. Auch in einen Korruptionsskandal soll Sohn Bilal involviert gewesen sein. Darin geht es um drei Millionen Dollar Schmiergeld, die er für den Erwerb öffentlichen Grundbesitzes in Istanbul gezahlt haben soll, um den Grundbesitz für weniger als 500 Millionen Dollar zu erhalten. Der Marktwert belief sich auf eine Milliarde Dollar.

Auch gegen Bilals Türgev-Stiftung, bestehend aus einem Netz an Privatschulen, ermittelte die Staatsanwaltschaft. Die Stiftung soll unentgeltlich Grundstücke erhalten haben - durch die Vermittlung aus der AKP. Eine Vernehmung oder gar Inhaftierung wurde von Vater Erdoğan verhindert, indem er den Staatsanwalt seiner Aufgaben entbinden ließ.

Die Telefonate zwischen Bilal und seinem Vater, die im Dezember 2013 im Internet kursierten, konnten schließlich den Beweis dafür erbringen, dass deponiertes Geld aus dem Haus geschafft werden sollte (USA verhaftet Erdogans Schützling Reza Zarrab) Was Erdoğan freilich abstritt. Es ging um erhebliche Summen:

Bringe alles weg, was in deinem Haus ist", sagt die Stimme des älteren Gesprächsteilnehmers in einem Telefonat, dessen Zeitpunkt mit 8.02 Uhr am Morgen angegeben wird. "Dein Geld ist im Tresor", antwortet die jüngere Stimme. In einem anderen Gespräch, dessen Zeit mit 23.15 Uhr angegeben wird, sagt die jüngere Stimme, 30 Millionen Euro hätten noch nicht "aufgelöst" werden können. Sie fragt dann: "Soll etwas Geld bei dir verbleiben?" In einem fünften und letzten Telefonat warnt die ältere Stimme: "Sohn, du wirst abgehört.

Bilal Erdoğan zog sich aus der Affäre, indem er mit Familie und Leibgarde nach Italien umsiedelte, angeblich um sein Studium zu beenden. Seit März 2016 ist Bilal samt Gefolge allerdings verschwunden - die italienischen Behörden ermitteln gegen ihn wegen Geldwäsche. Ihm wird vorgeworfen, das Familienvermögen aus dem Korruptionsskandal in Italien reinwaschen zu wollen.

Esra Erdoğan

Auch die 34-jährige Tochter des Staatspräsidenten war in den Korruptionsskandal 2013 verwickelt. Sie sitzt wie ihr Bruder Bilal im Vorstand der Türgev-Stiftung. Daneben soll sie Spezialabteilungen in türkischen Krankenhäusern für verletzte IS-Kämpfer unterhalten haben.

Sümeye Erdoğan

Die jüngste, 30-jährige, Tochter Erdoğans möchte in die Politik, kann jedoch aufgrund des Kopftuchverbotes im Parlament (noch) nicht kandidieren. Ihr Vater wird aber auch dies sicherlich bald ändern. Als ehrenamtliche Beraterin und Dolmetscherin begleitet sie ihn auf Auslandsreisen.

Am vergangenen Samstag heiratete die jüngste Tochter in Istanbul den Rüstungsunternehmer Selçuk Bayraktar. 6000 Gäste waren geladen. Trauzeugen waren für Sümeyye der noch amtierende Regierungschef Davutoglu, für den Ehemann der Armeechef Hulusi Akar. Selcuk Bayraktar ist der Technologiechef seines Familienbetriebes "Baykar Makina", der Kampfdrohnen, herstellt, die bald eingesetzt werden sollen.

Ehefrau Emine Erdoğan

Emine Erdoğan ist bei öffentlichen Großauftritten ihres Mannes als "Vorzeigemuslimin" an seiner Seite. Sie sorgte im März dieses Jahres für Aufsehen, weil sie den osmanischen Harem als Lehreinrichtung für Frauen bezeichnete, wo Frauen auf das Leben vorbereitet wurden.

Enge Begünstigte des Erdoğan-Clans

Der Textilunterunternehmer Remzi Gür finanzierte die Studiengebühren an US-Universitäten für die Kinder Erdogans. Sie sollen bis zu 100.000 Euro pro Jahr betragen haben. Über Gegenleistungen wurde, so die Bildzeitung, "nur hinter vorgehaltener Hand spekuliert".

Auch die Söhne des Innenministers Muammer Güler, des Europaministers Egemen Bağış, des Wirtschaftsministers Zafer Çağlayan und des Umweltministers Erdoğan Bayraktar wurden im Dezember 2013 im Zuge des Korruptionsskandals verhaftet. Ihre Väter mussten daraufhin von ihren Posten zurücktreten. Erdoğan sprang seinen Gefolgsleuten zur Seite und sorgte dafür, dass die polizeilichen Ermittler entlassen wurden

Erdoğans Autokratie und sein Umgang mit den Kurden

Zur Begründung seines Präsidialsystems führte Erdoğan ausgerechnet Hitler-Deutschland als Beispiel an: "Es gibt aktuell Beispiele in der Welt und auch Beispiele in der Vergangenheit. Wenn Sie an Hitler-Deutschland denken, haben Sie eins. In anderen Staaten werden Sie ähnliche Beispiele finden."

Erdoğan regte damit eine ganze Fülle von Vergleichen an, die in diese finstere Ecke führen. Dazu trug auch bei, wie sich das türkische Militär gegenüber der kurdischen Bevölkerung verhält. Anfang des Jahres 2015 gab es noch Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Kurdenkonfliktes. AKP-Regierungsmitglieder und HDP - Abgeordnete brachten am 28. Februar einen Aktionsplan ein, der in Friedensgesprächen mit dem inhaftierten PKK-Chef Öcalan abgestimmt wurde. Dieser Friedensplan wurde schon einen Tag später von vom Tisch gewischt.

In der darauffolgenden Wahlkampfzeit zu den Wahlen am 7. Juni 2015 gab es viele Anschläge auf HDP-Parteibüros. Der - eigens von der AKP - initiierte Dialog mit Öcalan wurde einseitig von der Regierung aufgekündigt. Seitdem sitzt Öcalan wieder in Isolationshaft. Die HDP schaffte es trotzdem über die 10% Hürde, die AKP verlor die absolute Mehrheit und Erdoğan die Möglichkeit der Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems. Erdoğan nannte das Wahlergebnis "einen Fehler" und sorgte in den folgenden Wochen für das Scheitern der Koalitionsverhandlungen.

Kritische Intellektuelle gelten in der Türkei unter Erdoğans Herrschaft als Feinde. Wie die Kurden, Armenier, Christen, die Frauenbewegung, die Schwulen und die Linken. Sie müssen mit Verhaftung, Suspendierung oder Vertreibung rechnen.