Fluchthelfer Washington

US-Behörden stellen verurteilten Terroristen unter Anklage - weil er illegal eingereist ist. Kuba und Venezuela sprechen von Justizfarce

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Es war ein seltsames Zusammentreffen: Am Dienstag zogen hunderttausend Menschen vor die US-Interessenvertretung in Havanna, um die Auslieferung des antikubanischen Terroristen Luis Posada Carriles zu fordern. Die Demonstration war gerade aufgelöst, da stürmte nur einige Seemeilen weiter in Miami ein Sonderkommando des US-Ministeriums für Heimatschutz das Domizil Posada Carriles' und nahm ihn fest. Dem ersten Anschein entgegen hatten beide Geschehnisse nur mittelbar etwas miteinander zu tun. Denn der 77-Jährige wurde nicht wegen seiner Beteiligung an zahlreichen Terrorakten festgenommen, sondern wegen "Verstoßes gegen die Einreisebestimmungen".

Nach eigenen Angaben war Posada Carriles im März über die US-mexikanische Grenze eingereist. Er hatte die Grenze zwar illegal überschritten, und doch war es in gewisser Weise eine Rückkehr nach Hause. Anfang der 60er Jahre war er bereits von der CIA für den Kampf gegen die Castro-Regierung angeheuert worden, seit 1962 besitzt er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Bei der Invasion in der "Schweinebucht" ein Jahr später war er Mitglied der berüchtigten Brigade 2506. Nach dem Scheitern des Angriffes arbeitete Posada Carriles über Jahre hinweg mit Terrorgruppen wie Alpha 66, später war er Mitbegründer der Organisation CORU (Tango mortale).

Die folgenschwerste Aktion gegen die kubanische Regierung organisierte er 1976. Mit weiteren Castro-Gegnern postierte er einen Sprengsatz an Bord einer Passagiermaschine der staatlichen kubanischen Fluglinie Cubana de Aviación. Das Flugzeug stürzte über Barbados ab und alle 73 Insassen, darunter die gesamte Junioren-Fechtmannschaft Kubas, kamen ums Leben. Weil Posada Carriles seit 1967 auch die venezolanische Staatsangehörigkeit besitzt, wurde er wegen dieses Terroraktes Anfang der 80er Jahre in Caracas rechtskräftig verurteilt. 1985 konnte er mutmaßlich mit Hilfe eines befreundeten CIA-Spions aus der Haft fliehen.

Ein Ende seiner Karriere bedeutete das nicht. 1997 organisierte er während eines Jugendfestivals in Havanna eine Serie von Bombenattentaten, bei denen ein italienischer Tourist ums Leben kam. Die Beteiligung erkannte er ein Lahr später in einem Interview mit der New York Times an. Im Jahr 2000 schließlich postierte er während des Iberoamerikanischen Gipfels eine Bombe unter der Tribüne in der Aula der Nationaluniversität, in der an jenem Abend Fidel Castro sprechen sollte. Die Pläne wurden vom kubanischen Geheimdienst in letzter Minute enttarnt, Posada Carriles und drei weitere Mittäter verhaftet und verurteilt.

Im vergangenen Spätsommer 2004 begnadigte die bereits abgewählte Präsidentin Mireya Moscoso von Panama die Attentäter kurz vor dem Amtswechsel. Seither war Posada Carriles verschwunden - bis er im März in Miami auftauchte. Die US-Regierung erklärte auf wiederholte Nachfrage zwar, keine Informationen über seinem Aufenthalt in den USA zu besitzen. Doch Posada Carriles hatte in dieser Zeit mehrere Interviews gegeben, und auch sein Anwalt hatte den Aufenthalt in Miami bestätigt.

Venezuela fordert Auslieferung

Nun fordert die venezolanische Regierung die Auslieferung des Delinquenten. Doch die Chancen stehen schlecht. Unmittelbar nach der Festnahme erklärte die US-Einwanderungsbehörde ICE bereits, Posada Carriles werde "unseren Grundsätzen gemäß nicht nach Kuba ausgeliefert, noch in einen anderen Staat, der im Auftrag Kubas handelt". Der venezolanische Botschafter in Washington, Bernardo Alvarez, reagierte gelassen. Natürlich könne seine Regierung die Einleitung eines Verfahrens wegen einer Verletzung der Einreisebestimmungen nachvollziehen, sagte er der britischen BBC. Doch hätte die US-Regierung "die rechtliche und moralische Verpflichtung", Posada Carriles auszuliefern, denn "Terrorismus kann nur im internationalen Kontext bekämpft werden". Zudem verpflichte ein bilaterales Auslieferungsabkommen die USA zur Abschiebung nach Caracas. Schließlich habe sich Posada Carriles 1985 seiner Haftstrafe in Venezuela entzogen. Und flüchtige Verbrecher, dies sei durch das Abkommen zwischen beiden Staaten "klar geregelt", müssten ausgeliefert werden.

Vertreter der venezolanischen wie der kubanischen Regierung beschuldigen die US-Regierung, Posada Carriles schützen zu wollen, weil er, in einem anderen Land festgenommen, über seine langjährige CIA-Tätigkeit berichten könnte.

Druck aus den eigenen Reihen

Ob solche Erwägungen tatsächlich eine Rolle gespielt haben, sei dahingestellt. Unbestritten aber war in den vergangenen Wochen der Druck auf die US-Regierung im eigenen Land gewachsen. Prominente Medien wie die New York Times forderten Washington auf, den Aufenthalt Posadas Carriles nicht länger zu leugnen und den verurteilten Terroristen nach Venezuela auszuliefern. Prägnant formulierte der konservative Kommentator Andrés Oppenheimer: Wenn Posada Carriles nicht des Landes verwiesen werde, "verlieren die USA all ihre Glaubwürdigkeit im Kampf gegen den Terrorismus im Rest der Welt".

In seinem Kommentar versucht Oppenheimer, ebenso wie konservative Gruppen, aus dem politischen Dilemma doch noch Profit zu schlagen. Nachdem die US-Behörden Posada Carriles ausgewiesen hätten, könne man von Kuba gleiches verlangen. Denn die sozialistische Regierung beherberge "77 Terroristen und Kriminelle, die vom FBI gesucht werden". Die ultrarechte Kubanisch-Amerikanische Nationalstiftung schlägt in die gleiche Kerbe. Auf ihrer Homepage hat sie Mitte der Woche ein Fahndungsplakat für Assata Shakur, eine ehemalige Aktivistin in der US-Bürgerrechtsbewegung, gestellt, die in Havanna politisches Asyl genießt.