Forciert nah am Wähler

Clinton, Obama und Edwards: Werden Politiker durch ihre Web 2.0 Auftritte wahrhaftiger?

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In den USA sind es Hillary Clinton, Rudolph Giuliani, Barack Obama, John Edwards und auch John McCain; in Frankreich setzt der Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy verstärkt aufs Netz. Die Kandidaten für die höchsten Ämter ihrtes Landes zeigen sich auf der Höhe der Zeit; keiner von den Web.2.0-Zügen soll ohne sie abfahren: Blogs werden für die Kampagne genutzt, YouTube und seit kurzem auch MySpace. Wie verändert sich dadurch der Wahlkampf, wie die Berichterstattung durch „Politik-Online“? Kommen die Kandidaten der Wählerschaft durch Videos auf You-Tube und MySpace-Seiten näher? Werden sie dadurch authentischer, weniger floskelhaft, anfassbarer? Erfahren wir dadurch mehr von ihnen? Oder ändert sich nur die Performance, der Stil der Marken Clinton, Obama oder Sarkozy?

In Deutschland waren die Netzaktivitäten der Parteien und Kandidaten zur Bundestagswahl 2005 keine große Zugnummer. Diskussionen über Webauftritte der Politiker spielten sich mehr oder weniger in Fachkreisen ab. Selbst wenn von manchen Fortschritte des e-Campaigning im Vergleich zu 2002 beobachtet wurden (vgl. Farbenspiele, Blogs und Negative Campaigning), für das große Publikum, die Mehrheit der Wählerschaft hatte der Online-Wahlkampf wohl kaum große Bedeutung.

In den USA war Howard Dean eine Art Pionier. Seine Internet-Kampagne bei den Vorwahlen 2003/2004 zu den letzten amerikanischen Präsidentschaftswahlen erntete große Aufmerksamkeit in der Berichterstattung und bei den anderen Kandidaten, die sie teilweise kopierten - genützt hatte sie ihm aber nur wenig. Zwar konnte mit seiner Netz-Kampagne über mehr Geld und Unterstützer sammeln als frühere Internetkampagnen, in Wählerstimmen umsetzen ließ sich das allerdings nicht.

Authentisch schlecht Singen und eitel An-den-Haaren-Zupfen

Doch die Zeiten ändern sich, das Web hat seither mächtig an Aufmerksamkeit gewonnen. Bei der letzten US-Präsidentschaftswahl 2004 gab es You-Tube noch nicht - eine der exemplarischen Webseiten, die für das Popularitätshoch des „neuen Netzes“ stehen. Die Erfolgsgeschichte von YouTube in der größeren Öffentlichkeit begann erst Anfang 2006. So jung das Phänomen ist, so wenig Eindeutiges kann man noch über die Effekte der „YouTube-Kampagnen“ von Politikern sagen.

Klar ist bislang nur eins: Die Kampagnen der Kandidaten verschlingen ungeheure Summen; es wird immer teurer, die Maschinen am Laufen zu halten (vgl. Unter 100 Millionen Dollar keine Chance bei den Wahlen), Videos, die auf Portalen gepostet werden, kosten deutlich weniger als jene, die für TV-Anstalten produziert werden. Und bei manchen kreativen Kampagnen-Machern mag auch der Gedanke da sein, aus dem „Billigen“ höhere Vorteile zu ziehen und auf die Ästethik und Authentizität von „Homemade-Videos“ zu zielen, um damit Ansprüche und Vorstellungen der jüngeren Schicht zu treffen, die im Web Video schauen: Spontaneität, Humor, Unehrerbietigkeit – Respektlosigkeit gegenüber dem leblos Seriösen.

“I feel pretty“

Tatsächlich, so schrieb die Washington Post vor ein paar Tagen, bestätigen die Zugriffszahlen auf You Tube-Videos von Politikern vor allem diese Ansprüche: Kein Video mit politischen Inhalten von Hillary Clinton oder John Edwards ist so interessant, wie jene, die Frau Clintons beschränktes Sängertalent beim Singen der Nationalhymne offenlegen (über 1,1 Millionen Views seit Ende Januar), oder Herrn Edwards beim Zurechtzupfen der Frisur minutenlang auf die Finger und auf den Kostümkopf schauen. Über 151.000 mal wurde "I feel pretty" seit November 2006 angeklickt. Deutlich öfter also als sein bislang populärstes offizielles Video mit der Ankündigung seiner Kandidatur: Tomorrow begins Today (116.000).

Angstkorridore

Der gewünschte Popularitätsteffekt von You-Tube kann sich ins Gegenteil kehren, die Angst vor einem "Macaca-Moment" ist groß. „Macaca“ - was je nach Buchstabierung entweder einen Affen oder eine Stadt in Südafrika bezeichnet - hatte im Sommer letzten Jahres der Senator George Allen einen Zuhörer mit fremdländischen Aussehen genannt; das Ganze war auf Video zu sehen und zog wochenlange Debatten in den USA nach sich. Politiker fürchten, dass sie angesichts der neuen Welle von Bürgerreportern, die mit Kameras ausgestattet sind, nun einer 24 Stunden-Beobachtung ausgesetzt sind und sich kein peinliches Moment mehr gestatten können.

Möglich wäre demnach also auch, dass die „YouTube-Campaign“ statt zu mehr Transparenz, wie sie sich etwa der renommierte US-Blog-Kapitän Jeff Jarvis erhofft - "The important thing about this medium is it's very human and intimate. A voter comes across and clicks on you. You should talk to that voter and look at him in the eye." - zu noch mehr Vorsicht und frisiertem Design führt, weil sich Politiker keine „Macaca-Blöße“ gestatten können.

Anderseits, so argumentiert der amerikanische Journalist Jay Rosen, ist es vielleicht eine eitle Hoffnung seitens der Berichterstattung, immer erfahren zu wollen, wer die Politiker als Personen in Wirklichkeit sind, was ja die Suche nach solchen Blößen motiviert. Vielleicht wäre es besser, die Politiker dazu zu zwingen, sich in der Öffentlichkeit als die Personen zu präsentieren, die sie wirklich sind (was seines Erachtens bei Bush versäumt wurde). Anstatt dauernd zu versuchen, Fassaden wegzuziehen, hält er es für Wichtiger, die Politiker öffentlich dazu zu bringen, über Themen zu reden, denen sie in ihren Kampagnen ausweichen.

Doch gehört gerade die Widerlegung moralischer Ansprüche, die Politiker gerne äußern, durch Hinweise auf deren privates Leben, zu einer der beliebtesten Techniken, einen Gegenkandidaten zu demontieren (dass dies nicht nur in den USA geschieht, bewies auch die CSU unlängst in Bayern). Und dafür, so zu lesen beim Watchblog von Micah Sifry, Mitbegründer von TechPresident.com, das die Web-Kampagnen der Politiker genau verfolgt, eröffnen gerade Social-Network-Seiten wie MySpace, auf denen Kandidaten jetzt ebenfalls Profil zeigen, neue Angstkorridore, die sich an den Freunden auf der Liste aufbauen:

..the fear of a campaign associating with that one friend whose myspace page is filled with obscene photos and racist remarks

Neue Effekte

Wie ein spektakuläres Video zeigt, das den berühmten „1984“-Werbespot von Apple covert, demonstriert können „Freunde“ aber auch auf andere Art in den Wahlkampf eingreifen.

Das Video, das den Anschein erregt, es sei von der Obama-Kampagnen-Truppe, ist ziemlich kühn, da hier die demokratische Konkurrentin Hillary Clinton als 1984-Big-Sister dargestellt wird, die schließlich einen Hammer ins Bildschirmgesicht bekommt - mit der Zeile:

On Jan. 14, the Democratic primary will begin. And you'll see why 2008 won't be like 1984.

Der Spot wird von manchen Fachleuten überenthusiastisch gefeiert, als Ikone für eine neue Generation in der Politik und deren neue Art des Wahlkampfes

A new era, a new wave of politics ... because it's not about Obama... It's about the end of the broadcast era.."Hillary 1984" could have the iconic power with the 21st century political generation that another classic political ad called "Daisy" represented to Baby Boomers.

Peter Leyden, New Politics Institute

Ganz der Botschaft des Spots entsprechend verneint der Sprecher der Obama-Wahlkampftruppe, etwas damit zu tun zu haben: "It's somebody else's creation". Etwas anderes kann er auch schwerlich behaupten, wenn er der Grassroots- und Anti-Establishment-Message des Videos, die auch Obama für seinen Wahlkampf nutzt, nicht widersprechen will. Man wird sehen, wie die Wahhlkämpfer auch mit solchen neuen Effekten des Online-Wahlkampfs zurechtkommen. Spannend ist das schon – solange man über Stil und Design einer Kampagne die politische Inhalte nicht vergißt.